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Politik

Medien in Ungarn: Orbáns Salamitaktik

16. September 2020

Die Offensive der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán gegen die unabhängigen Medien des EU-Landes geht weiter. Betroffene sprechen davon, dass Rede- und Meinungsfreiheit immer stärker unter Druck stehen.

Ungarn Budapest 2012 | Klubradio - Werbung
Werbeplakat mit dem Logo von "Klubrádio", dem letzten regierungskritischen Radio Ungarns Bild: Getty Images/AFP/F. Isza

Erst das größte Nachrichtenportal des Landes. Dann eine traditionsreiche Wochenzeitung. Nun schließlich das letzte noch existierende unabhängige politische Radio. In Ungarns Medienlandschaft geht es derzeit Schlag auf Schlag: Regierungsnahe Geschäftsleute bringen unabhängige Publikationen auf Linie, Behörden die letzten unabhängigen Stimmen zum Schweigen.

Der neueste derartige Fall betrifft den Nachrichten- und Talksender "Klubrádio". Die mit Regierungschef Viktor Orbán gegenüber loyalen Mitgliedern besetzte staatliche Medienbehörde NMHH teilte Ende vergangener Woche mit, sie werde die im nächsten Februar auslaufende Sendelizenz nicht verlängern. Begründung: Der Sender habe wiederholt gegen Bestimmungen des Mediengesetzes verstoßen.

Letzte Bastion des unabhängigen Radiojournalismus

Die Mitteilung war ein Schock für den regierungskritischen Teil der ungarischen Öffentlichkeit, dürfte aber auch gemäßigte Anhänger der Orbán-Partei Fidesz überrascht haben. Denn "Klubrádio" ist seit langem die letzte Bastion des anspruchsvollen unabhängigen Radiojournalismus in Ungarn, das einzige noch regierungskritische Radio des EU-Landes wurde auch in Regierungskreisen viel gehört. "Es steht nahezu fest, dass wir dicht gemacht werden", sagt György Bolgár, der prominenteste Moderator des Senders, gegenüber der DW. "Ich glaube nicht, dass wir noch eine Chance haben."

Die Gründe, welche die Medienbehörde für das Auslaufen der Sendelizenz anführt, sind in ihrer Geringfügigkeit kaum zu überbieten: Unter anderem soll "Klubrádio" NMHH nicht rechtzeitig mitgeteilt haben, welches der Anteil ungarischer und ausländischer Musik im Programm gewesen sei. Weitaus schwerere Verstöße regierungsnaher Medien werden längst nicht so streng geahndet."Die Behörde hätte auch einfach sagen können, dass sie uns nicht mag", kommentiert "Klubrádio"-Direktor András Arató.

Szabolcs Dull, Ex-Chefredakteur von "Index", dem meistgelesenen Nachrichtenportal UngarnsBild: István Huszti

Offensive gegen unabhängige Medien

Der Fall "Klubrádio" ist der vorläufige Höhepunkt einer Offensive der Orbán-Regierung gegen unabhängige Medien. Sie begann im Frühjahr mit "Index", dem mit Abstand meistgelesenen Nachrichtenportal Ungarns. Die Firma Indamedia, die das Einnahmen- und Anzeigengeschäft von "Index" verwaltet, bekam in Gestalt des regierungsnahen Medienmanagers Miklós Vaszily einen neuen Miteigentümer. Der präsentierte einen Plan zur Umstrukturierung der Redaktion. Als diese sich dagegen wehrte, wurde Ende Juli der Chefredakteur Szabolcs Dull entlassen.

Tage später kündigte aus Solidarität nahezu die gesamte Redaktion. Seitdem ist "Index", das zuvor durch geistreiche Berichterstattung und viele investigative Recherchen glänzte, nur noch ein Schatten seiner selbst. Die ehemalige Redaktion will in den kommenden Wochen unter dem Namen "Telex" ein neues unabhängiges Portal starten und wirbt derzeit um Unterstützer. Ob "Telex" allerdings jemals die Bedeutung von "Index" erreichen wird, ist offen.

Dass "Index" Orbán und sein System gewaltig störte, steht außer Zweifel. Vor gut einem Jahr arbeitete das Portal einen Sex-Skandal eines Bürgermeisters im Nordwesten Ungarns auf, der stellvertretend die korrupte Selbstherrlichkeit und moralische Doppelzüngigkeit in Orbáns christlich-nationalkonservativer Partei Fidesz zeigte. Sie verlor die Kommunalwahl daraufhin in nahezu allen größeren Städten und Gemeinden Ungarns krachend.

Chefredakteur musste gehen

Nach dem Fall "Index" folgte in einem anderen Medium der Rauswurf eines weiteren Chefredakteurs - diesmal bei der traditionsreichen liberalen Wochenzeitung "168 óra". Péter Rózsa musste das Blatt verlassen, weil zu einem Artikel ein angeblich privates Foto der Orbán-Familie abgedruckt worden war. Dabei hatte Orbán, der sich gern als guter Familienvater präsentiert, das in Ungarn sehr bekannte Foto schon vor längerer Zeit selbst ins Netz gestellt.

Gekündigt worden war Rózsa von Pál Milkovics, einem regierungsnahen Unternehmer, der erst im Juli diesen Jahres als Miteigentümer bei "168 óra" eingestiegen war. Genauer gesagt: bei der Firma "Brit Media", die zum Einflussbereich der regierungsnahen orthodox-jüdischen Gemeinde des Rabbiners Slomó Köves gehört. "Brit Media" hat sich in den vergangenen Jahren in zahlreiche unabhängige Medien Ungarns eingekauft. Anschließend fielen diese häufig durch entschärfte Berichterstattung auf - oder dadurch, dass keine investigativen Recherchen zu Korruption in Orbáns System mehr erschienen.

Das unabhängige Magazin "HVG" bebildert seinen Titel zur Index-Übernahme mit einem glücklichen Viktor OrbánBild: DW/S. Ozsváth

Diese oft eher im Stillen und über längere Zeiträume ablaufenden unternehmerischen Manöver sind ein Teil von Orbáns medialer Salamitaktik. Bei "Klubrádio" liegt der Fall anders - hier ist es die staatliche Medienbehörde, die brachial agiert, gewissermaßen als verlängerter Arm der Regierung.

"Klubrádio" strahlte einst landesweit aus, doch schon kurz nach dem Amtsantritt Viktor Orbáns 2010 wurde der Empfang Stück für Stück eingeschränkt. Bald war der Sender nur noch in und um die Hauptstadt Budapest zu hören. Zugleich begann die damals neu gegründete Medienbehörde NMHH einen regelrechten Krieg gegen die Radiostation. Nach jahrelangem Prozessieren und der finanziellen Quasi-Pleite gewann "Klubrádio" jedoch und konnte von Neuem senden.

Logik eines diktatorischen Einparteiensystems

Insbesondere die frühabendlichen Talk- und Anrufsendungen sind beliebt, weil sie wichtige politische und öffentliche Angelegenheiten thematisieren, zu denen sich neben Gästen aller politischer Lager auch Hörer äußern können. "Wir stören", sagt der Moderator György Bolgár der DW. "Und es liegt in der skrupellosen Logik eines diktatorischen Einparteiensystems, alles, was stört, unter sich zu begraben oder sich einzuverleiben."

Dass die "Index"-Redaktion gegen diese Logik aufbegehrte, fand international große Beachtung - und auch Anerkennung in Form einer Auszeichnung: Am Donnerstag (17.09.2020) erhält der ehemalige "Index"-Chefredakteur Szabolcs Dull den Potsdamer M100-Medienpreis. Die Laudatio hält die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović. "Es ist eine Ehre, diesen Preis zu erhalten", sagt Dull der DW. "Aber es ist nicht mein Preis, sondern einer für die gesamte 'Index'-Redaktion. Ich freue mich über dieses Zeichen der Solidarität in einer Zeit, in der es die europäischen Werte der Rede- und Meinungsfreiheit in Ungarn immer schwerer haben."