Mehr Blut, mehr Klicks?
22. Juni 2015Das Motto der Debatte war provokant gewählt: "Nur, wenn Blut fließt, ist es eine wichtige Geschichte". Richard Porter, Direktor von BBC Global News, ließ sich damit aber nicht aus der Reserve locken. Natürlich habe sich die Medienwelt verändert. "Heute haben die Nutzer selbst die Möglichkeit, über ihre Mobiltelefone per Video oder Twitter Nachrichten zu produzieren," schildert Porter die Situation. Hier aber stelle sich schnell die Frage, auf wen man sich bei den Nachrichten noch verlassen könne. Hier wolle man weiterhin Orientierung geben.
"Wir als BBC reagieren ganz grundlegend darauf und versuchen schlicht und einfach, die Wahrheit über Ereignisse herauszufinden." Dabei sei nicht die dramatischste und blutigste Geschichte entscheidend. "Es gibt genügend Beweise, dass das Publikum auf Journalismus einsteigt, der erklärenden Hintergrund liefert.", gibt sich Porter zuversichtlich. Annita Nyberg Frankenhaeuser, Mediendirektorin der Europäischen Rundfunkunion, einem Zusammenschluss von über 70 Rundfunkanstalten in 56 Ländern, ist überzeugt, dass der Balanceakt bei der Auswahl zwischen blutigen Konfliktstories und wichtigen, weniger dramatischen Hintergrundberichten in der Regel gelinge. Kriterien für die Auswahl von Geschichten seien alleine: Relevanz für die Nutzer und verfügbare finanzielle Ressourcen.
Wettlauf der Medienmacher
Andreas Zumach, Korrespondent der Tageszeitung (taz) in Genf und langjährig erfahrender Journalist für viele andere Medienhäuser, widerspricht der öffentlich-rechtlichen Sichtweise. "Wie kann es sein, dass wochenlang aus Ägypten vom Tahrir-Platz über die Demonstranten berichtet wird, und man dann von dem Wahlerfolg der Muslim-Bruderschaft überrascht wird?". Sein Vorwurf: Die Medien hätten sich viel zu sehr auf die spektakulären Bilder in Kairo konzentriert, es aber versäumt, in die Provinz zu fahren, um herauszufinden, wie die Menschen denken und was sie tatsächlich bewegt. Dieses Verhalten erinnere ihn an ein künstlichen Wettlauf, in dem alle Medienmacher oft unreflektiert denselben Effekten hinterherlaufen würden. Insofern sei schon etwas dran an der Vermutung, dass der "Blutgehalt" über eine Story entscheide.
Zumach nennt weitere Beispiele. CNN habe vor dem 11. September 2001 Berichtsgebiete aufgegeben, weil man die Tragweite der sich zuspitzenden Anti-USA-Stimmung im arabischen Raum nicht richtig eingeschätzt habe. In den Verhandlungen um den Balkan-Konflikt in den 1990er Jahren hätten über Jahre viel zu viele offizielle Vertreter – oftmals selbst Kriegsverbrecher – in den Genfer Verhandlungsrunden gesessen, ohne dass Journalisten sich bemüht hätten, auch anderen Vertretern Gehör zu geben, obwohl die Recherchepflicht dies geboten hätte. "Heute ist es im Ukraine-Konflikt wieder dasselbe", ärgert sich Zumach. Leider gebe es keine Konkurrenz um die Journalisten, die die beste Analyse oder die beste Hintergrundberichterstattung liefern. "Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass alle Seiten gehört werden". Das geschehe noch zu selten. Gefragt seien auch viel mehr Berichte über Menschen mit klaren Problem- und Konfliktlösungansätzen.
Orte ohne Journalisten
Katrin Sandmann hat in vielen Konfliktregionen als Kriegsberichterstatterin, als Reporterin und Producerin für die ARD gearbeitet. Sie gibt zu bedenken, dass es gerade in den Ländern mit sehr blutigen Auseinandersetzungen oftmals gar keine Berichterstattung gebe, weil sie zu gefährlich sei. "Wir haben keine Reporter in Mossul".
Doch das sei kein komplettes Versagen westlicher Medien. "Wenn Sie Analysen aus Regionen wollen, wo keine Reporter sind, dann müssen Sie heute für unterschiedliche Informationen auch unterschiedliche Medien aufsuchen. Das wissen die Leute aber inzwischen", meint Katrin Sandmann. Sie selbst habe in Krisenregionen, wie nach dem Erdbeben auf Haiti, auch auf Twitter schon sehr brauchbare Informationen erhalten. Wie Sandmann nahmen mehrere Experten die Position ein, selbst führende, klassische Medien könnten künftig nicht mehr alles von überall anbieten.
Trends für den Journalismus von morgen
Die Zukunft dürfte, so ein Ergebnis der Diskussion auf dem Global Media Forum, in der Spezialisierung von Medien liegen. Einen anderen Trend macht Ulrik Haagerup vom Dänischen Radio- und TV-Sender DR in seiner Videobotschaft aus: "Eine gute Geschichte muss nicht immer eine blutige Story sein!" Haagerup verfolgt mit seinen Kollegen eine neue Richtung. Es gelte für Journalisten dabei, Licht ins Dunkel von Ereignissen zu bringen, Orientierung zu geben, statt Angst und Schrecken zu verbreiten. "Verändern wir die bisherigen journalistischen Regeln, nach denen Blut und Negatives ausschlaggebende Kriterin sind" ruft Haagerup auf und erntet dafür Beifall.
In der Fragerunde unter den Zuhörern des Global Media Forums bestätigt ein Chefredakteur aus Ägypten, dass er immer mehr Leser verliere. "Wenn wir mal genau analysieren, welche Geschichten, am meisten gelesen, geteilt und gesucht werden, dann funktioniert das Motto 'Nur wenn Blut fließt, ist es eine lohnende Geschichte' schon lange nicht mehr."