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Mehr häusliche Gewalt in Deutschland

7. Juni 2024

Jeden Tag erleben 700 Menschen in Deutschland Gewalt in Beziehung oder Familie. Zwei von drei Betroffenen sind Frauen.

Symbolbild | Was sind die Gründe, wenn Mädchen zuschlagen?
Gewalt in der Beziehung geht meist von Männern aus und trifft FrauenBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Die eigenen vier Wände gelten als Schutzraum. Doch ausgerechnet an diesem vermeintlich sicheren Ort herrscht oft Gewalt. Mehr als 256.000 Gewalttaten in Familien, unter Partnern und Ex-Partnern hat die deutsche Polizei im vergangenen Jahr registriert. Das sind fast sieben Prozent mehr als im Jahr davor.

"Die Opfer sind weit überwiegend Frauen. Und die Tatverdächtigen sind in drei von vier Fällen Männer", sagte Innenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung der Zahlen am Freitag in Berlin. Besonders erschreckend sei, dass im vergangenen Jahr 155 Frauen durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet wurden. 

Laut der Vizepräsidentin des Bundeskriminalamts, Martina Link, sind für den Anstieg der Gewalt zum einen "gesellschaftliche Krisen" verantwortlich, also etwa die Corona-Pandemie. Zum anderen sei die Bereitschaft gestiegen, häusliche Gewalt anzuzeigen, so dass weniger Fälle verborgen blieben. Derzeit sei eine Studie in Arbeit, die auch das Dunkelfeld erhellen solle.

Kein Platz im Frauenhaus

"Ich habe diesen Anstieg der Zahlen erwartet", sagt Stefanie Knaab der DW. Die 33-Jährige erlebte selbst vier Jahre lang Demütigungen, sexuelle und körperliche Gewalt durch einen Partner. Heute kämpft sie mit ihrem Verein "Gewaltfrei in die Zukunft" für andere Betroffene. "Die Zahlen steigen ja schon seit Jahren. Und jedes Jahr sind wir neu schockiert, aber es ändert sich trotzdem nichts. Das macht mir sehr große Bauchschmerzen."

Stefanie Knaab macht Frauen Mut, aus der Gewalt auszubrechenBild: Natalia Bronny

Denn nach wie vor gibt es in Deutschland nicht genug Hilfe für Betroffene, die Schutz vor Gewalt suchen. Derzeit können etwa 7000 Frauen und Kinder in Frauenhäusern unterkommen. Experten schätzen, dass es etwa 14.000 zusätzliche Plätze bräuchte, um allen Betroffenen Schutz bieten zu können.  "Das ist schockierend und traurig", sagt Knaab. "Es kann nicht so weitergehen. Angesichts der steigenden Fallzahlen brauchen wir unbedingt mehr Plätze in Frauenhäusern, mehr Schutz. Wenn jede zweite Frau abgewiesen wird - wo sollen die Frauen denn hin?"

Sibylle Schreiber kann das bestätigen. "Es fehlen eigentlich überall Plätze und wir hören von unseren Frauenhäusern, dass sie täglich Frauen abweisen müssen", sagt die Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung. "Aber Schutz vor Gewalt gibt es nun mal nicht kostenlos", so Schreiber im Gespräch mit der DW. Laut einer Studiemüsste der Staat bis zu 1,6 Milliarden Euro jährlich aufwenden, um allen Betroffenen zu helfen, statt bisher knapp 300 Millionen Euro.

Einklagbares Recht auf Schutz

"Eigentlich sehen wir gerade sehr viele positive Signale", sagt Schreiber. Und meint damit vor allem das von der Bundesregierung geplante Gewalthilfegesetz. Das sieht vor, dass jede Frau, die Schutz sucht, diesen bekommt. Ein vertraulicher Gesetzesentwurf, der der DW vorliegt, spricht von einem einklagbaren "Anspruch auf Schutz und rechtliche Beratung" - und zwar kostenfrei für alle Betroffenen. Das würde Bund und Länder zwingen, ausreichend Plätze zu schaffen. Doch noch streiten sie, wer das finanzieren soll.

Wer von Gewalt bedroht ist, kann im Frauenhaus Schutz suchenBild: Sophia Kembowski/dpa/picture alliance

Der Föderalismus, also die Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern in Deutschland, bringt derzeit ein weiteres Problem mit sich, erklärt Schreiber. "Es kann passieren, dass eine Frau etwa nicht in Berlin bleiben kann, weil der Partner dort relativ schnell herausfinden kann, wo sie ist. Und dann sie muss sie eben einfach weiter weg, in ein anderes Bundesland. Und da kann es sein, dass es Probleme gibt, wer dann was zahlt." Auch hier würde der Gesetzentwurf etwas ändern. Dort heißt es, "gewaltbetroffene Personen können sich unabhängig von ihrem Wohnort an jede Einrichtung" wenden.

Das Gesetz müsse unbedingt bald verabschiedet werden, sagen Schreiber, Knaab und viele andere Frauen-Aktivistinnen. Und wünschen sich eine umfassende Strategie gegen häusliche Gewalt, wie sie die Istanbul-Konvention vorsieht, die auch Deutschland unterzeichnet hat. 

Deutschland könne dabei auch von Erfahrungen aus anderen Ländern lernen, sagt Knaab. "Weltweit ist Spanien absoluter Vorreiter, was den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt in der Partnerschaft betrifft." Dort wurde 2004 ein Gesetz zum Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt in der Partnerschaft erlassen "In jeder Stadt, egal wie klein, gibt es eine Beratungsstelle, gibt es ein Frauenhaus. Es gibt Sondereinheiten der Polizei und spezielle Gerichte, die sensibilisiert sind."

Gewalt nach Drehbuch

"Es muss sich auf politischer Ebene etwas tun", sagt auch die Therapeutin Christina Diamantis. Sie ist Expertin für toxische Beziehungen und partnerschaftliche Gewalt. Vor allen Dingen müsse sich jedoch ändern, wie die Gesellschaft auf betroffene Frauen schaue, sagt sie der DW. "Wir müssen frauenverachtende Narrative eliminieren, und zwar grundsätzlich." Etwa das der "hysterischen Frau", der man keinen Glauben schenke und die man als psychisch krank abstempele.

Diamantis ist auch selbst Betroffene, hat Gewalt in einer Beziehung erlebt. "Ich wurde vergewaltigt, ich wurde isoliert, ich wurde finanziell ausgebeutet, ich wurde psychisch niedergemacht. Abwertung, Demütigung, Beschimpfung - jeden Tag." Vor sieben Jahren schaffte sie den Ausbruch. Seitdem berät sie Frauen, denen es ähnlich geht.

Christina Diamantis erkennt Muster in toxischen BeziehungenBild: Privat

"Toxische Beziehungen beziehungsweise Beziehungen, in denen Gewalt vorherrscht und die auch mit Gewalt enden - im Schlimmsten Fall im Femizid - folgen meist einem bestimmten Drehbuch", sagt Diamantis. Es beginne mit der so genannten Love-Bombing-Phase, in der Frauen mit Aufmerksamkeit und Liebe überschüttet werden. Erst danach beginne schleichend und subtil Missbrauch und Gewalt. Oft gefolgt von Trennung, dann dem Wiedergewinnen der Partnerin, dem sogenannten "Hoovering".

"Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichten der hunderten, vielleicht tausenden Frauen, mit denen ich gearbeitet habe und aufkläre", so Diamantis.

Per App ausbrechen

"Das war bei mir ähnlich wie bei vielen anderen Betroffenen auch", bestätigt Stefanie Knaab. "Gewalt ist ja nicht 365 Tage im Jahr da, sondern es gibt Phasen. Der Täter ist manchmal total liebevoll und fürsorglich, und am nächsten Tag halt nicht mehr." Sie habe damals angefangen, sich selbst Briefe zu schreiben, in denen sie die Gewalt dokumentierte. "Und ich habe mir dann diese Briefe irgendwann durchgelesen und realisiert, dass es ein Muster gibt und dass ich da raus muss."

Heute will Knaab Betroffenen helfen, die in gewalttätigen Beziehungen gefangen sind. Deshalb hat sie eine App initiiert, die Frauen auf Anfrage erhalten können. In einem getarnten Tagebuch können sie dann Übergriffe auf dem Smartphone gerichtsfest dokumentieren. Außerdem werden sie zu Hilfsangeboten weitergeleitet. Der Staat fördert die App, die bislang für Frauen in Berlin und Niedersachsen verfügbar ist und ausgeweitet wird. Auch damit soll verhindert werden, dass die Zahl der von häuslicher Gewalt Betroffenen in Deutschland weiter steigt.

Femizide in Deutschland

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