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Politik

Brexit: "Lieber Besuch" aus London

16. Oktober 2017

Die britische Premierministerin will vor dem EU-Gipfel die Blockade in den Brexit-Verhandlungen mit EU-Kommissionchef Juncker lösen. Wird sie abblitzen? Bernd Riegert berichtet.

Großbritannien Theresa May und Jean-Claude Juncker
Erstes Dinner im April: May und Juncker lagen über KreuzBild: Reuters/H. McKay

Die Differenzen zwischen der britischen Premierministerin und der EU-Kommission beginnen schon bei der Darstellung, wie der überraschende Besuch von Theresa May bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montagabend überhaupt zustande kam. Am Freitag Nachmittag letzter Woche stand der Dinner-Besuch noch nicht auf der offiziellen Terminliste von Juncker. Downing Street Nummer 10, das Büro der Premierministerin, behauptet jedoch, der Besuch sei schon lange geplant gewesen. Zweck: über allgemeine Fragen, die G7 und die G20 zu plaudern. "Unsinn", heißt es dazu von EU-Diplomaten in Brüssel. May habe sich über das Wochenende quasi selbst eingeladen. "Lieber Besuch" aus London vier Tage vor einem entscheidenden EU-Gipfel sei Jean-Claude Juncker aber immer willkommen, heißt es süffisant in Brüssel.

Letzte Woche hatte der EU-Chefunterhändler für den Brexit, Michel Barnier, nach der fünften aus seiner Sicht erfolglosen Verhandlungsrunde mit Brexit-Minister David Davis erklärt, er könne den Staats- und Regierungschefs nicht empfehlen, mit Großbritannien über künftige Handelsbeziehungen nach dem März 2019 zu sprechen. Für diese zweite Phase der Verhandlungen sei es zu früh, weil weder die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien noch die künftige EU-Außengrenze in Irland noch die finanziellen Fragen auch nur ansatzweise geklärt seien. Davis dagegen hatte von Fortschritten gesprochen und verlangt, die übrigen 27 EU-Staaten sollten jetzt über die Zukunft sprechen und Barniers Verhandlungsmandat verändern.

Davis (li.) und Barnier: Sie reden aneinander vorbei, hier in der 4. VerhandlungsrundeBild: Reuters/F. Lenoir

Können die Chefs den Engpass überwinden?

Diese Blockade will Theresa May offensichtlich mit ihrem Blitzbesuch in Brüssel überwinden. Die Unterhändler haben sich festgebissen, jetzt müssen die Chefs ran, scheint ihr Motto zu sein. "Das werden aber keine offiziellen Brexit-Verhandlungen heute Abend", sagen dazu EU-Diplomaten. Allenfalls könne man über die Strategie sprechen, wie man jetzt weiterkommt. Der EU-Gipfel ist darauf eingestellt, den Briten anzubieten, bis Ende Dezember zu einer Lösung der drei Kernfragen der ersten Verhandlungsphase, inklusive der Brexit-Abschlußrechnung, zu kommen. Dann könne über die Zukunft und die von der Premierministerin vorgeschlagene Übergangsphase gesprochen werden. Als Signal des guten Willens könnten die EU27 intern schon einmal ein Szenario für die zwei Jahre andauernde Übergangsphase entwerfen, aber noch nicht wirklich mit den Briten verhandeln.

Briten: Spalten statt versöhnen

Das reicht der britischen Regierung nicht. Sie hat parallel damit begonnen, die europäischen Partner einzeln und in Gruppen zu bearbeiten. Theresa May telefonierte am Sonntag "konstruktiv" mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Weitere Telefonate und Besuche sollen in den nächsten Tagen folgen. Der britische Außenminister Boris Johnson traf auf dem Landsitz Chevening acht EU-Minister aus Osteuropa zu einem Ruderboot-Ausflug. Johnson glaubt, sie seien den Briten am ehesten zugetan. Ziel der diplomatischen Offensive ist es nach Lesart des EU-Verhandlungsteams um Michel Barnier, einen Keil in die bislang geschlossene Verhandlungsfront der EU zu treiben. Nach britischem Verständnis sträuben sich besonders Deutschland und Frankreich gegen ein Nachgeben gegenüber London. Andere Staaten könnten eher bereit sein, schon jetzt Gespräche über die zukünftigen Beziehungen aufzunehmen. Brexit-Minister David Davis hatte mehrfach erklärt, die Grenzfrage zwischen Irland und Großbritannien lasse sich erst lösen, wenn auch über Handel und Binnenmarkt gesprochen werden. Die Trennung zwischen erster Phase und zweiter Phase sei also sinnlos. Die wurde aber einstimmig von allen EU27-Staaten beschlossen.

Brexit-Rede in Florenz im September: May dachte, sie macht genug Zugeständnisse. Nein, sagte die EU.Bild: picture-alliance/AP Photo/J. J. Mitchell

Aus der Umgebung des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk heißt es nach verschiedenen Medienberichten, dieser sei bereit, bis Ende Dezember abgestimmte Verhandlungspositionen der EU zu den künftigen Handelsbeziehungen vorzulegen, wenn die Briten ihrerseits die Vorbedingungen erfüllten. Vor allem aber müssten sie die verlangten rund 60 Milliarden Euro aus der Brexit-Abschlussrechung auf den Tisch legen. Britische Zeitungen wiederum berichten, Theresa May könnte beim EU-Gipfel Ende der Woche Vorschläge in diese Richtung machen.

Drohen mit dem "harten" Brexit

Aus Sicht der EU steht die Premierministerin erheblich unter Druck, weil in ihrer eigenen Partei der Streit zwischen Abgeordneten und Ministern tobt, die einen harten Brexit ohne Vertrag mit der EU befürworten, und jenen, die das Gegenteil wollen, nämlich einen sanften Brexit mit Übergangsfristen und wasserdichten Vereinbarungen. Vergangene Woche veröffentlichte Theresa May Gesetzentwürfe, die einen harten Brexit vorbereiten sollen. Großbritannien würde nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO Zölle und Abgaben erheben, und keinen Penny mehr nach Brüssel überweisen. Der britische Telegraph schrieb, die EU solle das als Drohung auffassen. Von der EU in Brüssel heißt es, mit dem entstehenden Chaos würde Großbritannien sich selbst schwer schaden. "Es sind Tausende von Dingen zu regeln", mahnte EU-Chefunterhändler Michel Barnier. "Oder wollen die Briten, dass von einem Tag auf den anderen zum Beispiel kein britisches Flugzeug mehr in der EU landen darf", ergänzte ein EU-Diplomat.

Das letzte Brexit-Dinner auf Chefebene liegt schon etliche Monate zurück. Im April zeigte sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker "geschockt" über die Illusionen, die sich Theresa May damals über die Bedingungen des Austritts aus der EU machte. Nachdem der Inhalt der eigentlich vertraulichen Gespräche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht worden waren, war man in der Downing Street irritiert bis beleidigt, denn die Quelle der Enthüllungen musste ein enger Mitarbeiter des EU-Kommissionschefs gewesen sein. Ob das Notfall-Treffen am Montagabend besser läuft, wird man sehen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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