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Medizin-Nobelpreis: Fortschritte in der Krebsbekämpfung

Brigitte Osterath
1. Oktober 2018

In uns allen steckt eine natürliche Abwehr gegen Tumore, man muss nur die natürlichen Bremsen im Immunsystem lösen. James P. Allison und Tasuku Honjo haben gezeigt wie das geht und bekommen dafür den Nobelpreis.

Melanoma - Hautkrebs - Illustration der Krebszellen
Bild: Imago/Science Photo Library/A. Pasieka

Immunsystem gegen Krebs

00:59

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Für Krebsmediziner Peter Brossart war die heutige Verkündung keine große Überraschung. "Viele hatten damit gerechnet", versichert der Direktor der Abteilung für Onkologie, Hämatologie, Immunonkologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Bonn der DW.

Denn die Entdeckung von James P. Allisonund des Japaners Tasuku Honjo seien wirklich "bahnbrechend". Stefan Laufer, Pharmazeut an der Universität Tübingen und Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, bezeichnet die Errungenschaften als "absolut auszeichnungswürdig".

Unter der neuen Therapie hört nicht nur der Tumor auf zu wachsen, sondern bildet sich in vielen Fällen sogar zurück. Die Behandlung hilft selbst bei Tumoren, die bereits Metastasen gebildet haben. Nach Ende der Therapie bleiben viele Patienten krebsfrei - auch das ist nicht selbstverständlich. "Die Überlebensraten betragen über fünf Jahre, das hat man mit keiner einzigen anderen Therapieform zeigen können", fasst Brossart zusammen.

Peter Brossart lernte James Allison und seine Forschung während eines zweijährigen Forschungsaufenthalts im US-amerikanischen Seattle kennen. Damals habe allerdings noch niemand geahnt, welche herausragenden Erfolge seine Arbeiten einmal bringen sollten. "Mäuse haben wir ja alle geheilt", sagt Brossart. "Aber man glaubt es erst, wenn man das dann auch in klinischen Untersuchungen am Menschen sieht."

Der Trick sind die richtigen Antikörper

Die Selbstheilungskräfte des Körpers gegen Krebs zu aktivieren ist der Traum jedes Naturheilers. Aber gleich vorweg: So einfach ist das nicht: Man muss schon ganz genau wissen, wo man angreift. Eine mögliche Angriffsstelle entdeckte James Allison in den 1990er Jahren während seiner Zeit an der University of California in Berkeley.

Allison untersuchte ein Eiweiß namens CTLA-4. "Es ist Teil der Immunzellen in unserem Körper und erscheint auf ihrer Oberfläche, wenn die Immunzelle scharf gestellt wird", erklärt Pharmazeut Stefan Laufer. Über dieses Eiweiß kann das Immunsystem die Zelle wieder abschalten und so die Immunantwort des Körpers schnell wieder runterregulieren. "Das ist absolut notwendig", sagt Laufer, "denn wenn das Immunsystem überschießt, zum Beispiel bei einer Erkältung, könnte man daran sterben."

Krebszellen nutzen diese Kontrollstellen zu ihrem Vorteil. Sie schalten die Immunzellen über diesen Mechanismus aus und schützen sich so vor dem Immunsystem, um sich unbehelligt weiter auszubreiten. James Allison zeigte damals: Blockiert man das CTLA-4-Eiweiß mit einem Antikörper, legen die Immunzellen los und bekämpfen den Tumor.

Tasuku Honjo entdeckte - ebenfalls in den 1990er Jahren - eine weitere natürliche Bremse im Immunsystem, das Eiweiß PD-1. Auch dieses lässt sich mit einem Antikörper ausschalten. Die Antikörper lassen sich im Labor herstellen und dem Patienten intravenös verabreichen.

Inzwischen haben Forscher gut 50 solcher Kontrollstellen im Immunsystem entdeckt. Man nennt sie auch "Checkpoints". Die Medikamente, die auf sie wirken und das Immunsystem hochregulieren, heißen daher Checkpoint-Inhibitoren, beziehungsweise Checkpoint-Hemmer.

In der Klinik angekommen

Oft wird dem Nobelpreiskomitee vorgeworfen, viel zu lange abzuwarten und wichtige Errungenschaften erst viele Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung auszuzeichnen. Das ist diesmal nicht der Fall. Die Grundlagenexperimente fanden in den 1990er Jahren statt, die Medikamente selbst sind aber erst seit wenigen Jahren auf dem Markt.

Die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (Food and Drug Administration, FDA) ließ im Jahr 2014 den ersten Checkpoint-Inhibitor zu und zwar gegen schwarzen Hautkrebs. Ein Jahr später folgte ein Medikament gegen Lungenkrebs.

Nach Informationen des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller in Deutschland (VFA) sind in der EU inzwischen fünf Krebsmedikamente aus der Klasse der Checkpoint-Inhibitoren zugelassen. Sie werden unter anderem gegen bestimmte Formen von Hautkrebs, Lungenkrebs, Lymphomen und Nierenkrebs eingesetzt.

Die Schattenseiten

Wie alle Medikamente haben auch die Checkpoint-Inhibitoren Nebenwirkungen. "Es kommt zu überschießenden Immunreaktionen und bereits bestehende Autoimmunerkrankungen können wieder aufflammen", erklärt Stefan Laufer.

Peter Brossart fügt hinzu, dass diese Nebenwirkungen auch nach Absetzen des Medikaments nicht einfach so wieder verschwinden, wie es etwa bei einer Chemotherapie der Fall ist. Diese Art der Krebstherapie gehöre daher in die Hände von Medizinern, die sich gut damit auskennen, um Nebenwirkungen möglichst früh zu erkennen.

Außerdem wirkt die Behandlung nicht bei allen Patienten. Warum nicht, sei bis heute ein Rätsel, sagt Brossart. Auch einige Krebsarten scheinen gegen die Medikamente immun zu sein, etwa viele Bauchspeichel- und Dickdarmtumoren.

"Wir versuchen herauszufinden, welche Patienten von der Therapie profitieren und welche nicht." Stefan Laufer bedauert vor allem einen Nachteil der Therapie: Dass die Medikamente so teuer sind. "Unter 100.000 Euro pro Jahr läuft nix", sagt er der DW.

Das liege wie so oft nicht an den Herstellungskosten des Medikaments, sondern an der Kalkulation der Pharmaindustrie und des Gesundheitssystems: Ein Lebensjahr eines Patienten wiege umgerechnet 50.000 Euro auf. Da die Medikamente so gut wirken und viele zusätzliche Lebensjahre bescheren, sind sie also teuer.

Aber egal wie viel die Medikamente kosten, wie viele Nebenwirkungen sie haben und dass sie nicht bei allen Krebspatienten wirken - die Forschungen der beiden Nobelpreisträger haben bereits jetzt viele Menschen vor einem frühzeitigen Tod bewahrt. Damit bedeuten sie tatsächlich einen Durchbruch

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