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Meeresbiologin: "Der meiste Plastikmüll ist in der Tiefsee"

18. Mai 2017

Der sichtbare Müll an den Stränden ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, sagt die Meeresbiologin Melanie Bergmann. Ein Großteil des Plastiks endet in der Tiefsee - oft als Mikroplastik.

Hawaii Plastikmüll in den Ozeanen
Bild: picture-alliance/AP Photo/NOAA Pacific Islands Fisheries Science Center

Pazifikinsel voller Plastikmüll

01:43

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Deutsche Welle: Eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt auf, dass auf Henderson Island - etwa auf halben Wege zwischen Südamerika und Neuseeland - riesige Mengen Plastikmüll angeschwemmt werden. Die Insel liegt mitten in einem Müllstrudel. So einen Treibgut-Strudel gibt es in jedem Ozean und dort konzentriert sich das Plastik besonders stark. Was bedeutet das für diese Region?

Melanie Bergmann: Es bedeutet, dass die Tiere, die in diesem Bereich leben, der Verschmutzung besonders ausgesetzt sind: Besonders Seevögel finden und fressen Plastik. Das gleiche gilt aber auch für die kleinen Lebewesen am Anfang der Nahrungskette - etwa die Ruderfußkrebse.

Die Fische fressen diese Krebse. Vögel, Wale oder Haie fressen die Fische, und so gelangen kleine wie große Plastikpartikel in die Nahrungskette. Das kann dazu führen, dass das Magen-Darm-System blockiert wird oder es zu Verletzungen kommt und auch dazu, dass die Tiere aufgrund des anhaltenden Sättigungsgefühles langsam verhungern.

Viel Plastikmüll ist ja unsichtbar und schwimmt in Form von Mikroplastik herum. Was richtet das an?

AWI-Meeresbiologin Melanie Bergmann möchte mehr über die Wirkung des Mülls in der Tiefsee wissenBild: AWI/Sina Löschke

Wir wissen noch relativ wenig darüber, obwohl die Anzahl der Publikationen dazu in den letzten Jahren rasant zugenommen hat. Bekannt ist: Einigen Arten können das unverdaute Mikroplastik wieder ohne sichtbare Auswirkungen ausscheiden. Bei anderen kommt es zu Entzündungsreaktionen im Körper. Das ist zum Beispiel der Fall bei Muscheln. Bei Strandkrabben verlangsamt sich das Wachstum und bei Austern verringert sich die Fortpflanzungsrate. Abschließend kann man noch nicht sagen, wie es für alle Organismen aussehen würde. Aber durch die Arbeiten für unser Portal Litterbase haben wir herausgefunden, dass inzwischen Wechselwirkungen zwischen 1300 verschiedenen Arten und Müll wissenschaftlich dokumentiert sind. 

Aber wir wissen: Je kleiner die Teilchen werden, desto größer ist der Einfluss den sie haben können. Kleinere Partikel können die Zellmembran passieren und so zum Beispiel ins Blut gelangen, in Organe oder wenn die Partikel ganz klein sind - in Nanobereich - sogar in die Zelle hinein.

Wenn die Kunststoffe ganz klein gemahlen sind, werden die dann nicht irgendwann von Bakterien zersetzt? 

Es gibt immer wieder vereinzelte Berichte aus der Forschung darüber. Oft sind es Tests im Labor, wo bestimmte Bakterienstämme auf Kunststoffe angesetzt wurden und man dann sieht, was es macht. Aber es geht immer nur um spezielle Fälle und scheint nicht im großen Maßstab stattzufinden. 

Was passiert denn dann langfristig mit dem Plastikmüll. Schwimmt der einfach auf ewig in den oberen Wasserschichten weiter mit?

Nein, obwohl es alle denken ist der Plastikmüll nicht immer leichter als Wasser. Etwa die Hälfte des Plastiks im Haushalt ist schwerer als Wasser - es sinkt zum Meeresboden. Der Rest wird mit der Zeit von Algen und Tieren besiedelt und wenn eine gewisse Schwere erreicht wird, sinken auch diese Teile in die Tiefe. 

Das würde dann ja heißen, der Plastikmüll nimmt den gleichen Weg wie etwa antike Scherben: Er wandert ins Sediment und verschwindet dann irgendwann in der Erdkruste.

Genau, das kann man bei uns auch beobachten. Ich habe zum Beispiel einmal bei einem Nordseespaziergang ein Stück Plastik am Strand gefunden und wollte es einsammeln. Doch dann habe ich daran gezogen und bekam es gar nicht mehr aus dem Boden heraus, weil es so tief eingegraben und schwer war. Das wurde auch für Henderson Island berichtet - man findet es aber an allen Stränden, wo Müll ist.

Wenn Plastikmüll lange genug in der Natur herumliegt, wird er aber auch Teil des Ökosystems - soll man ihn denn dann überhaupt einsammeln? Vielleicht ist er ja noch von Tieren bewohnt - etwa Flaschen?

Ich würde ihn dennoch mitnehmen. Denn alles, was man mit menschlicher Hand macht, ist auch noch relativ schonend. Würde man aber anfangen mit Maschinen den Strand auszusieben oder mit einem Schleppnetz den Müll aus einem Müllstrudel herauszuholen - und dabei womöglich auch noch den Meeresboden umpflügen, entfernt man immer auch Biomasse. Damit richtet man unter Umständen mehr Unheil an als wenn man den Müll dort liegen lässt. Aber wenn man vorsichtig mit der Menschenhand etwas entfernt, ist das sicher gut. 

2018 soll ein System den pazifischen Müllstrudel aufräumen. Der Plastikmüll soll mit einer schwimmenden Sperre zuerst konzentriert und dieser dann ausgesiebt werden. Die niederländischen Initiatoren wollen damit innerhalb von fünf Jahren den sichtbaren Müll um die Hälfte reduzieren. Bringen solche Systeme etwas, wenn man sich die Größe der Ozeane vor Augen hält?

Ich glaube nicht, dass das einen großen Sinn hat, solange immer wieder Müll hinzu kommt. Das wichtigste ist, dass wir unseren Plastikkonsum verändern müssen und aufhören müssen unseren Müll achtlos wegzuwerfen. Der Müll, der sich in diesen Strudeln angesammelt hat, macht zudem nur etwa einen Prozent des gesamten Plastikmülls in unseren Ozeanen aus. Ein großer Teil befindet sich wahrscheinlich an den Stränden oder am Meeresboden. Insofern bin ich mir nicht sicher, wie viel das helfen soll und ob das zukunftsweisend sein wird.

Eine Plastiktüte in der Tiefsee vor Spitzbergen, aufgenommen von Forschern des Alfred-Wegener-InstitutsBild: picture alliance/dpa/Alfred-Wegener-Institu

Ist es nicht trotzdem einen Versuch wert? 

Versuchen kann man natürlich alles, und ich freue mich, wenn ich eines besseren belehrt werde. Aber das Wichtigste bleibt, dass wir unseren Konsum ändern müssen. Der Mensch denkt immer an das, was er sieht: Den Müll an den Stränden und an der Wasseroberfläche. Wahrscheinlich ist aber die Tiefsee das Endlager und nicht die Müllstrudel.

Was wäre denn das Problem, wenn der Müll sich in der Tiefsee - und irgendwann auch dort im Sediment ablagert?

Die Ökologie der Tiefsee ist weitgehend unbekannt - auch was die Auswirkungen des Mülls betrifft. Im letzten Jahr wurde die erste Studie veröffentlicht, die gezeigt hat, dass auch Tiefseeorganismen Mikroplastik verschlucken. Aber ansonsten weiß man dazu einfach nichts.

Wir haben 2015 mit einem Tauchroboter Plastikplatten auf dem Meeresboden in 2200 Meter Tiefe vor Spitzbergen ausgelegt. Damit wollten wir einerseits eine Plastiktüten-Bedeckung simulieren und andererseits härteres, schwereres Plastik, das richtig aufliegt auf dem Sediment. Wir wollen herausfinden was in dem Sediment darunter passiert. 

Man sieht zwar nicht viel, aber es ist dicht besiedelt von Bakterien, kleinsten Würmern und Krebstierchen. Die Biodiversität gleicht der von tropischen Regenwäldern. Wir werden schauen, wie sich der Sauerstoff im Sediment verändert hat, weil das Plastik den Boden ja von der Sauerstoff- und Nahrungszufuhr abschneidet. Dann wollen wir sehen, wie sich die Zahl der Bakterien und die Gemeinschaft der Kleinstlebewesen verändert haben und welchen Einfluss das auf die Biodiversität hat.

Außerdem haben wir Plastiktüten über Schwämme gestülpt. Man sieht oft, dass sich Plastiktüten in Schwämmen am Meeresboden verheddern und wir wollten jetzt einmal durch die Experimente sehen, was für einen Einfluss das auf die Schwämme hat. Zwei Jahre lang waren unsere Proben jetzt im Wasser und dieses Jahr sehen wir nach, was daraus geworden ist.

Die Biologin Dr. Melanie Bergmann forscht in der Abteilung für Tiefseeökologie und Technologie des Alfred-Wegener-Institutes Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. 

Das Interview führte Fabian Schmidt.

Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen
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