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Medien-Krise: New Deal für Journalismus?

11. Juli 2021

Sinkende Auflagen, Fake-News-Kampagnen und gleichzeitig fehlt vielen Redaktionen das Geld. Ein Demokratie-Forum sagt: Zeit, dass der Staat sich engagiert.

USA New York | US-Medien wehren sich gegen Trump
2018 wehrte sich die New York Times gegen Anschuldigungen des damaligen US-Präsident Donald TrumpBild: Mark Lennihan/AP/dpa/picture-alliance

Es gibt sie noch, die treuen Leser: "In letzter Zeit rufen vermehrt Leser unserer Zeitungen proaktiv in der Redaktion an, um zu versichern, dass es ihnen sehr wichtig ist, dass es die gedruckte Zeitung weiterhin gibt", sagt Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts - einer Tageszeitung der mittelgroßen Kleinstadt Minden in dem westlichen Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW). Die verkaufte Auflage beträgt rund 26.000, Tendenz sinkend - trotz loyaler Abonnenten. In den vergangenen 23 Jahren ist die Auflage um 27 Prozent zurückgegangen.

Alltag in vielen Redaktionen. Nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie stecken Medien in einer tiefen Krise. Autoritäre Staaten rüsten online mit Fake-News-Kampagnen auf, gleichzeitig schwinden die Ressourcen der Medienhäuser in demokratischen Ländern. Allein in Deutschland ist die Auflage großer Tageszeitungen in den vergangenen 20 Jahren um 45 Prozent zurückgegangen.

In den USA sind sogenannte "news deserts" entstanden, Nachrichtenwüsten, ganze Landstriche also, die nicht mehr mit Informationen, beispielsweise durch Lokalzeitungen, versorgt werden. In den vergangenen 15 Jahren haben über 2000 Zeitungen in den USA dichtgemacht.

"Die Kräfte, die den Journalismus bedrängen, ihn einschränken wollen, ihn kontrollieren und mancherorts zu verdrängen suchen, werden stärker und die Techniken und die Fronten, von denen aus dies geschieht, vervielfachen sich", sagt Sameer Padania der DW. Er hat gemeinsam mit zahlreichen Kollegen und Kolleginnen den Bericht "A New Deal for Journalism" verfasst, herausgegeben vom Forum für Information und Demokratie, das 2019 von der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) initiiert wurde.

Der in dem Bericht geforderte "New Deal" für den Journalismus meint einen grundsätzlichen, umfassenden Ansatz, um Medienhäuser - egal ob print, digital oder linear - vor dem Aus zu bewahren. "Der Journalismus soll quasi neu gedacht werden, und zwar nicht als 'Mediensektor', sondern als zentrales Element der Presse- und Meinungsfreiheit", sagt Christophe Deloire, Generalsekretär von ROG und Vorsitzender des Forums für Information und Demokratie.

Niedrigere Steuern für die Medien, Gutscheine für die Nutzer

Antreiber und zentraler Akteur dieser Vision eines "New Deal" sollen dabei die Regierungen demokratischer Staaten sein. Das Forum gibt dabei eine Reihe von Empfehlungen heraus, mit denen Staaten bis zu 0,1 pROZENT ihres Bruttosozialproduktes pro Jahr für den Journalismus bereitstellen können. Als oberstes Leitprinzip gilt dabei, dass Regierungen jegliche Unabhängigkeit, sei es redaktionell oder strukturell, der Medienschaffenden respektieren und sichern.

So sollen innerhalb von zehn Jahren innovative, hochwertige Medienmärkte entstehen. In der Vision des "New Deal" gehe es laut des Berichts nicht darum, eine spezielle Mediengattung, wie Print oder Online-Formate, zu bevorzugen. Vielmehr sollten auch innovative Projekte gefördert werden.

Dabei gebe es nicht die eine maßgeschneiderte Option, stattdessen sei der "New Deal" eine Vision, um die sich verschiedene Interessenvertreter scharen könnten, um dann auf der lokalen Ebene die ideale Ausarbeitung zu schaffen. Einige Empfehlungen innerhalb des Berichts sind struktureller Natur, wie das Aufbauen von dauerhafter finanzieller Unterstützung beispielsweise durch Steuererleichterungen.

Andere Maßnahmen umfassen kleinere staatliche Unterstützungen, wie das Bereitstellen von Mediengutscheinen, damit sich beispielsweise auch weniger wohlhabende Menschen ein Abonnement einer Zeitung oder Online-Dienstes leisten können.

"Viele Regierungen haben über die Notwendigkeit gesprochen, unabhängigen Journalismus zu unterstützen, die Medienfreiheit aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass ihre Bürger Zugang zu Informationen haben. Nun ist es an der Zeit, dass sie in diesen Fragen eine Führungsrolle übernehmen", sagt Studien-Autor Sameer Padania.

Finanzierung ja, Eingriff in die Berichterstattung nein

Regierungen als Finanziers von Journalisten? Das ist zumindest in Deutschland ein neuer Ansatz, der einige angesichts der Erfahrung zweier Diktaturen samt gleichgeschalteter Presse skeptisch machen dürfte. Der Bericht des Forums für Information und Demokratie betont, dass die Früchte ihrer Vision eines unabhängigen florierenden, innovativen Medienmarkts nur "rights respecting countries" werden ernten können. Also Staaten wie Deutschland, welche die Bürgerrechte achten.

"Der Bericht thematisiert die Finanzierungslücke im Journalismus. Und es ist Konsens der Forschung, dass die öffentliche Hand, dass der Staat, sich engagieren muss", sagt Christopher Buschow, Juniorprofessor an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar der DW. Andere Lösungen wie flächendeckende Stiftungen hätten sich nicht erfüllt.

Christopher Buschow forscht zu Organisation und vernetzten MedienBild: Matthias Eckert

Auch Benjamin Piel, der Chefredakteur des Mindener Tageblatts, weiß, dass seine Redaktion die Herausforderungen nicht ewig wird alleine schultern können: "Die Produktion und der Vertrieb einer Zeitung wird immer teurer, je weniger Abonnenten es gibt", sagt er der DW. Denn wenn es in einer Straße statt 20 nur noch 15 Abonnenten gebe, müsse trotzdem mit dem selben logistischen Aufwand die Straße mit Tageszeitungen bedient werden.

"An der Stelle kann ich mir eine staatliche Untersützung vorstellen", sagt Piel. "Kritisch sehe ich es aber, sobald es an die Finanzierung von Inhalten geht und auch nur der geringste Eindruck entstehen könnte, dass der Staat in die Unabhängigkeit der redaktionellen Berichterstattung eingreift."

Russische Studenten für Pressefreiheit

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An der Stelle des Vertriebs einer Zeitung sollte ein 220 Millionen Euro teures Förderungspaket des Bundeswirtschaftsministeriums ansetzen, das Verlage bei der Zustellung ihrer Zeitungen unterstützen sollte. Das Vorhaben scheiterte aber - auch, weil sich neue Medien-Start-Ups benachteiligt fühlten, da die Förderung sich nur an etablierte Verlage richtete.

Genau diesen Fehler begehen andere Länder nicht. Während sich Deutschland erst noch an die Idee eines unterstützenden Staates gewöhnen muss, existiert in Dänemark beispielsweise bereits eine Presseförderung - gattungsübergreifend, also nicht nur an Printprodukte gerichtet, inklusive eines Innovationsfonds.

Für Volkmar Kah, Geschäftsführer des Landesverbands NRW des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), ist das der richtige Weg: "Zeitungen müssen sich weiterentwickeln. Eine reine Zustellungsförderung unterstützt nur ein sterbendes Geschäftsmodell". Eine staatliche Förderung sollte sich an der Qualität des Journalismus ausrichten und sich nicht allein an Auflage orientieren. Das könne auch unter Umständen ein Start-Up sein, das die Lücke im Lokaljournalismus in Regionen schließt, aus denen sich große Verlage zurückziehen. "Es gibt aber auch in den etablierten Medien große Sorge vor einer staatlichen Einmischung. Und damit muss man sensibel umgehen", sagt Kah der DW. Und Chefredakteur Piel gibt zu Bedenken: "Es gibt viele Leser, die ausschließlich das Printprodukt wollen." Würde er komplett auf eine digitale Zeitung umstellen, würde er diese Menschen nicht mehr erreichen. 

Droht ein Aussterben der Medienlandschaft?

Für den Medienwissenschaftler Buschow aus Weimar ist ohnehin wichtig zu betonen, dass man es sich nicht leisten könne, den Journalismus dauerhaft an den Tropf des Staates zu hängen. "Das birgt sehr viele Gefahren. Anspruch und Ziel wäre es eher, Förderinstrumente zu entwickeln, die jetzt in der Transformationsphase, in der wir uns befinden, in der Lage sind, Innovationen im Journalismus und vielversprechende Projekte anzuschieben, die dann im besten Fall auf eigenen Beinen stehen."

Ungeklärt sei dabei aber noch die Frage, wie zusätzliche Gelder staatsfern verteilt werden könnten. Der Bericht "A New Deal for Journalism" nennt sogenannte "independent intermediary funding bodies", also zwischengeschaltete, unabhängige Institutionen. Diese würden, so Buschow, bereits im Wissenschaftsjournalismus erprobt.

"Klar ist aber", sagt Buschow, "dass es so, wie es derzeit läuft, nicht weiter gehen kann. Dann droht ein Aussterben der Medienlandschaft - mit allen Konsequenzen." Denn Studien hätten immer wieder gezeigt, dass dort, wo freie Medien fehlten, Korruption stärker werde und die Wahlbeteiligung abnähme. Außerdem träten dann andere Akteure auf den Plan, die nur darauf warten, das Vakuum zu füllen: Verschwörungstheoretiker und alternative Medien.

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