Mediziner: Gegen HIV brauchen wir mehr als Medikamente
Gudrun Heise
4. Mai 2019
Wenn jeder HIV-Positive mit antiretroviralen Mitteln behandelt würde, gäbe es keine weiteren Infektionen - so das Ergebnis einer britischen Studie. Doch Sexualmediziner Norbert Brockmeyer ist skeptisch.
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Deutsche Welle: Herr Brockmeyer, Sie leiten das Zentrum für sexuelle Gesundheit in Bochum. Wie schätzen Sie eine neue Studie ein, die besagt, dass HIV-positive homosexuelle Männer, die regelmäßig ihre antiretroviralen Medikamente nehmen ihre Partner nicht mehr anstecken?
Norbert Brockmeyer: Durch antiretrovirale Mittel und eine [durch sie erzielte] geringe Viruslast können wir die Infektionsraten deutlich senken. Aber wir werden nicht durch die antiretrovirale Therapie allein ein vollständiges Verschwinden von HIV bewirken können. Die Menschen müssen sich erst testen lassen. Viele tun das nicht, weil sie Angst haben. HIV ist nach wie vor ein Tabu und stigmatisiert.
Es gibt das Ziel: 2030 kein Aids mehr. Welche Ziele sind in naher Zukunft realistisch?
Die Lebenserwartung bei denjenigen zu verlängern, die eine gute Therapie erhalten, ist das, was wir bisher erreichen können. Das muss jetzt erst einmal unser Ziel sein. Aber wir dürfen auch einen anderen Aspekt nicht aus den Augen verlieren: Das Tabu, das mit HIV und Aids verbunden ist, muss auch ausgelöscht werden, und dann kommt die HIV-Therapie als wichtiger Faktor. Nur so können wir es schaffen.
Welche weiteren Voraussetzungen müssen wir schaffen?
Deutschland ist ein hochentwickeltes Land, auch was die Behandlung von HIV angeht. Das kann man aber nicht verallgemeinern, nicht einmal für Europa. Wir haben in Deutschland weltweit noch immer die niedrigsten Infektionsraten.
Wir sind offen mit dem Thema umgegangen und haben viele Möglichkeiten eingesetzt. Anders ist das beispielsweise in Osteuropa. Die Mittel sind zwar erschwinglich geworden, aber der gesamte politische Kontext muss natürlich auch passen.
Es gibt also immer noch zu viele Menschen, die nicht therapiert werden können, weil sie es sich nicht leisten können oder aus politischen Gründen, etwa weil das Thema HIV unter einem großen Stigma steht. Wir dürfen uns also nicht nur das jeweilige Land ansehen, sondern wir müssen global denken. Deshalb ist die Gabe von antiretroviralen Mitteln auch keine Möglichkeit, die HIV-Situation insgesamt zu beenden.
Was ist Ihrer Ansicht nach nötig, um Aids zu eliminieren?
Eine Infektionskrankheit wirklich auszurotten, schafft man nur durch eine Impfung. Aber wir müssen ja nur mal auf das Problem schauen, das wir jetzt mit Masern haben oder auf das Problem, das gerade in Amerika wieder aufgetreten ist: Meningokokken-Infektionen, die oft tödlich verlaufen können. Wir haben zwar einen Impfstoff, die Leute wollen sich aber aus recht fraglichen und oft nicht nachvollziehbaren Gründen nicht impfen lassen.
Besteht die Gefahr, dass Menschen wieder sorgloser mit dem Thema HIV umgehen, weil es ja antiretrovirale Mittel gibt?
Wir müssen aufpassen, dass wir keine Risikokompensation erleben. Die gibt es in allen Bereichen. Sie verleitet dazu, ein höheres Risiko einzugehen. Das gilt natürlich auch für Infektionen. Wir haben schon erlebt, dass wir neue Schutzfaktoren hatten, dass das zu einem ausgeprägten Sicherheitsgefühl geführt hat und wir schließlich mehr Infektionen hatten als vorher.
Aber die Medikamentenkombinationen, die wir haben, sind so sicher im Bereich der Therapie und beim Unterdrücken des Virus, dass das ein voller Schutz ist. Eine nicht nachweisbare Viruslast heißt, dass die Person nicht infektiös ist und HIV nicht weitergeben kann.
Ist derjenige dann selbst auch vor einer erneuten HIV-Infektion geschützt?
Man kann sich natürlich bei jedem, bei dem die Viruslast nicht gleich Null ist, mit einem anderen HIV-Typ infizieren, der vielleicht Resistenzen hat. Oder man kann sich mit einer anderen sexuell übertragbaren Infektion anstecken, mit Syphilis,Gonorrhö oder Chlamydien. Das ist einer der Gründe, warum diese Infektionen ansteigen.
Was bedeutet die Möglichkeit der antiretroviralen Therapie für die Psyche von HIV-Infizierten?
Sie fühlen sich befreit. Manche haben das auch genauso beschrieben: "Seitdem ich weiß, dass ich nicht mehr ansteckend bin, bin ich ein ganz anderer Mensch geworden. Ich kann wieder genauso herumlaufen wie alle anderen und muss mich nicht immer ducken oder Angst haben, jemanden zu infizieren." Das ist ein Riesenerfolg und eine Stärkung der Menschen, die HIV-positiv sind.
Wie ist Ihr Appell?
Alle sollten sich trauen, sich testen zu lassen, alleine schon aus Eigenschutz, denn wenn ich behandelt werde, habe ich eine Lebenserwartung, die mit einer hohen Lebensqualität verbunden ist, und ich werde keinen anderen Menschen infizieren. Das ist großartig. Der Anreiz, sich testen zu lassen, die Hemmungen zu überwinden, müsste eigentlich sehr groß sein - für sich selbst und für andere.
Am Welt-AIDS-Tag gedenkt die Welt der Opfer der Krankheit. Viele Regisseure haben sich in den letzten Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt. Wir stellen elf bemerkenswerte Filme zum Thema vor.
Bild: picture-alliance/dpa/Edition Salzgeber
Preisgekrönt: 120 BPM
Im vergangenen Jahr errang das Drama "120 BPM" den "Großen Preis der Jury" beim weltweit wichtigsten Filmfestival in Cannes. Regisseur Robin Campillo erzählt von der Liebe zweier junger AIDS-Aktivisten. Dem französischen Regisseur gelang eine sensible wie filmisch interessante Annäherung an ein schwieriges Thema.
Bild: picture-alliance/dpa/Edition Salzgeber
Zunächst heiter: Sorry Angel
Campillos Landsmann Christophe Honoré zeichnet für den jüngsten Film zum Thema AIDS verantwortlich, auch "Sorry Angel" feierte bei den Filmfestspielen in Cannes (2018) Weltpremiere. Der Film erzählt von der Freundschaft zweier schwuler Männer zu Beginn der 1990er Jahre in Frankreich. Honoré setzt sich auch in Romanen und Theaterstücken mit dem Thema auseinander.
Es waren amerikanische und französische Filme, die sich als erste mit dem Thema beschäftigten. "Longtime Companion" von Norman René gilt als eine der ersten Produktionen, die die vom HI-Virus ausgelöste Krankheit beschrieb. Es ist die Geschichte von acht schwulen New-Yorker Freunden zu Beginn der 1980er Jahre. Ein Thema des Films: die Verdrängung von AIDS bei Betroffenen und in der Gesellschaft.
Um das Thema Verdrängung von AIDS geht es auch in "Wilde Nächte". Der französische Regisseur und Hauptdarsteller Cyrill Collard hatte seinen autobiografisch gefärbten Roman 1989 veröffentlicht und drei Jahre später aus dem Stoff einen Film gemacht. In der Titelrolle ist Collard zu sehen, der einen Bisexuellen spielt, der keine Rücksicht auf sich und seine Partner nimmt. Collard starb 1993.
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library
Oscardekoriert: Philadelphia (1993)
Jonathan Demmes Film "Philadelphia" war die erste große Hollywood-Produktion, die AIDS für ein breites Publikum auf die Leinwand brachte. Tom Hanks spielt einen Anwalt, dessen Stellung gekündigt wird - weil er erkrankt ist. Gerichtlich will er sich zu Wehr setzen. Der Film ist melodramatisch und sentimental, aber sehr effektvoll inszeniert. AIDS war nun auch im großen Hollywood-Kino angekommen.
Bild: Imago/Unimedia Images
Semidokumentarisch: ...und das Leben geht weiter (1993)
War "Philadelphia" im Stile großer Hollywood-Filme inszeniert, so beschritt der im selben Jahr angelaufene "...und das Leben geht weiter" von Roger Spottiswoode einen anderen Weg. Der Spielfilm versuchte mit dokumentarischen Mitteln die Ausbreitung der Krankheit auf vielen verschiedenen Schauplätzen nachzuzeichnen. Mit dabei der junge AIDS-Forscher Dr. Don Francis, gespielt von Matthew Modine.
Bild: picture-alliance/United Archives
Umstritten: Kids (1995)
Mit dokumentarischen Mitteln arbeitete auch der Spielfilm "Kids", der zwei Jahre später entstand. Regisseur Larry Clark entwarf das Panorama einer Jugendkultur im New York der 1990er Jahre. Sex ist eines der Hauptthemen der jungen Mädchen und Jungen - das Thema AIDS kommt hinzu. Umstritten war der Film, weil er mit minderjährigen Darstellern sehr drastische Szenen entwickelte.
Bild: picture-alliance/dpa/KPA
Melodramatisch: Alles über meine Mutter (1999)
Spaniens Regie-Star Pedro Almodóvar erzählte 1999 in der für ihn typischen Manier vom Leben, Leiden und der Liebe einer Handvoll Protagonisten in Madrid und Barcelona. "Alles über meine Mutter" ist ein Melodrama mit viel Gefühl und Emotion, es geht um Geschlechterrollen und gesellschaftliche Vorurteile. Auch in "Alles über meine Mutter" spielt das Thema AIDS eine zentrale Rolle.
Bild: picture-alliance/dpa/Arthaus
Rückblick: Wir waren Zeugen (2007)
Auf die frühen 80er Jahre blickte der Franzose André Téchiné in "Wir waren Zeugen" zurück. In Frankreich breitet sich die Krankheit aus, die Protagonisten, die Téchiné dem Zuschauer präsentiert, werden in verschiedenen Situationen mit AIDS konfrontiert. "Wir waren Zeugen" feierte bei der Berlinale Premiere, schaffte aber trotz Stars wie Emmanuelle Béart nicht den Sprung in die deutschen Kinos.
Bild: picture-alliance/dpa
AIDS Global: Same Same But Different (2009)
Auch das deutsche Kino beschäftigte sich mit AIDS. Rosa von Praunheim tat das 1986 in der für ihn typischen anarchistischen Art und Weise mit "Ein Virus kennt keine Moral" schon sehr früh und als erster. Regisseur Detlef Buck drehte 2009 den Film "Same Same But Different", der eine Liebe zwischen einem jungen Deutschen (David Kross, unser Bild) und einer kambodschanischen Prostituierten zeigt.
Bild: Delphi Filmverleih
Schauspielerfilm: Dallas Buyers Club (2014)
Großen Erfolg hatte vor vier Jahren der Film "Dallas Buyers Club" des kanadischen Regisseurs Jean-Marc Vallée. Matthew McConaughey (r.) und Jared Leto brillieren darin als zwei HIV-infizierte Protagonisten, die sich im Amerika der 1980er Jahre um wirksame AIDS-Medikamente bemühen. Für die beiden Schauspieler gab es bei der Oscarverleihung 2014 Auszeichnungen für die besten männlichen Darsteller.