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Russland: Unabhängige Stimmen werden täglich weniger

3. März 2022

Der Krieg gegen die Ukraine darf in russischen Medien nur "Spezialoperation" heißen. Journalisten, die unabhängig berichten, drohen harte Konsequenzen. Jetzt musste selbst ein Radiosender mit Sonderrolle schließen.

Demonstration gegen den Krieg in St. Petersburg.
Demonstration gegen den Krieg in St. Petersburg. Auch die Berichterstattung über solche Proteste will der Kreml klein halten; Journalisten werden bei solchen Kundgebungen ebenso verhaftet wie viele Teilnehmende.Bild: Dmitri Lovetsky/AP/dpa/picture alliance

Es klingt wie aus George Orwells dystopischem Klassiker "1984," ist aber die bittere Realität für russische Journalisten: In ihrer Berichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine dürfen sie bestimmte Wörter wie Krieg, Invasion und Angriff (von russischer gegen die ukrainische Seite) nicht mehr verwenden. Das teilte die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor mit.

Auch wer laut der Regierung im Kreml "Falschinformationen" verbreitet, macht sich strafbar. Zu diesen sogenannten "Falschinformationen" gehört unter anderem die Aussage, dass die russische Armee in der Ukraine zivile Ziele angreift. Alles Lüge, so der Kreml, die "richtigen" Informationen kämen allein von staatlichen Stellen. Dabei sieht die Weltöffentlichkeit jeden Tag neue Videoaufnahmen von zerstörten Wohngebäuden in ukrainischen Städten wie Charkiw, wo Tote aus den Trümmern geborgen werden.

Doch die Berichterstattung darüber versucht die Regierung mit allen Mitteln zu verbieten. "Putin und sein Apparat sind im Krieg, und da sollen die Medien folgen", sagt Christopher Resch, Pressereferent bei Reporter ohne Grenzen, im Gespräch mit der DW.

Zugangsbeschränkungen und Geldstrafen bei unliebsamen Berichten

Den Medienschaffenden, die sich der strikten Zensur widersetzen und mit unabhängigen Fakten über den Krieg in der Ukraine informieren, drohen harte Konsequenzen.

Das musste beispielsweise die Nowaja Gaseta erfahren. Die Tageszeitung gehört zu den bekanntesten unabhängigen Medien in Russland und ist für die investigative Arbeit ihrer Reporter bekannt. Chefredakteur Dmitri Muratow erhielt 2021 den Friedensnobelpreis.

Am Freitag hatte die Nowaja Gaseta eine zweisprachige Ausgabe auf Russisch und Ukrainisch veröffentlicht. "Wir erkennen die Ukraine nicht als Feind an und Ukrainisch nicht als Sprache des Feindes. Und wir werden dies nie anerkennen", erklärte Muratow den Schritt.

Wohl nicht allein wegen des zweisprachigen Titels leitete der Kreml rechtliche Schritte gegen die Zeitung ein. Am Samstag ließ die Medienaufsichtsbehörde verlauten, die Nowaja Gaseta, der Online-Fernsehsender Dozhd (TV-Rain), der als regierungskritisch bekannte Radiosender Echo Moskwy und sieben anderen Medien würden vom Tod ukrainischer Zivilisten und vom Beschuss ukrainischer Städte durch die russische Armee berichten und so Informationen verbreiten, die nicht der Realität entsprächen.

Sollten diese fälschlichen Berichte nicht entfernt werden, so die russischen Behörden, würde der Zugang zu den Medien eingeschränkt, außerdem drohe eine Strafe von bis zu fünf Millionen Rubel (etwa 41.000 Euro, Stand 2. März 2022).

Das Ende von Echo Moskwy

Die erste Drohung wurde bereits wahr gemacht. TV-Rain und Echo Moskwy wurden abgeschaltet, das heißt, sie können erstmal nicht mehr senden. Am Donnerstag dann die nächste Schreckensnachricht für unabhängige Journalisten: Der Direktorenrat von Echo Moskwy hat das endgültige Aus des Senders beschlossen. Echo Moskwy war in einer ungewöhnlichen Situation: Es berichtete zwar unabhängig und ließ viele liberale Stimmen zu Wort kommen, gehört aber der staatsnahen Gazprom Media Holding. Diese zog dem Sender jedoch jetzt endgültig den Stecker.

"Es ist unglaublich", sagt Tamina Kutscher, Chefredakteurin des Grimme-Preis-prämierten Portals Dekoder, das Berichte unabhängiger russischer Medien ins Deutsche übersetzt. Echo Moskwy habe seit 1990 Millionen von Menschen in vielen Regionen Russlands erreicht, aber "auch Echo ist nicht unberührbar."

"Wir konnten ruhig, ohne Einschränkungen, die russische Öffentlichkeit darüber informieren, was so passierte, konnten unsere Meinung sagen", erzählt Alexander Plushev, Moderator bei Echo Moskwy, der DW. Doch dann kam Russlands Invasion der Ukraine.

"Wir haben den Krieg Krieg genannt und nicht 'militärische Spezialoperation'", sagt Plushev. "Ich habe das bis zu meiner letzten Sendung so gemacht, und ich weiß, dass es die Moderatoren der Morgensendungen auch so gemacht haben." Jetzt, nach mehr als drei Jahrzenten unabhängiger Berichterstattung, ist die letzte Sendung von Echo Moskwy gelaufen.

"Die unabhängig berichtenden Medien werden weniger. Täglich", sagt Resch.

"Dicker Teppich von Desinformation und Propaganda"

Kutscher berichtet im DW-Interview, dass schon seit Beginn der Kampfhandlungen in der Ostukraine 2014 ein "dicker Teppich von Desinformation und Propaganda" über Russland liegt. Das seikeine neue Entwicklung.

Doch seit Moskau vor einer Woche in die Ukraine einmarschiert ist, hat sich die Situation für objektiv berichtende Medien im Land noch einmal deutlich verschärft.

"Ich will mir nicht ausmalen, womit wir noch rechnen müssen", sagt Kutscher. "Mit dieser zunehmenden Eskalation des Krieges, die wir gerade beobachten, bei der die Aggression immer härter, blutiger und heftiger wird, steigt auch die Repression im Inneren. Das geht Hand in Hand."

Wie sehen die Russen Putins Krieg?

05:14

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Fernsehen als Hauptinformationsquelle

Webseiten unabhängiger Medien, die zwar in Russland verboten, aber noch aktiv sind, können weiter aus dem Ausland abgerufen werden. Innerhalb des Landes kann man über VPN-Dienste auf sie zugreifen. Solch ein "Virtual Private Network" verschleiert die IP-Adresse des Nutzers, so dass weder Internet-Provider noch Regierung sehen, auf welchen Webseiten man unterwegs ist. Und wenn der VPN-Server in einem Land steht, das beispielsweise den Zugang zu TV-Rain nicht blockiert hat, kann der Nutzer in Russland so weiterhin seine unabhängigen Informationen bekommen.

Auch der Zugang zur Deutschen Welle (DW), sowie zu weiteren unabhängigen Medien wie der BBC, der Nachrichten-Webseite Meduza und der russischsprachigen Webseite des von den USA finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty wurde in Russland mittlerweile blockiert. In einem Brief an die User in Russland rief DW-Intendant Peter Limbourg dazu auf, die Mittel der Internet-Blockadeumgehung zu benutzen, um weiter die Programme der Deutschen Welle erreichen zu können.

Das ist natürlich längst nicht so leicht, wie einfach den Fernseher einzuschalten. Und TV-Nachrichten, die laut Reporter ohne Grenzen "fest in staatlicher Hand" sind, sind immer noch die wichtigste Informationsquelle für viele Russen. Eine Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada Center von 2018 zeigte, dass die Hälfte aller Russen dem glauben, was sie in den Fernsehnachrichten sehen.

"Nehmen wir ältere Menschen: Da ist der Fernseher seit vielleicht 30 Jahren die Hauptinformationsquelle. Dann ist es schwierig, an unabhängige Informationen zu kommen, weil es die in so einem Umfeld einfach nicht gibt", sagt Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen. "Es erfordert aktive Suche [informiert zu bleiben], und das macht es natürlich schwerer."

Menschen, die in Russland gegen den Krieg auf die Straße gehen, droht VerhaftungBild: REUTERS

"Man muss wissen, wem man vertrauen kann"

Auch, wer in Russland auf die sozialen Medien ausweichen will, um sich zu informieren, stößt auf Schwierigkeiten. Facebook und Twitter sind teilweise oder ganz blockiert. Telegram funktioniert zwar weiterhin, wird aber sowohl von pro-russischer als auch von pro-ukrainischer Seite für Propaganda genutzt.

"Da gibt es viel Falschinformation", sagt Resch. Ob die Nutzer der Plattform solche Falschaussagen zu sehen bekommen, oder mit tatsächlichen Fakten versorgt werden, kommt ganz darauf an, wem sie zuhören. "Man muss wissen, wem man vertrauen kann."   

Wer das nicht weiß, hat in Russland mit jedem Tag weniger Möglichkeiten, noch unabhängige Informationen über den Krieg zu bekommen.

Update: Dieser Artikel wurde am 4. März mit Informationen zur Sperrung der DW in Russland ergänzt.

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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