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Politik

Mazedonien: Vom Musterfall zum Sorgenkind

4. Mai 2017

Vor zehn Jahren übernahm Nikola Gruevski mit seiner Partei VMRO das Ruder in Skopje. Seine Bilanz ist verheerend: Die einstige große Hoffnung der EU ist heute ein großes Problem für die Stabilität der Region geworden.

Mazedonien Proteste im Parlament in Skopje
Eskalation der Gewalt: Anhänger der national-konservativen Partei VMRO stürmen das Parlament in SkopjeBild: Reuters/O. Teofilovski

"Die ehemalige jugoslawische Republik (ejR) Mazedonien war einmal ein Vorbild, wenn es um die Annäherung an die EU geht. Davon entfernt sie sich Tag für Tag. Es wird über Jahre mühsam erarbeitetes Vertrauen verspielt", sagt Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, in einem Interview für die DW.

Gerade einmal zwei Millionen Einwohner zählt das politisch extrem polarisierte Balkanland. Der Hass der politischen Gegner reicht bis in die letzte Pore der Gesellschaft. Der kompromisslose Machtkampf zwischen der national-konservativen Partei des ehemaligen Premierministers Nikola Gruevski und Zoran Zaev's Sozialdemokraten dauert schon fast drei Jahre. Mazedonien, das einstige Vorbild einer multi-ethnischen Demokratie auf dem Balkan, hat sich inzwischen zu einem Sorgenkind der EU und der USA entwickelt.

Verspieltes Vertrauen

Dies war nicht immer so. Aufgrund des umsichtigen Vorgehens des ersten Staatspräsidenten Kiro Gligorov hat Mazedonien es in den 1990er-Jahren geschafft, sich aus dem Kriegsinferno in Ex-Jugoslawien fern zu halten. Ein Jahrzehnt später wurde das Land zwar von einem halbjährigen Konflikt zwischen den mazedonischen Sicherheitskräften und albanischen Aufständischen erschüttert, überwand die Krise dann aber durch die Unterzeichnung eines Friedensvertrags. Bereits 2005 erlangte Mazedonien den Status eines EU-Beitrittskandidaten, nach Slowenien als zweiter Nachfolgestaat des ehemaligen Jugoslawiens.

Oppositionsführer Zoran Zaev wurde während der Erstürmung des Parlaments verletztBild: picture-alliance/abaca/N. Batev

Beim NATO-Gipfeltreffen in Bukarest 2008 kam dann aber die Kehrtwende. Griechenland legte damals Veto gegen die Aufnahme Mazedoniens in die NATO ein. Als Grund nannte Athen befürchtete Gebietsansprüche Mazedoniens auf die gleichnamige griechische Region Makedonien. Damit eskalierte ein Namensstreit zwischen den beiden Ländern, der die bilateralen Beziehungen schon seit der Erklärung der Unabhängigkeit Mazedoniens 1991 belastete. Der Kompromissvorschlag aus Skopje lautete: unter dem vorläufigen Namen als die "Ehemalige jugoslawische Republik" in das Militärbündnis aufgenommen zu werden. Doch das lehnten die Griechen entschieden ab - obwohl Athen diesen Namen bei der Aufnahme Mazedoniens in die Vereinten Nationen 1993 bereits schon einmal akzeptierte.

"Diese Episode markiert den Anfang eines Prozesses der Übernahme des Staates durch die Partei VMRO. Das zog sich dann nach und nach durch alle Bereiche - so wie durch die Medien oder bei der Gesetzgebung und Rechtsprechung", sagt Nikola Dimitrov, der ehemalige Botschafter Mazedoniens und jahrelange Vertreter des Landes bei den Namensverhandlungen mit Griechenland.

Die Hysterie der Nationalisten

Gruevski hat es verstanden, aus der Situation bei der Konferenz in Bukarest einen Nutzen für sich und seine Partei VMRO zu ziehen. Er gewann deutlich bei den drei darauf folgenden Parlamentswahlen - dank eines Populismus und der verletzten Gefühle der frustrierten Bürger. Um die nationalistische Hysterie zu beruhigen, empfahl die EU-Kommission 2009, die Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Das sei aber schon zu spät gewesen, so Dimitrov. "Das Veto Griechenlands hatte sich negativ auf die Glaubwürdigkeit Europas in Mazedonien ausgewirkt. Die EU blieb ohne Einfluss, der Beitrittsprozess konnte nicht zur Transformation Mazedoniens in einen Rechtsstaat genutzt werden."

Anhänger des langjährigen Regierungschef Gruevski haben am 27.04.2017 in Skopje das Parlament erstürmtBild: picture-alliance/dpa/B. Grdanoski

Das politische Klima im Land war zunehmend vergiftet. Verbale und körperliche Angriffe auf politische Gegner gehörten zum Alltag. Die Andersdenkenden wurden zu "Verrätern" abgestempelt, man übte immer stärkeren Druck auf Journalisten aus. Korruption, Klientelismus, eine Kontrolle über das Rechtssystem und die Medien: Das alles sind Vorwürfe, die seither in jedem Jahresbericht der Europäischen Kommission zu finden sind.

Das große Ohr

Gruevski baute seinen Machtapparat weiter fleißig aus. So ging das bis Januar 2015. Dann begann der damalige Oppositionsführer Zaev, Auszüge ausMitschnitten von Gesprächen führender Politiker publik zu machen. Hunderttausende Telefongespräche zahlreicher Politiker und Unternehmer wurden illegal mitgeschnitten. Man erfuhr einiges über die Verwicklung der Politik in zahlreiche Korruptions- und Machtmissbrauchsfälle. Die Stabilität im Land wurde nur dank der Vermittlungen der EU, USA und Deutschlands erhalten.

Eine Spezialstaatsanwaltschaft sollte die betroffenen Politiker für ihre Taten zur Verantwortung ziehen. Sie hat seither 30 Ermittlungsverfahren eröffnet. Angeklagt oder verdächtigt sind sowohl Gruevski als auch seine engsten Mitarbeiter. Für die Clique um Gruevski ging es ab sofort um alles oder nichts.

Versuch, einen Konflikt zu schüren

Ein Sieg bei der vorzeitigen Wahl im Dezember 2016 wäre die letzte Chance für Gruevski gewesen, seine Macht zu erhalten. Dadurch hätte er auch einer weiteren Verfolgung durch die Justiz entgehen können. Aus der Wahl ging seine Partei zwar als Siegerin hervor, die nötige Mehrheit wurde jedoch verfehlt. Die albanische Parte DUI, seit acht Jahren Koalitionspartner der VMRO, wechselte die Seiten und entschied sich für eine Zusammenarbeit mit den bis dahin oppositionellen Sozialdemokraten.

Nikola Gruevski: verheerende Bilanz seiner zehnjährigen RegierungszeitBild: Reuters/O. Teofilovski

Als Gruevski klar wurde, dass er die Mehrheit im Parlament verloren hatte, zog er wieder die nationalistische Karte. Eine politische Plattform der albanischen Parteien, die für Gruevski kein Problem darstellte, solange er eine Aussicht auf den Machterhalt hatte, wurde plötzlich verteufelt. Über Nacht erklärte er, diese würde angeblich die Einheit des Staates gefährdet. Mit solchen Behauptungen hetzte er die Öffentlichkeit auf und versuche seine nationalistischen Unterstützer zu mobilisieren. 

Gruevskis Wahl

Die Gewaltszenen im mazedonischen Parlament am 27. April, als die Anhänger Gruevskis das hohe Haus stürmten, waren eine Folge dieser Politik. Der Versuch, eine ethnische Krise in Mazedonien zu erzeugen, und so seinen eigenen Fall zu verhindern, schlug fehl. Dass Gruevski dies bisher nicht gelang, ist auch auf das entschiedene Vorgehen der internationalen Gemeinschaft zurückzuführen. Schnell wurde der Schuldige benannt und bloß gestellt. Der Vorfall im Parlament wurde auf das Schärfste verurteilt.

Doch die Möglichkeit einen Auswegs aus der Krise - ohne Blutvergießen - steht weiterhin in der Macht Gruevskis und seiner Anhänger. Der Abgeordnete der deutschen Sozialdemokraten im Bundestag, Josip Juratovic, fasst die Lage so zusammen: "Gruevski muss eine Entscheidung treffen - sich vor den zuständigen Behörden der Korruption verantwortlich zu machen oder es zuzulassen, dass die Situation dermaßen eskaliert, dass er möglicherweise an Kriegsverbrechen mitschuldig ist."

Boris Georgievski Boris Georgievski leitet die mazedonische Redaktion von Deutsche Welle.
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