Medizinchecks: Neue Regeln empören Ausländer
18. Dezember 2021Selten war die Entrüstung unter in Russland lebenden Deutschen und Ausländern so groß. Letzte Woche wurden eine Gesetzesänderung bekannt, die ausländische Arbeitskräfte zu aufwändigen Medizinchecks verpflichtet. Die Gesetzesänderung wurde bereits Ende Juni vom russischen Parlament gebilligt und soll am 29. Dezember in Kraft treten.
Laut der Gesetzänderung müssen ausländische Fachkräfte, ihre in Russland lebenden Familienangehörigen sowie Ausländer, die länger im Land bleiben wollen, alle drei Monate Tests auf Infektionskrankheiten wie HIV, Syphilis, Lepra, Tuberkulose sowie COVID-19 machen. Außerdem sind sie verpflichtet, einen Drogentest zu machen sowie ihre Fingerabdrücke und ein biometrisches Foto bei Behörden abzugeben.
Syphilis- und Drogentests auch für Kinder älter als sechs Jahre
Alle neuen Regeln gelten auch für Kinder, die älter als sechs Jahre sind. Sollte eine dieser Krankheiten festgestellt werden, wird ein Visum nicht erteilt oder ein bestehendes Visum entzogen. Die betroffene Person wird für "unerwünscht" erklärt und zum Verlassen des Landes aufgefordert. Auch jetzt müssen Ausländer schon einen negativen HIV-Test vorlegen, wenn sie ein Arbeitsvisum oder eine Aufenthaltsgenehmigung für Russland für länger als 90 Tage beantragen.
Die russische Regierung hat bis jetzt nicht erklärt, was sie mit neuen Bestimmungen erreichen will. Im Begleitschreiben zum Gesetzentwurf wurde aber darauf hingewiesen, dass die Bürger aus Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau und Usbekistan mit 2,5 Millionen den Löwenanteil der in Russland lebenden Ausländer ausmachen. Da sie laut dem Dokument nur stichprobenartig medizinisch kontrolliert werden, bestehe die Gefahr des "Einschleusens und Verbreitens gefährlicher Infektionskrankheiten in Russland".
Belarussische Staatsbürger werden von den neuen Regeln ausdrücklich ausgenommen - wohl weil Belarus und Russland formal als ein "Unionsstaat" gelten: Belarussen brauchen kein Visum für Russland, außerdem gelten für sie auch stark vereinfachte Regeln bei der Arbeitssuche.
Versuche, die Regelung abzuwenden, haben wenig gebracht
Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) habe sich über Monate hinter den Kulissen bemüht, die Regelung abzuwenden, konnte dabei aber lediglich einen kleinen Erfolg erzielen, sagte der Pressesprecher der AHK, Thorsten Gutmann, auf DW Anfrage. "Ursprünglich sollten die Tests bei jeder Einreise erforderlich sein, jetzt sollen sie alle drei Monate durchgeführt werden," so Gutmann.
Wo und wie die Tests gemacht werden, bestimmen die russischen Behörden. Für in Moskau lebende Ausländer ist dafür das Migrationszentrum in Sacharowo zuständig, das im Südwesten der russischen Hauptstadt etwa 60 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt.
Was dort abgeht, ist eine "reine Schikane", schrieb ein deutscher Geschäftsmann in einem Brief and die AHK, nachdem er versucht hatte, die Medizinchecks zu machen. Die ganze Prozedur nähme mindestens vier ganze Arbeitstage in Anspruch, berichtet der Deutsche. Am ersten Tag musste er stundenlang in jedem der vier Bereiche des Migrationszentrums anstehen, um sich der medizinischen Untersuchung zu unterziehen - in einem Raum mit mehreren hundert Arbeitsmigranten. "Ich würde mich nicht wundern, wenn ich mich da mit Corona angesteckt habe - kaum einer hat Masken korrekt getragen, Abstände wurden nicht eingehalten", so der Mann.
Deutscher Geschäftsmann: Neue Vorschriften sind "nicht akzeptabel"
Beim zweiten Besuch habe er den Großteil seines Arbeitstags wieder in Sacharowo verbracht, "um 'Kurier' für den Immigrationsdienst zu spielen: Medizinische Bescheinigungen abholen und beim Schalter für hochqualifizierte Kräfte einreichen". Laut der Vorschriften muss man alles persönlich machen. Einen weiteren Tag musste er für die Drogentests aufwenden. Und spätestens im Januar stehe dann noch ein weiterer Tagestrip zum Migrationszentrum bevor, um sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen und Fingerbadrücke und ein biometrisches Foto abzugeben.
Der Geschäftsmann nennt die ganze Prozedur "nicht akzeptabel", besonders wenn sie alle drei Monate ansteht und als Teil davon ein vollständiges Röntgen der Lungen erforderlich ist. "Da werde ich mir eher eine andere Tätigkeit in Deutschland suchen. Und so denken wohl viele", schreibt der Deutsche.
Zehn ausländische Wirtschaftsverbände appellieren an die russische Regierung
Über einer Welle der Empörung unter den deutschen Geschäftsläuten in Russland, die sich "zu Recht schikaniert fühlen", berichtet auch derOst-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (OA). Die Änderungen im Gesetz würden die Attraktivität Russlands für ausländische Investitionen erheblich beeinträchtigen und zudem zu einer Abwanderung ausländischer Fachkräfte führen, warnen sowohl der Ost-Ausschuss als auch die AHK Russland. Dies gefährde die wirtschaftliche Entwicklung Russlands, zu denen ausländische Fach- und Führungskräfte erheblich beitragen.
Auf Initiative der AHK Russland und des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft haben in dieser Woche zehn ausländische Wirtschaftsverbände, darunter auch die Association of European Businesses (AEB) und die amerikanische Handelskammer (AmCham), in einem Brief an die russische Regierung die schwerwiegenden Folgen des neuen Gesetzes deutlich gemacht.
"Wir schlagen unter anderem vor, die Anforderungen an gesundheitliche Nachweise für ausländische Fachkräfte auf ein zumutbares Maß zu reduzieren und bestehende großzügigere Aufenthaltsregelungen auch für Familienangehörige beizubehalten", sagte der Pressesprecher des Ost-Ausschusses, Christian Himmighoffen, der DW. Im Ost-Ausschuss setze man darauf, dass der Appell bei den Verantwortlichen Gehör findet, so Himmighoffen: "Nach unserer Beobachtung hat Russland unverändert großes Interesse an der Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen."