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Politik

Medien: Anklage gegen Türken in Deutschland

29. Oktober 2017

Wegen "Terror-Propaganda" soll die Staatsanwaltschaft in der Türkei jetzt sogar gegen türkische Akademiker vorgehen, die in Deutschland leben. Anlass war ein Friedensappell nach dem Militäreinsatz in Kurdengebieten.

Türkei Waffenruhe in Cizre
In der Kurdenstadt Cizre zerstörte das türkische Militär 2015/2016 zahlreiche HäuserBild: Getty Images/C. Erdogan

Nach Angaben von Betroffenen befinden sich etwa 100 Personen im Visier der türkischen Justiz, wie die Sender NDR und WDR sowie die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichten. Die Akademiker gehören demnach zu einer Gruppe, die Anfang 2016 einen Friedensappell unterschrieben hatte. Insgesamt 1128 Akademiker hatten sich dem Bericht zufolge im Januar 2016 einem Appell angeschlossen, in dem sie den türkischen Staat aufforderten, Zerstörungen in den Kurdengebieten zu stoppen. Nun sollen anscheinend alle Unterzeichner angeklagt werden.

Auch einigen der in Deutschland lebenden Unterzeichner des Appells sei eine Anklageschrift bereits zugestellt worden, die den drei Medien nach eigenen Angaben vorliegt. Darin heiße es unter anderem, der "sogenannte Friedens-Aufruf" trage den Charakter "der offenen Propaganda für die Terrororganisation PKK". Der zuständige Oberstaatsanwalt in Istanbul werfe den Unterzeichnern vor, sie hätten zum Ziel gehabt, den türkischen Staat als "illegitime, zerstörende Kraft" und als verbrecherisch darzustellen sowie Gewalt durch die PKK zu legitimieren, so die Anklage.

Nach türkischem Gesetz stehen auf Terror-Propaganda Strafen von bis zu siebeneinhalb Jahren Haft. Fragen von NDR, WDR und SZ zu den Vorwürfen und dem weiteren Vorgehen hat die Istanbuler Staatsanwaltschaft nicht beantwortet.

Friedliche Lösung angestrebt

Die seit 2012 bestehende Initiative der Akademiker für den Frieden tritt nach eigenen Angaben für eine friedliche und demokratische Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes ein. In dem Appell hatten die Akademiker das harte Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in kurdischen Siedlungsgebieten Ende 2015 als "Vernichtungs- und Vertreibungspolitik" bezeichnet. "Wir, die Akademiker und Wissenschaftler dieses Landes, werden an diesem Verbrechen nicht teilhaben!", so die Unterzeichner in dem Aufruf.

"In der Petition, die wir unterschrieben haben steht nichts, was gesetzwidrig ist. Das bestätigen auch mehrere juristische Gutachten", sagt die Juristin Zeynep Kivilcim in dem gemeinsamen Bericht. Sie erwartet, nun auch die Anklage zu bekommen, und fürchtet einen Gerichtsprozess, wenn sie in die Türkei zurückkehrt. In den vergangenen eineinhalb Jahren hätten schon viele der Unterzeichner Folgen zu spüren bekommen. Hunderte von ihnen hätten ihre Arbeit verloren. "Auch ich wurde entlassen", sagt Kivilcim. Sie lebt derzeit in Berlin quasi im Exil. Auch etwa 100 andere Unterzeichner des Appells seien mittlerweile in Deutschland, sagt Kilcim.

Steckt Erdogan dahinter?

Kivilcim sieht den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan hinter den Massenanklagen: "Der Präsident hat schon kurz nach der Veröffentlichung unserer Petition angefangen, uns im Fernsehen zu beleidigen. Weil der Präsident es so bewertet hat, verhalten sich die staatlichen Organe dementsprechend."

Auch sie hat den Friedensappell unterschrieben: Zeynep KivilcimBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Muzaffer Kaya, der mit einem Stipendium zurzeit als Soziologe an der Technischen Universität Berlin tätig ist, betont, dass die Akademiker lediglich gegen schwere Menschenrechtsverletzungen durch türkische Sicherheitskräfte protestiert hätten, die auch in Berichten der UN angeprangert worden seien.

Reaktion auf Zerstörung in Kurdengebieten

Der betreffende Aufruf vom Januar 2016 erfolgte als Reaktion auf den sogenannten Anti-Terror-Einsatz der türkischen Streitkräfte ab Sommer 2015, bei dem die türkische Luftwaffe zunächst Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei, in Syrien und dem Irak bombardierte.

Als die PKK zum Widerstand aufrief, errichtete ihre Jugendorganisation in der türkischen Stadt Cizre und anderen Ortschaften Straßenblockaden, woraufhin die türkische Armee Ausgangssperren verhängte und ankündigte, auf jeden zu schießen, der sich auf die Straßen begebe. Bei ihrem Einsatz setzte die türkische Armee auch Panzer und Artillerie in den türkisch-kurdischen Ortschaften ein.

EU kritisiert Türkei für Verhaftungswelle

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Im März 2017 machte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte die türkischen Sicherheitskräfte für zahlreiche Todesfälle, viele andere schwere Menschenrechtsverstöße und massive Zerstörungen in den Kurdengebieten verantwortlich. Die UN-Einrichtung hatte für ihren Bericht den Zeitraum zwischen Juli 2015 und Dezember 2016 untersucht. Bei Einsätzen der Regierungskräfte in dieser Zeitspanne wurden demnach in den türkischen Kurdengebieten rund 2000 Menschen getötet, unter ihnen 800 Angehörige der Sicherheitskräfte und 1200 Zivilisten. Zwischen 355.000 bis 500.000 Menschen seien aus ihren Heimatdörfern und Städten vertrieben worden. Etwa 1800 Gebäude wurden demnach zerstört.

kle/jj (dpa, tagesschau.de, dw)

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