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Zwischen Kunst und Terror

Doris Pundy15. April 2016

Als Islamisten-Hochburg erlangte der Brüsseler Stadtteil Molenbeek traurige Berühmtheit. Kaum bekannt aber ist die junge und pulsierende Kunstszene des Viertels. Jetzt öffnet ein neues Museum dort seine Pforten.

Belgien Brüssel Museum MIMA mit Molenbeeker Wohnhaus im Hintergrund (Foto: DW/D. Pundy)
Bild: DW/D. Pundy

"Nach den Anschlägen war uns sofort klar: Jetzt müssen wir unser Projekt und unsere Ideen mehr verteidigen als je zuvor. Genauso wie wir uns jetzt mehr als je zuvor vor Vorurteilen in Acht nehmen müssen", sagt Museumsdirektor Raphaël Cruyt, dem man den Schrecken der Terroranschläge in Brüssel vor gut drei Wochen noch ansieht. "Ich lebe seit zehn Jahren hier in Molenbeek, aber das hätte ich nie erwartet. Das war ein echter Schock." Zusammen mit Alice Van den Abeele leitet er Brüssels neues Museum für moderne, urbane Kunst, das MIMA. Es befindet sich ausgerechnet im Brüsseler Problemviertel Molenbeek.

Terror noch immer sichtbar

Das "MIMA - Millenium Iconoclast Museum of Art" hätte bereits Ende März seine Pforten öffnen sollen. Ausgerechnet zwei Tage vor dem geplanten Termin sprengten sich am Brüsseler Flughafen und in einer Brüsseler U-Bahnstation drei Selbstmordattentäter in die Luft. Mehr als 30 Menschen starben. Auch bei diesen Anschlägen gab es Verbindungen nach Molenbeek, wie schon bereits bei den Anschlägen in Paris im vergangenen November.

Der Terror hinterließ sichtbare Spuren: Die U-Bahnstation in der Nähe des Museums wird noch immer von Soldaten mit schwerer Ausrüstung bewacht. Sie tragen kugelsichere Westen und automatische Waffen. In Vierertrupps patrouillieren sie im Stationsgebäude. Neben dem Abgang zu den Bahnsteigen parken gleich drei gepanzerte Fahrzeuge der Armee.

"Diesen Ort haben wir uns ganz bewusst ausgesucht", erklärt Direktor und Kurator Raphaël Cruyt. "Wir haben ein Gebäude im Herzen Brüssels gesucht und gefunden." Das MIMA ist in einer ehemaligen Bierbrauerei entlang des Kanals untergebracht, der den Stadtteil Molenbeek vom Stadtzentrum trennt. Brüssels Hauptplatz, der "Grand Place", ist tatsächlich nur 15 Gehminuten vom Museum entfernt.

MIMA-Museumsdirektor Raphaël Cruyt: "Wir sind uns der Herausforderung bewusst"Bild: DW/D. Pundy

Das Museum will vor allem junge Leute ansprechen. Die Kunst der Subkulturen seit der Jahrtausendwende soll im Mittelpunkt stehen. Urbane Kunst, wie Graffitis, aber auch Sportarten, wie Skateboarden oder Surfen, sollen in den kommenden Ausstellungen genauso einen Platz finden, wie moderne Elektro- oder Hiphop-Musik.

Zwei Welten prallen aufeinander

"City Lights" heißt die erste Ausstellung im neuen Museum. Fünf Künstler aus New York City wurden dafür nach Brüssel eingeladen und haben für ihre Kunstwerke das gesamte Gebäude in Beschlag genommen - vom Kellergeschoss bis zum dritten Stockwerk.

Das besondere an den Kunstwerken ist, dass sie größtenteils direkt im Museum entstanden sind. Klassische, eingerahmte Gemälde findet man hier nur in der noch sehr kleinen ständigen Sammlung im Dachgeschoss. Die unteren Stockwerke stehen ganz im Zeichen der unkonventionellen Arbeitsweise der New Yorker Künstler.

Swoon hat beispielsweise ihre Stencils - eine Subkategorie der Streetart - direkt an die Wände und Säulen des Kellergeschosses gemalt. Dadurch entsteht eine vielschichtige Installation, die den Besucher auf eine Entdeckungstour durch den düsteren, verwinkelten Keller der ehemaligen Bierbrauerei mitnimmt.

Zwei Stockwerke weiter oben durfte sich Maya Hayuk austoben. Die Künstlerin hat die Fensterscheiben durch Buntglas ersetzt. Die Wände hat sie großflächig mit bunten Farbmustern bemalt. In der Luft liegt noch der Geruch frisch gestrichener Farbe. Die Vorstadttristesse mit ihren heruntergekommenen Wohnhäusern, leerstehenden Geschäftslokalen und Kellermoscheen scheint hier kilometerweit entfernt zu sein. Doch der Eindruck täuscht. Gerade mal drei Häuserblöcke, knapp 500 Meter, liegen zwischen dem MIMA und der Rue des Quatre Vents, jener Straße, in der der mutmaßliche Terrorist Salah Abdeslam wenige Tage vor den Brüsseler Anschlägen festgenommen wurde.

Elke Van den Bergh organisiert Kurse im Kulturzentrum MolenbeekBild: DW/D. Pundy

Zusammenarbeit mit den Künstlern

"Wir versuchen hier wirklich eine Brücke zwischen den Welten zu schlagen", erklärt Elke Van den Bergh, Programmkoordinatorin im "Maison des Cultures". Das Kulturzentrum Molenbeeks bietet seit über zehn Jahren kreative Workshops für Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft an. Dabei setzen Elke Van den Bergh und ihr Team auf die gut etablierte Künstlerszene in Molenbeek. "Ohne die Künstler im Viertel könnte unser Haus nicht existieren. Sie leiten unsere Kurse und bringen neue Idee für Projekte", sagt sie.

Das Kulturzentrum Molenbeek organisiert laufend neue Kurse. "Wir legen sehr viel Wert darauf, dass die Kinder bei uns immer wieder Neues lernen. Wir wollen, dass sie entdecken, wie reichhaltig diese Welt ist", so Elke van den Bergh. Und das scheint zu gelingen. "Wir haben immer wieder Kinder, die gar nicht wissen, dass sie zeichnen oder tanzen können und ihnen das auch noch Spaß macht." Kultur und Kreativität sind für die Programmkoordinatorin wichtige Werkzeuge, um Kinder und Jugendliche von Problemen fernzuhalten.

Molenbeeks Bürgermeisterin Françoise Schepmans hatte in der französischen Zeitung "Le Monde" den in Molenbeek lebenden Künstlern mangelndes Engagement vorgeworfen. Elke Van den Bergh teilt diese Kritik nicht. "Klar kommt das immer auch auf die persönlichen Ziele und die Einstellung des Künstlers an. Aber mit vielen arbeiten wir sehr gut zusammen", insistiert sie.

"Man darf den Beruf des Künstlers auch nicht romantisieren. Es gibt Kunstrichtungen, die eignen sich für die Zusammenarbeit mit den Anrainern nicht", meint Charles. Der junge belgische Videokünstler ist in Brüssel geboren und lebt seit einigen Jahren in Molenbeek. "Und um ehrlich zu sein: Bei vielen von uns ist das Geld oft knapp. Da sucht man automatisch eher nach Projekten, die gut bezahlt sind."

Museum soll Teil der Identität Molenbeeks werden

"Wir haben schon zahlreiche Projekte im Kopf und waren deshalb auch schon mit der Bezirksverwaltung in Kontakt", so Museumsdirektor Raphaël Cruyt. Er weiß, dass es schwierig sein wird, eine gute Verbindung zu den Bewohnern Molenbeeks aufzubauen. "Durch den Terrorismus wurde viel Vertrauen auf beiden Seiten zerstört. Aber wir geben uns Mühe, unser Haus so offen wie möglich zu gestalten."

Raphaël Cruyt hofft, dass er mit seinem Museum mitten in Molenbeek eine möglichst große Öffentlichkeit erreichen wird. "Molenbeek ist anders, als alle denken." Ein klares Ziel hat der Museumsdirektor bereits vor Augen: "Ich wünsche mir, dass unser Museum Teil der Identität Molenbeeks wird."