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Medikamentenmangel in Deutschland: Warum ist das so?

8. Oktober 2024

Antibiotika, Fiebersaft - und nun sogar Kochsalzlösungen: Seit Jahren sind in Deutschland und der Europäischen Union bestimmte Medikamente von Lieferengpässen betroffen. Lösungen zu finden ist schwer.

Isotonischen Kochsalzlösungen
Derzeit fehlen Kochsalzlösungen - und das vermutlich noch einige Monate lang Bild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/picture alliance

Sie kosten nur wenige Cents und sind trotzdem derzeit teilweise rar: In deutschen Krankenhäusern und Apotheken sind seit Neuestem Kochsalzlösungen Mangelware - die aber werden dringend für Operationen, Spülungen und Infusionen benötigt. Laut Thomas Preis, dem Chef des Apothekerverbands Nordrhein, hat sich die Situation in den vergangenen Monaten dramatisch verschärft. "Was in den Kliniken schon seit Monaten ein großes Problem ist, erreicht jetzt auch die Versorgung ambulanter Patienten", warnte er gegenüber der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". 

Das Gesundheitsministerium des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen bestätigt die Engpässe. "Demnach werden die Kliniken in NRW und Deutschland bereits seit mehreren Monaten nur noch mit rund 80 Prozent der Bedarfe beliefert, zuletzt sogar nur noch mit rund 50 Prozent", heißt es dort. Und dieser Zustand wird laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch Monate andauern. 

Ein altbekanntes Problem

Schon in den vergangenen Jahren war Deutschland wiederholt von Engpässen bei Medikamenten wie Antibiotika sowie Arzneien für Kinder betroffen. Mit gravierenden Auswirkungen: Bei einer Befragung von Mitgliedern des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte im Frühjahr 2024 sieht rund ein Drittel die Qualität der Behandlung dadurch sogar gefährdet.

Hinzu kommt: Behandlungen werden der Befragung zufolge aufwändiger, weil Ärzte und Ärztinnen vorab prüfen müssen, welche Medikamente überhaupt verfügbar sind. Insgesamt zählt der Deutsche Apothekerverband etwa 500 verschiedene rezeptpflichtige Medikamente, bei denen bereits Probleme auftraten. 

Medikamentenproduktion in China: Der günstige Preis kann teuer zu stehen kommen Bild: Zhu Xudong/dpa/picture alliance

Doch auch andere EU-Länder sind stellenweise von Engpässen betroffen. Laut einer 2023 durchgeführten Umfrage der PGEU (Pharmaceutical Group of the European Union) hat sich die Lage in mehreren Ländern zuletzt verschlechtert, darunter Schweden, Portugal und Spanien.

Billig-Wirkstoffe aus China und Indien - doch zu welchem Preis?

Die Ursachen für den Mangel sind komplex, genauso wie die heutige Herstellung von Arzneien. Galt Deutschland mit seinen großen Pharma-Unternehmen wie Bayer, BASF, Boehringer Ingelheim oder BioNTech früher einmal als "Apotheke der Welt", haben sich die Produktionsschritte mittlerweile aufgespalten und weltweit verstreut - mit entsprechend langen und somit auch potentiell störungsanfälligen Lieferketten.

Ein Großteil der Wirkstoffe wird mittlerweile in China und Indien hergestellt. Dort sind nicht nur die Löhne niedriger. Auch Umweltauflagen spielen eine geringere Rolle als in Europa. Um die Substanzen noch günstiger anbieten zu können, wird zudem auf Massenproduktion und Monopolisierung gesetzt. Das heißt: Immer weniger Anbieter produzieren immer größere Mengen. "Hatten wir zum Beispiel bei Paracetamol-Fiebersaft früher zehn Anbieter, ist heute nur noch ein Hauptanbieter übrig", erklärt Professor David Francas, Lieferketten-Experte von der Hochschule Worms, der DW.

Wie verhalten sich Deutsche, wenn sie krank sind?

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"Wir sind also auf wenige Hersteller angewiesen. Und wenn es dann bei einem klemmt, dann klemmt es gleich in der ganzen Lieferkette", erklärt auch Professorin Ulrike Holzgrabe, Expertin für Pharmazeutische und Medizinische Chemie, von der Universität Würzburg der DW. "Wenn es auf dem Lieferweg zu kleinen Katastrophen kommt, wie etwa der geschlossene Hafen in Shanghai während der Corona-Pandemie oder das quer liegende Schiff im Suez-Kanal - dann kommen die Waren nicht zu uns."

Lösungen finden - gar nicht so einfach

Doch nicht nur die Aufspaltung der Produktion, sondern auch die geringen Lagerbestände und die Just-In-time-Produktion können das Problem verschärfen. Denn dann können kurzfristige Ausfälle in der Herstellungskette nicht mal eben ausgeglichen werden.

Doch die Lager wieder aufzufüllen ist teuer, glauben Experten. Lagerräume kosten Geld - und ob die eingelagerten Medikamente wirklich verkauft werden, ist eben nicht sicher. Die Schwankungen bei der Nachfrage sind enorm: So brach während der Corona-Pandemie bei Infectopharm die Nachfrage zusammen, weil das weit verbreitete Tragen von Masken auch zu einem starken Rückgang mehrerer anderer Infektionskrankheiten geführt hatte. Das Unternehmen musste teure Antibiotikasäfte für Kinder vernichten, weil es sie nicht verkaufen konnte. Zwei Jahre später stieg die Nachfrage wieder in die Höhe. 

Besonders bei Generika spitzt sich das Preisproblem zu. Generika sind sogenannte Nachahmerprodukte und machen rund 70 bis 80 Prozent der Grundversorgung aus. "Und hier ist es so, dass die Margen, um solche Produkte herzustellen, extrem gering sind", sagt Holzgrabe. Rabattverträge und andere Abmachungen, die vor Jahren im deutschen Gesundheitssystem eingeführt wurden, zwingen die Hersteller dazu, möglichst kostengünstig zu produzieren.

Eine Verlagerung der Produktion zurück in die EU - wie vielfach gefordert - dürfte nicht nur deshalb schwierig werden. Auch die Produktion von Feinchemikalien für die Wirkstoffe wird kompliziert. "Wir haben eine Umweltgesetzgebung geschaffen, die das kaum noch ermöglicht", sagt Holzgrabe. Ohnehin wäre dies auch keine Lösung für den anstehenden Winter. "Eine Wiederansiedlung von Produktionsstätten dauert mindestens fünf Jahre", sagt Lieferketten-Experte Francas.

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