Mazedonien stimmt in einem umstrittenen Referendum über einen neuen Landesnamen ab. Dabei geht es auch um Fragen der nationalen Identität und die Mitgliedschaft in NATO und EU. Aus Skopje berichtet Boris Georgievski.
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Risto Mijakovski sitzt in einem Zelt in einem kleinen Park vor dem mazedonischen Parlamentsgebäude in Skopje. Er ist eigentlich Maler. Im Moment setzt er sich als Mitglied der Bewegung Bojkotiram (Boykott) dafür ein, dass die "Republik Mazedonien" erhalten bleibt, wie er sagt. "Indem sie unseren Namen ändern, wollen sie die mazedonische Nation komplett auslöschen. Wir verlieren unsere Identität, unsere Sprache, einfach alles", sagt er der DW.
Die Debatte darüber, welchen Namen das Land tragen soll, schwelt schon seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991. Jetzt erreicht sie ihren Höhepunkt: Die Bürger Mazedoniens, eines der jüngsten Länder Europas, stimmen darüber ab, den Namen der früheren jugoslawischen Teilrepublik in "Nord-Mazedonien" zu ändern.
Sollten die Wähler sich dafür entscheiden, ein "Nord" an ihren Landesnamen zu hängen, könnte das Türen öffnen zur Mitgliedschaft in der NATO und der EU. Sollten sie die Änderung ablehnen, hätte das verheerende Folgen für Mazedonien, eines der ärmesten Länder Europas.
Griechenland und Mazedonien haben im Juni ein Abkommen unterzeichnet. Damit beendeten die beiden Länder einen langanhaltenden Streit, Anlass dafür ist eine Region im Norden Griechenlands, die ebenfalls den Namen "Mazedonien" trägt. Griechenland befürchtete, das kleine Nachbarland könne wegen des identischen Namens eines Tages Gebietsansprüche stellen. Mazedoniens Premierminister stimmte zu, den Namen seines Landes in "Nord-Mazedonien" zu ändern. Im Gegenzug versprach sein griechischer Kollege Alexis Tsipras, nicht länger gegen eine Mitgliedschaft Mazedonies in NATO und EU zu stimmen.
Skopje - Mazedonische Geschichte erfinden
Die Mazedonier stimmen über den zukünftigen Landesnamen ab. Dabei geht es auch um Identität, Mythen und das Erbe der Nation. Der Streit darüber hat die Hauptstadt Skopje radikal verwandelt. Ein Streifzug.
Bild: DW/A. Feilcke
Skopje - eine Stadt will neu entdeckt werden
Rund 540.000 Einwohner hat die Stadt heute. Ihre wechselvolle Geschichte reicht zwei Jahrtausende zurück - Skopje gehörte zum Osmanischen Reich, zu Jugoslawien und ist seit 1991 Hauptstadt der Republik Mazedonien. Von 2009 bis 2015 hat die damalige Regierung versucht, der Stadt ein antikes, national-mazedonisches Gesicht zu geben. Ihr Projekt "Skopje 2014" ist umstritten - und manchmal skurril.
Bild: DW/A. Feilcke
Nachfahren antiker Helden
Über den Staatsnamen wird an diesem Sonntag abgestimmt - der Name der Hauptstadt aber ist unstrittig: Skopje. Sie wurde in römischer Zeit gegründet. Neue Statuen und Bauwerke sollen belegen: Wir sind Mazedonier, Nachfahren Alexanders des Großen. Dieser Brunnen zeigt die ersten Lebensstationen des antiken Königs von Makedonien und seiner Mutter. Auf der Säule im Hintergrund grüßt Vater Philipp II.
Bild: DW/A. Feilcke
Alexander wird wieder Grieche
Der Alexander-Mythos befeuerte den Streit mit Griechenland, das nicht nur den Namen Makedonien für sich beansprucht, sondern auch das Erbe Alexanders. Die 9,4 Millionen Euro teure und 23 Meter hohe Statue Alexanders im Zentrum Skopjes wird darum künftig eine griechische Plakette tragen, die den "Krieger auf dem Pferd" zum Griechen erklärt - so der Kompromiss mit dem Nachbarland.
Bild: DW/A. Feilcke
Purer Historismus - erbaut 2014
Wie ein antiker Tempel ist das Archäologische Museum gestaltet. Bescheiden wirkt daneben die mittelalterliche Brücke, die den Fluss Vardar überspannt. Sie verbindet die moderne Großstadt und die alte Balkanstadt mit engen Gassen und kleinen Geschäften. Dort wohnen die meisten der Albaner, die rund 20 Prozent der Bewohner Skopjes ausmachen.
Bild: DW/A. Feilcke
Kaiser Justinian endlich daheim
Justinian I. wurde um 482 in Tauresium (dem heutigen Skopje) geboren. Der römische Kaiser förderte den Bau und Ausbau vieler Balkanstädte. Als Marmorstatue ist er jetzt nach Skopje zurückgekehrt. Aber auch dieses Schmuckstück kann Mazedoniens Probleme nicht verbergen. Mazedonien ist eines der ärmsten Länder Europas - in dem die Regierung für historisierende Bauten hunderte Millionen Euro ausgab.
Bild: DW/A. Feilcke
Aus modern wird antik
1963 erschütterte ein schweres Erdbeben Skopje und legte vor allem die westlichen Stadtteile in Schutt und Asche. Der japanische Stararchitekt Kenzo Tange schuf danach das neue Antlitz der Stadt: Ein modernes Skopje, funktionalistisch, klar, aus Beton. Doch davon ist kaum noch etwas zu sehen. Stattdessen antike Illusion: Die Säulen und Statuen wurden einfach davor gebaut.
Bild: DW/A. Feilcke
Koggen auf Beton
Ein absurder Höhepunkt der inszenierten historischen Stadtansicht sind drei nachgebaute mittelalterliche Handelsschiffe, die am Ufer der Vardar festgemacht haben - in Beton gegossen. Niemals wären diese dickbäuchigen Koggen zu Wasser hierher gelangt. Doch nicht nur wegen der ästhetischen Zumutung sollen die Schiffe bald wieder verschwinden: Die Betonsockel stören den Flusslauf empfindlich.
Bild: DW/A. Feilcke
Die nackte Wahrheit des Prometheus
Die Statue des Prometheus löste einen Skandal aus, noch bevor sie 2012 aufgestellt wurde: Der Held war nackt! Empörend fanden das einige Frauenorganisationen, eine Zumutung in einem Park, der von Kindern und Frauen besucht wird. Die pragmatischen Baumeister verpassten dem listigen griechischen Gott kurzerhand einen Lendenschurz. Jetzt darf er - jugendfrei - im Park posieren.
Bild: DW/A. Salihbegovic
Albanischer Nationalheld
Skopje war und ist Handels- und Begegnungspunkt vieler Kulturen und Sprachen. Die Stadt ist von Byzanz, vom Islam der Osmanischen Zeit und vom jugoslawischen Sozialismus geprägt. Was den einen der Alexander, ist den anderen der Skanderbeg: Der albanische Nationalheld, der vor 500 Jahren im albanischen Kruja den Vormarsch der Türken aufhielt, ist hoch zu Ross jetzt auch in Skopje zu bewundern.
Bild: DW/A. Bajrami
Das Reich von Zar Samuil
Nicht nur mit Griechenland gibt es Streit um das historische Erbe: Zar Samuil, der von 958 bis 1014 lebte, ist Zankapfel zwischen Bulgarien und Mazedonien. Er verlegte die bulgarische Hauptstadt von Sofia nach Ohrid. Herrschte er über einen bulgarischen Staat oder über einen mazedonischen Staat mit der slawischen Mehrheitsbevölkerung? Zur Entspannung soll die Statue aus Skopje nach Ohrid umziehen.
Bild: DW/A. Salihbegovic
Triumphbogen und Verkehrshindernis
Die Porta Makedonija ist 22 Meter hoch und hat 4,4 Millionen Euro gekostet. Der Triumphbogen ist eines der symbolträchtigsten Monumente der alten Regierung, die Geld aus dem Staatshaushalt veruntreut hat. Eine Uhr an dem Bauwerk zählt jetzt, wie viel der veruntreuten Mittel zurückgezahlt wurden - eine der Maßnahmen der neuen Regierung zur Staatssanierung.
Bild: DW/A. Salihbegovic
Kopfüber in die Fluten
Hoppla - bitte nicht nachmachen! Wer hier kopfüber in die Vardar springt, wird sich sicher eine blutige Nase holen, weil der Fluss zu flach ist. Zum Glück sind die beiden Damen aus Bronze. Die "Zwei Schwimmerinnen" tauchen in den Fluss, der über Griechenland - dort heißt er Axios - in die Ägäis fließt. Wenn beide Nachbarn doch ein bisschen sportlicher und gelassener miteinander umgingen…
Bild: DW/A. Salihbegovic
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Eine historische Chance
Die Regierung in Skopje betont, das Abkommen würde nicht die Identität Mazedonies bedrohen. Vielmehr würde es das Land auf internationaler Ebene stärken. Führende Politiker aus Europa und den USA haben Mazedonien besucht, um die Regierung zu unterstützen - darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Verteidigungsminister James Mattis. "Historische Chancen" würden sich nicht alle Tage ergeben, sagte Kanzlerin Merkel bei einer Pressekonferenz mit dem mazedonischen Premierminister Zoran Zaev. Das Referendum sei eine Gelegenheit, die es in jeder Generation nur einmal gebe.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte bei seinem Besuch in Skopje, der mazedonische Verteidigungsminister könne im Falle eines positiven Ausgangs des Referendums schon im Februar an einem Tisch mit den anderen NATO-Mitgliedern sitzen. Johannes Hahn, Erweiterungskommissar der EU, warnte, Mazedonien würde diese Möglichkeit über Jahrzehnte oder sogar nie wieder erhalten, sollte das Land sie jetzt nicht nutzen.
Risiko Wahlbeteiligung
Ein Diplomat, der im Gespräch mit der Deutschen Welle anonym bleiben wollte, sagt, die EU und die USA würden Zaev und die Regierung unterstützen - aber nur solange das Referendum eine klare Mehrheit für das Abkommen mit Griechenland bringe. Die Haltung von Premierminister Zaev und anderen Ministern zu einer möglichen niedrigen Wahlbeteiligung hatte sich zuletzt geändert. "Ob das Referendum Erfolg hat, entscheiden die, die wählen gehen. Wer nicht wählt, hat keine Bedeutung", sagte Zaev bei einer Pressekonferenz.
Hristijan Mickoski, Anführer der größten Oppositionspartei VMRO-DPMNE hat das Abkommen als "Verrat" bezeichnet. Aber aus Angst, die Unterstützung der EU und der USA zu verlieren, möchte Mickoski offiziell kein Teil der Boykott-Bewegung sein. "Das Abkommen über die Änderung unseres Landesnamens ist schädlich und sollte abgelehnt werden. Es steht gegen die nationalen Interessen Mazedonies und gegen den Staat selbst", sagte er bei einer Wahlkampfveranstaltung.
Mazedonien: Neuer Name?
03:32
Die letzte Hürde
Auch nach der Abstimmung müssen die Befürworter des Referendums noch eine große Hürde überwinden. Die Regierung braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, um das Abkommen mit Griechenland anzuerkennen und die Verfassung zu ändern. Das wird ohne die Unterstützung der VMRO-DPMNE nicht möglich sein.
Eine Quelle innerhalb der mazedonischen Regierung sagte im Gespräch mit der DW, die Regierung hoffe auf eine Kombination aus einem positiven Referendum und internationalem Druck. So könnten eventuell einige Abgeordnete der Opposition umgestimmt werden.
Für Risto Mijakovski und die Boykott-Kampagne wäre das nicht zumutbar: "Nur das Volk kann über diese Frage entscheiden", sagt er der DW. Mijakovski habt bereits entschieden, das er nicht abstimmen wird und hofft, dass das Referendum scheitern wird. Er will erst einmal in seinem Zelt bleiben - solange, bis "Mazedoniens Name sicher ist."