Massendemo für zweites Brexit-Referendum
20. Oktober 2018Es war einer der größten Protestzüge in London seit Jahren: Rund 600.000 Menschen haben nach Angaben des Veranstalters in der britischen Hauptstadt gegen den Brexit demonstriert. Aufgerufen zu dem Marsch hatte die Kampagne "People's Vote", die ein zweites Referendum zum EU-Austritt durchsetzen will. Nach ihrem Willen sollen die Briten das Recht bekommen, über ein finales Abkommen abzustimmen. Die Veranstalter hatten mit rund 100.000 Teilnehmern gerechnet. Diese Zahl wurde aber weit übertroffen. Offizielle Behördenzahlen liegen bislang aber nicht vor.
Viele Demonstranten hatten sehr weite Anreisen auf sich genommen, etwa von den mehr als 1000 Kilometer entfernten Orkney-Inseln vor der Nordküste Schottlands, um ihrem Ärger Luft zu machen. An dem Protestzug und der anschließenden Kundgebung nahmen Familien mit Kindern ebenso wie EU-freundliche Abgeordnete der regierenden Konservativen oder etwa Londons Bürgermeister Sadiq Khan teil. Der Labour-Politiker schrieb bei Twitter von einem "historischen Moment in unserer Demokratie".
Viele Kundgebungsteilnehmer begründeten die Forderung nach einer weiteren Abstimmung damit, dass sie bei dem ersten Brexit-Referendum vor zwei Jahren über die Folgen getäuscht worden seien. "Die Bürger sind in mehrerlei Hinsicht irregeführt worden", erklärte der Demonstrant Peter Hancock. Der Brexit werde in der Realität anders aussehen als es sich viele erhofft hätten.
Die politisch angeschlagene Premierministerin Theresa May hatte allerdings schon im Vorfeld klar gemacht: Ein zweites Referendum soll es nach ihrem Willen nicht geben. Darüber schimpfte eine Protestlerin aus Lancaster: "Das ist doch alles Banane! Total verrückt!" An dem Protestzug bei Sonnenschein nahmen auch zahlreiche Schüler und Studenten teil, von denen sich viele wegen ihres Alters noch nicht an dem Brexit-Referendum 2016 beteiligen durften.
Angst vor einem chaotischen Brexit
Vor zwei Jahren hatte eine knappe Mehrheit (52 Prozent) der Briten für den Austritt gestimmt. Großbritannien will sich bis Ende März 2019 von der Europäischen Union trennen. Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel sind jedoch ins Stocken geraten. Viele Briten treibt inzwischen die Sorge um, dass es angesichts der Differenzen zwischen London und Brüssel zu einem chaotischen Brexit ohne vertragliche Regelungen kommen könnte. Dies würde Folgen für alle Lebensbereiche haben und voraussichtlich zu wirtschaftlichen Einbußen führen. Zuletzt mehrten sich in Großbritannien die Stimmen, die ein neues Referendum fordern.
Auch die deutsche Justizministerin Katarina Barley (SPD) äußerte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und der französischen Zeitung "Ouest-France" gegenüber den Wunsch nach einer zweiten Abstimmung der Briten über den EU-Austritt. "Zu dem Zeitpunkt, als das Referendum stattfand, hatten weder Befürworter noch Gegner eine konkrete Vorstellung, was ein Austritt aus der EU bedeuten wurde", so Barley, die neben dem deutschen auch den britischen Pass besitzt.
ie/uh (afp, dpa)