Medizinnobelpreis auch an einen Deutschen
7. Oktober 2013Ein Schulbusfahrer hat im Prinzip das gleiche Problem wie eine Zelle: Er muss seine Fracht - in seinem Fall Schüler - von A nach B schaffen, und sie am Zielpunkt - der Schule - wieder absetzen. Was aber, wenn sich die Türen an der Endstation nicht öffnen lassen? Oder wenn er Schüler auf dem Weg zur Schule verliert? Eine Menge Ärger wäre vorprogrammiert.
Dasselbe gilt für die Zelle: Sie transportiert Botenstoffe, zum Beispiel Hormone, von einem Ort in der Zelle zu einem anderen. Dafür verpackt sie die Stoffe in eine Art Bläschen. Geht beim Transport etwas schief und gelangen die Stoffe nicht an ihren Zielort, hat das katastrophale Auswirkungen: Der Mensch wird krank.
"Dieser Transportprozess ist essenziell für Leben", sagt Ann Wehman, Forscherin am Rudolf-Virchow-Zentrum in Würzburg. Er läuft in allen Körperzellen bei allen Lebewesen ab. "Wenn der Prozess komplett blockiert würde, wären wir alle tot."
Zwei US-Amerikaner und ein Deutscher
Die Erforschung dieses lebenswichtigen Systems war dem Nobelpreiskomitee in Stockholm die diesjährige Auszeichnung für Medizin oder Physiologie wert. Drei Forscher dürfen sich freuen: Die US-Amerikaner James Rothman von der Yale-Universität in New Haven und Randy Schekman von der Universität Kalifornien in Berkeley sowie der Deutsche Thomas Südhof. Zu Recht, meint Ann Wehman: "Die drei sind wirklich die 'Big Player' auf diesem Forschungsgebiet."
Thomas Südhof stammt aus Göttingen, wo er Medizin studierte und am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie promovierte. Bereits mit 27 Jahren erhielt er den Doktortitel für Medizin. Anschließend ging er in die USA, wo er heute an der kalifornischen Stanford-Universität forscht.
"Er ist ein sehr intensiver Wissenschaftler", sagt Susanne Schoch McGovern vom Universitätsklinikum Bonn. Sie hat fünf Jahre lang mit Südhof in den USA zusammen gearbeitet. "Er hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis und generiert ständig neue Ideen, um sein Forschungsgebiet voranzutreiben. Und er geht darin völlig auf."
Schoch McGovern erzählt, sie habe schon fast erwartet, dass ihr ehemaliger Chef irgendwann den Nobelpreis bekommt. Er selbst hingegen wohl weniger. Denn als das Nobelpreiskomitee ihn anrief, um ihm die frohe Botschaft mitzuteilen, fragte er nur: "Ist das Ihr Ernst?"
Blitzschnell von einer Nervenzelle zur nächsten
Südhof hat sich vor allem mit der Frage beschäftigt, wie Nervenzellen im Gehirn miteinander kommunizieren. Hier spielen Neurotransmitter die entscheidende Rolle. Das sind chemische Botenstoffe, die von einer Nervenzelle hergestellt und gespeichert werden. Bläschen vollgepackt mit diesen Neurotransmittern stehen bereit, damit sie auf ein elektrisches Signal hin entleert werden können. Schüttet die Nervenzelle die Neurotransmitter aus, reagiert ihre Nachbarzelle darauf und schüttet ebenfalls Neurotransmitter aus. In einem Dominoeffekt pflanzt sich das Signal fort.
Das ist die biochemische Grundlage, auf der unser Gehirn basiert. "Man muss nur überlegen, wie schnell unser Gehirn arbeitet", sagt Ann Wehman. "Das passiert alles innerhalb von Millisekunden, also superschnell." Südhof fand heraus, wie die Zelle diesen ultraschnellen Prozess reguliert, damit nichts schief geht.
Wenn der Transport nicht klappt, wird der Mensch krank
Was passiert, wenn dieser Prozess in der Zelle gestört ist, zeigt die Infektionskrankheit Tetanus. Hierbei setzen Bakterien, die in die Wunde gelangt sind, einen Giftstoff frei. Der verhindert, dass Nervenzellen ihre Neurotransmitter ausschütten können. Es kommt zu Muskelkrämpfen. Weil auch seine Atemmuskulatur ihm nicht mehr gehorcht, erstickt der Patient.
"Die Freisetzung von Neurotransmittern ist die Hauptform, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren", sagt Susanne Schoch McGovern. "Störungen dieser Kommunikation - ein Zuviel oder ein Zuwenig - könnte die Grundlage für viele neurologische Erkrankungen bilden."
Thomas Südhof hat Mäuse genetisch so verändert, dass bei ihnen das Transportsystem in der Zelle nicht mehr richtig funktioniert. Daraufhin bekommen die Tiere entweder epileptische Anfälle, oder verhalten sich so, wie es für Autisten oder schizophrene Patienten typisch ist.
Denn wie beim Busfahrer, der einen Bus voller Kinder in die Schule bringen soll, kann auch in der Zelle vieles falsch laufen.