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Gesellschaft

Selbstdarstellungswahn

Ann-Christin Herbe
21. November 2018

Ein Selfie geknipst, schnell noch einen Filter drauf und dann posten. Brüten soziale Netzwerke Narzissten aus? Oder sind Instagram und Co bloß die nötige Bühne? Ein Gespräch mit Markus Appel über Selbstdarstellung 2.0.

Super Candy
Bild: DW/A-C. Herbe

Deutsche Welle: In Köln-Ehrenfeld  gibt es ein interaktives Museum, in dem man schöne Selfies von sich schießen kann. 30 Euro Eintritt für Selbstdarstellung pur. Kann man da schon von Narzissmus sprechen?

Markus Appel: Meine erste Einschätzung: interessant und auch in keiner Weise empörend oder überraschend auf negative Weise. Würde ich mir das jetzt anmaßen, die eher jungen Leute, die dort hingehen als Narzissten zu beschreiben? Sicher nicht. Das erfordert natürlich eine Kenntnis dieser Personengruppe. Wissenschaftlich gesehen müsste man eine Studie machen. Was sind die Motive dafür? Was sind das für Leute die dort hingehen?  Was sind das für Leute die niemals dort hingehen würden?

Markus Appel forscht im Bereich der Medienkommunikation an der Universität Würzburg.Bild: Markus Appel

Würden Sie denn sagen, dass dieser starke Drang zur Selbstdarstellung heute in unserer Gesellschaft eher akzeptiert wird als früher? Und wird dieses Phänomen weiter zunehmen?

Ich glaube, es gibt einen Hang von Individuen, aber auch von der Gesellschaft, Aspekte der Selbstpräsentation stärker zu gewichten als früher. Das wird sicher so bleiben und das wird sich vielleicht noch intensivieren. Der Eindruck, den wir in der Öffentlichkeit machen, wird noch wichtiger und zwar nicht nur der Face-to Face-Eindruck, sondern auch der Eindruck, den Leute von einem online bekommen können.

Die Medien-Praxis ist natürlich auch eine ganz andere als früher. Ebenso die Mannigfaltigkeit der Bilder von der Wiege bis zur Bahre - sozusagen - und zwischendrin auch viele, die man selbst von sich schießt. Das ist natürlich eine relativ große Veränderung, die wir dort in den vergangenen Jahren durchlebt haben.

Gemeinsam mit Timo Gnambs, einem Professor für Psychologische Methoden Empirischer Forschung, haben Sie eine Metastudie über den Zusammenhang zwischen Narzissmus und sozialen Medien durchgeführt und dabei knapp 60 Studien ausgewertet. Wie lautet ihr Fazit?

Herausgekommen ist, dass es tatsächlich einen Zusammenhang gibt zwischen Narzissmus und Social Media. Wir sprechen dabei aber vom Narzissmus als Persönlichkeitseigenschaft und nicht als krankhafte Störung. Das ist wie eine selbstverstärkende Spirale: Narzissten posten und machen häufiger Selfies und bearbeiten diese intensiver. Wir gehen davon aus, dass diese Beschäftigung mit sich selbst und das Feedback, was man bekommt, dann dazu führt, dass diese narzisstischen Tendenzen noch einmal verstärkt werden. Das führt wiederum dazu,  dass man häufiger Bilder postet, was dann wieder dazu führt... und so weiter.

Mehr zum Thema Narzissmus: Narzissmus und Trump: Großes Ego, nichts dahinter?

Auf welche Arten von Narzissten treffe ich in den Sozialen Netzwerken?

Narzissmus hat viele Facetten. Aber das, was die unterschiedlichen Formen eint, ist Selbstverliebtheit: Ich bin toll und alles muss sich um mich drehen. Gleichzeitig ist man aber auch verletzlich. Nach außen zeigt man sich sehr positiv, aber wenn es nicht um einen selbst geht, dann werden die Personen wütend. Es ist ein fragiles, aber übersteigertes Selbstbild .

Man unterscheidet unterschiedliche Spielarten. Es gibt Menschen, die sind auf einer prahlerischen Note unterwegs, andere sind eher heimliche Narzissten: Man denkt, man ist Supermann, hat aber eigentlich nicht den Mumm, das offen vorzutragen.

In der Sozialwissenschaft sprechen wir von Wahrscheinlichkeitsaussagen. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit ist erhöht, dass jemand ein Narzisst ist, wenn ich weiß, dass die Person sich sehr oft selbst fotografiert und auf Social Media präsentiert. Aber es wäre deshalb noch lange nicht richtig, anzunehmen, wenn ich jemanden neu kennenlerne, der das tut, dass dieser automatisch ein Narzisst ist.

Einige Wissenschaftler sprechen gerne von einer ganzen "Generation Me".

Die wissenschaftliche Lage dazu ist wesentlich unklarer, als einige behaupten. Die Aussage, dass die jüngere Generation narzisstischer und selbstverliebter ist, kann man nicht pauschal machen. Das ist ein klassisches Bild der Jugend, das es seit der Antike gibt. 

Spielt Ihrer Meinung nach der Einfluss sogenannter Influencer dabei eine Rolle?

Ich denke schon. Auch wenn das Konzept von hübschen Vorbildern keinesfalls neu ist. In den 1950er Jahren könnten das zum Beispiel Schauspielerinnen und Schauspieler gewesen sein. Das ist also eine Verlagerung auf ein anderes Medium. Aber diese Vorbilder sind auch sehr positiv und sehr hübsch gewesen. Und sie waren sehr einflussreich, mit vielen Fans.

In den 1970er, 80ern waren es dann vielleicht Sängerinnen und Sänger und jetzt sind es Influencer. Aber es gibt auch Unterschiede: In meinen Augen sind die Influencer heute viel Markt-affiner. Sie sind eigentlich Werbefiguren

Man liest und hört viel über die Probleme, die Social Media mit sich bringt. Journalisten und Wissenschaftler gleichermaßen zitieren gerne Studien, die alles in ein sehr negatives Licht rücken. Wie stehen Sie dazu? 

Ich bin der Meinung, dass dieses Thema viel zu stark skandalisiert wird. Natürlich verkauft sich Negativität gut, aber dadurch wird häufig vieles verzerrt dargestellt. Die Entwicklung von Social Media und Smartphone ging sehr schnell und deshalb ist es wichtig, auf die Risiken und auf die weitere Entwicklung zu schauen.

Es heißt gerne: Die Gehirne oder die Augen der Jugendlichen verschlechtern sich [durch das Starren auf Bildschirme], aber das ist pauschal gar nicht zu sagen. Die Leute, die das behaupten, sind keine Fachwissenschaftler. 

Mehr dazu:Brille nötig: Kurzsichtig durchs Smartphone

Welche Bereiche müsste man denn mehr erforschen, um noch genauere Aussagen über Narzissmus und die sozialen Medien treffen zu können?

Was genau beeinflusst da eigentlich was? Spielt die Persönlichkeit, die man vielleicht ganz früh von seinen Eltern mitbekommt, eine Rolle bei der späteren Mediennutzung und vor allem dem Social Media-Verhalten? Kurz gesagt: Interessant sind vor allem die längeren Prozesse.

Markus Appel ist Diplom-Psychologe und Professor für Medienkommunikation. Er ist Lehrstuhlinhaber für Kommunikation und Neue Medien an der Universität Würzburg. Appel forscht vor allem im Bereich der Medienkommunikation und kognitiven Psychologie.

Das Interview führte Ann-Christin Herbe. 

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