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Politik

Massenexodus aus Bangkok

Julian Küng
30. März 2020

Die Corona-Epidemie stellt auch Thailand vor schwere Herausforderungen. Viele informelle Arbeitskräfte in Bangkok haben keinen Job mehr und drängen zurück nach Hause - das wiederum erschwert die Eindämmung des Virus.

Thailand Coronavirus | Wartebereich für Lebensmittelbestellungen zum Mitnehmen
Bestellung von Lebensmitteln in einem Einkaufszentrum in ThailandBild: picture-lliance/dpa/AP/S. Lalit

Seit die Regierung vergangene Woche den Ausnahmezustand ausgerufen hat, ist die einst pulsierende Hauptstadt Bangkok zu einer verschlafenen Stadt geworden. Dunkle Abdeckplanen bedecken die sonst belebten Marktstände und Garküchen. Einkaufszentren, Restaurants und Bars wurden geschlossen. Hotels und Jugendherbergen bleiben dagegen geöffnet, ebenso Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte sowie die Fabriken des Landes. In einer Mitteilung der australischen Botschaft wird extra darauf hingewiesen, dass es keine Ausgangssperre gibt.

Taxifahrer NarongBild: DW/J. Küng

Taxifahrer im Wartestand

Dennoch sind die Straßen in Bangkok ungewohnt frei von Staus. Einzig an den Taxiständen reihen sich die Blechlawinen der wartenden Chauffeure. "Vor der Coronakrise vergingen zwischen den Kundenfahrten etwa 10-20 Minuten. Jetzt sitze ich seit zwei Stunden auf diesem Mäuerchen und kein Kunde in Sicht”, sagt Taxifahrer Narong, der weit mehr Zeit am Straßenrand als hinter dem Lenkrad seines teuer gemieteten Toyotas verbringt. "Die Firma hat die Mietkosten zwar von 900 Baht (25 Euro) auf 500 Baht (14 Euro) pro Tag reduziert. Aber wie soll ich die Tagesmiete bezahlen, wenn ich pro Tag nur noch 300 Baht (acht Euro) einnehme?”, klagt der 50-jährige Taxifahrer. "Ich habe keine Sozialversicherung. Wenn das so weitergeht, bleibe ich besser zu Hause, um keine Schulden anzuhäufen."

Narong gehört zu den rund 24 Millionen Thailändern, welche einer informellen Arbeit nachgehen. Der sogenannte informelle Sektor umfasst über 60 Prozent der thailändischen Beschäftigten und umfasst alle ungesicherten Arbeitskräfte wie Straßenverkäufer, Motorradtaxifahrer, Selbständige und Freiberufler.

Unterstützungspaket für informellen Sektor

Die Regierung hat diesen Menschen finanzielle Unterstützung zugesagt. 5000 Baht (knapp 140 Euro) pro Monat soll jeder aus diesem Sektor erhalten, der von der Epidemie betroffen ist. Die Registrierungswebseite mit dem hoffnungsvollen Namen "Wir lassen niemanden zurück” brach aufgrund der Anmeldeflut kurzzeitig zusammen. Fast 20 Millionen Menschen meldeten sich bis Montag (30.03.) für die Finanzhilfe der Regierung an. 

Die Stärkung des informellen Sektors ist Teil eines 117 Milliarden Baht (rund drei Milliarden Euro) umfassenden Hilfepakets der Regierung, das die taumelnde Wirtschaft in Thailand auf den Beinen halten soll. Doch aus welcher Kasse die Hilfsgelder fließen sollen, bleibt ungewiss. Der Notfallfonds sei schon nahezu aufgebraucht, melden die Budgetverantwortlichen. Bleibt nur noch eine Querfinanzierung aus anderen Behördenstellen oder die Finanzierung durch eine Notkreditverordnung, worüber das Parlament bald diskutieren muss.

Checkpoint in BangkokBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/SOPA images/Y. Kongprasert

Fluchtbewegungen und Kontrollen

In der Zwischenzeit steigt die Zahl der Infizierten im Königreich täglich an. Wurden Anfang März noch 50 Patienten mit Covid-19 diagnostiziert, sind jetzt am Ende des Monats bereits über 1500. Die Bevölkerung wird aufgefordert, die Regeln vom "sozialen Abstand" zu befolgen. Versammlungen und Protestveranstaltungen sind gesetzlich verboten. Man "soll" nur noch, wenn absolut notwendig, in andere Provinzen reisen, stellte Vizepremier Wissanu klar. Sicherheitskräfte würden den Meterabstand zwischen den Fahrgästen überprüfen, ob alle Masken tragen, und bei den Passagieren Fieber messen. 

Die größte Ferieninsel Phuket hat sich unterdessen komplett abgeschottet. Weitere Gebiete könnten bald zu Sperrzonen erklärt werden. Die drohende Einschränkung der Bewegungsfreiheit hat im Ballungszentrum Bangkok zu einem Massenexodus geführt. Zehntausende Thailänder und Gastarbeiter, die von heute auf morgen keine Arbeit mehr haben, flüchteten Richtung Heimat.

Marktstandbetreiberin Sommai in BangkokBild: DW/J. Küng

Angst vor Rückkehrern in den Provinzen

"Menschenmassen drängelten sich vergangene Woche an der Busstation", sagt die Marktstandbetreiberin Sommai am zentralen Busbahnhof im Norden Bangkoks. Die 50-Jährige darf die für den öffentlichen Verkehr obligatorischen Schutzmasken noch verkaufen. Ihre Marktstandnachbarn mussten allesamt dichtmachen und sind in ihre ländlichen Heimatprovinzen verreist. "Ich kann sie schon verstehen. Sie haben ja kein Einkommen mehr, um in Bangkok ausharren zu können. Aber es ist schon beängstigend zu sehen, dass so viele Menschen aus dem Risikogebiet nun in die ländlichen Provinzen ausschwärmen", sagt Sommai.

Mit 715 Infizierten und 46 Prozent der landesweit bestätigten Fälle gilt Bangkok als Epizentrum der Coronakrise in Thailand. Sommais Verwandtschaft hat sie deshalb gebeten, nicht in ihre Heimat Nakhon Sawan zu reisen, aus Furcht vor dem Coronavirus.

Tourismus in Thailand stark betroffenBild: picture-alliance/ZumaPress/SOPA Images/A. Chabsungnoen

Auswirkungen auf die Nachbarländer

Nicht nur thailändischen Provinzen droht die rapide Ausbreitung des Virus. Auch Nachbarländer wie Kambodscha, Laos und Myanmar werden mit der Rückkehr von Gastarbeitern zu kämpfen haben. Laut der internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen lebten in Thailand vor Ausbruch der Pandemie vier bis fünf  Millionen Arbeitsmigranten aus den Nachbarländern, alle mit schlecht funktionierenden Gesundheitssystemen, die kaum in der Lage sind, die medizinische Versorgung in ausreichendem Masse sicherzustellen.

"In diesen Regionen gibt es zwar ein Netzwerk von Malaria-Kliniken. Für die Bekämpfung von anderen Infektionen sind diese Systeme aber kaum gewappnet", sagt der Immunologe Al Edwards von der englischen Universität Reading, der in Südostasien an der Eindämmung des Dengue-Virus mitgewirkt hat. "Ich befürchte, dass viele südostasiatische Länder mit ihren Maßnahmen der Ausbreitung des Virus hinterherhinken und damit die gleichen Erfahrungen wie Europa und die USA machen werden."

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