Massengrab in Serbien könnte Aufklärung bringen
25. April 2014Die Belgrader Machthaber hatten 1999 noch eine letzte Aufgabe für Armee und Milizen, nachdem der Kosovo-Krieg für die serbische Seite schon verloren war: Leichen der getöteten kosovo-albanischen Zivilisten nach Serbien zu transportieren und zu verbergen, um das Ausmaß der eigenen Verbrechen zu verschleiern. Das gehörte zum sogenannten "strategischen Rückzug der Streitkräfte", den der serbische Autokrat Slobodan Milošević nach den 78-tägigen Luftangriffen der NATO und dem dadurch erzwungenen Friedensabkommen angeordnet hatte.
Mehr als 13.500 Menschen - die Mehrheit davon Kosovo-Albaner - sind während des blutigen Kosovo-Konflikts getötet worden. In den vergangenen fünfzehn Jahren wurden in Serbien bereits die Leichen von 1200 Kosovo-Albanern entdeckt. Bis heute werden mehr als 1500 Menschen weiterhin als "vermisst" geführt.
Staatlich angeordnete Verbrechen
In Rudnica, einem Dorf in Südserbien in der Nähe des Kosovo, begannen am Donnerstag (24.04.2014) die Grabungen im früheren Steinbruch einer staatlichen Baufirma. Nach Angaben eines Zeugen könnten sich dort 400 Leichen befinden. In Rudnica wurden bereits im vergangenen Jahr die sterblichen Überreste von sechs Opfern entdeckt. An zwei Leichen wurden DNA-Tests durchgeführt, die eindeutig bewiesen, dass sie zu den seit dem Krieg vermissten Kosovo-Albanern gehörten. Man suche auch Beweise, um Verbrechen rekonstruieren zu können, sagt Chefarchäologe Andrej Starović. "Die LKW, die hier möglicherweise Leichen transportiert haben, hinterlassen Spuren. Es gibt viele materielle Beweise wie Kleidungsstücke und Kugeln", sagt er im Gespräch mit Radio Free Europe. Details zu diesen Funden würden in etwa zwei Monaten bekannt werden.
Es handele sich um massive Verbrechen, die definitiv organisiert gewesen seien, mahnt die Belgrader Journalistin Milica Jovanović, die für das linksliberale Online-Portal Peščanik schreibt. "Um Massengräber zu errichten, brauchte man Logistik, Personal und Maschinen. Aber in Serbien taucht diese entscheidende Frage gar nicht auf: Inwiefern wurden die Verbrechen gegen Albaner vom Staat systematisch organisiert?", so Jovanović im Gespräch mit der DW. Belgrads Strategie sei heuchlerisch: Ab und zu würde man einzelne Verbrechen klären und nur direkte Täter anklagen, gleichzeitig aber nicht über den staatlichen Charakter dieser Gräueltaten sprechen.
Wenn die Vermutungen über die Zahl der Opfer in Rudnica bestätigt werden, wäre das das zweitgrößte bisher entdeckte Massengrab in Serbien. In Batajnica bei Belgrad, dem damaligen Stützpunkt für serbische Sondereinheiten, wurden fast 1000 Leichen gefunden. Weitere wurden im See Perućac entdeckt, sowie in einem Kühlwagen in der Donau. Ein wichtiger Zeuge, der in Kriegszeiten ein Fahrer der serbischen Armee war und heute unter einer neuen Identität in einem EU-Land lebt, beschrieb noch 2001 in der serbischen Presse, wie Hunderte von Leichen in die Industriestadt Bor transportiert und dort vermutlich in Hochöfen verbrannt wurden: "Ich musste von Kosovo nach Bor immer nachts fahren. Auf dem Reiseauftrag stand nur: 'Vertraulich!'. Es wurde mir schnell klar, dass ich Leichen transportiere."
Mörder hinter Gitter bringen
Die frühere serbische Provinz Kosovo erklärte vor sechs Jahren einseitig ihre Unabhängigkeit. Obwohl Serbien die Souveränität des jüngsten europäischen Staates nicht anerkennt, schlossen die Regierungen beider Länder mehrere Vereinbarungen in Brüssel. Man müsse sich gegenseitig nicht lieben, doch Vertrauen solle geschaffen werden, sagte der neue serbische Premierminister Aleksandar Vučić. "Ich kann Ihnen versichern: Kein Verbrecher wird verschont. Jeder, der ein Verbrechen begangen hat, wird sich dafür verantworten müssen", so Vučić im DW-Interview. Das kosovarische Parlament in Priština hat unter internationalem Druck der Gründung eines Kriegsverbrechertribunals zugestimmt - obwohl die dortige Öffentlichkeit und die meisten Politiker ursprünglich dagegen waren. Es soll die Untaten der selbsternannten Kosovarischen Befreiungsarmee (UCK) aus der Zeit des Kosovo-Kriegs untersuchen.
Sowohl die serbische als auch die kosovarische Seite braucht glaubwürdige Prozesse, um alle Kriegsverbrecher hinter Gitter zu bringen, sagt Ilir Deda, Direktor des Instituts für Politikforschung in Priština. "Eigentlich sollte die Frage der Vermissten in dem Dialog als erste vom Tisch sein. Erst dann können zwei Staaten und Gesellschaften ernsthaft ihre Beziehungen normalisieren", sagt Deda in DW-Gespräch. Doch das Schicksal vieler Menschen, die im Krieg verschwunden sind, ist immer noch ungeklärt. Wie Belgrader Wochenzeitung Vreme noch vor 13 Jahren schrieb: "Das Problem mit den Toten ist, dass sie ganz laut schreien und die Gerechtigkeit verlangen können."