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Mehr Judenhass in Deutschland

20. Mai 2025

Behörden und Experten vermelden einen starken Anstieg antisemitischer Straftaten und Vorfälle. Viele Betroffene fühlen sich alleingelassen.

Deutschland Berlin 2025 | Antisemitismusbeauftragter Klein besucht attackierte Kneipe „Bajszel“ in Neukölln
Eine Fensterscheibe des Cafes "Bajszel" in Berlin-Neukölln, das sich öffentlich gegen Antisemitismus positioniert und mehrfach attackiert wurdeBild: Soeren Stache/dpa/picture alliance

Es ist Zufall, dass es an diesem Vormittag in Berlin-Mitte binnen 90 Minuten drei Pressekonferenzen gibt, bei denen es auch oder ausschließlich um das Thema Antisemitismus geht. Auch wenn die Akteure unterschiedliche Schwerpunkte setzen, belegen sie alle einen Trend: Im Jahr 2024 ist die Zahl judenfeindlicher Vorfälle oder Straftaten in Deutschland deutlich angestiegen. Und die Zahl derer, die deshalb verängstigt sind, ihren Lebensstil einschränken oder Unterstützung brauchen, nimmt ebenfalls zu.

Minister Dobrindt bei der Vorstellung der Jahresstatistik zur politisch motivierten KriminalitätBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Bundesweit wurden in Deutschland 2024 mehr Straftaten mit politischem Hintergrund erfasst als je zuvor, wie Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) in der Bundespressekonferenz bekanntgibt. Binnen eines Jahres habe es einen drastischen Anstieg um gut 40 Prozent auf insgesamt mehr als 84.000 Delikte gegeben. Fast jede zweite Straftat ist "rechtsmotiviert", so das Bundeskriminalamt. Dazu zählen beispielweise das Tragen verfassungsfeindlicher Symbole oder Angriffe Rechtsextremer auf Sicherheitskräfte.

"Antisemitismus macht uns größte Sorgen"

Im Bereich des Antisemitismus wurden - so die Statistik - im vergangenen Jahr bundesweit 6236 Straftaten registriert. Das bedeutet einen Anstieg von knapp 21 Prozent gegenüber dem Jahr 2023. "Der steigende Antisemitismus macht uns größte Sorgen", sagt Dobrindt.

Polizei vor der Synagoge in Magdeburg - die meisten jüdischen Gotteshäuser in Deutschland stehen unter PolizeischutzBild: Christoph Strack/DW

Der Minister verweist auf die "historische Verantwortung" Deutschlands. Antisemitismus habe, egal wo er herkomme oder wie er motiviert sei, "schlichtweg keinen Platz in Deutschland". Und Dobrindt betonte, das wesentliche Motiv für antisemitische Straftaten sei eine rechtsextreme Gesinnung (48 Prozent). Aber bereits seit 2023 vermerkten die Ermittler immer häufiger eine "ausländische Ideologie" (2024: 31 Prozent). Er dränge auf eine automatische Ausweisung von Straftätern im Bereich des Antisemitismus, falls sie keine Deutsche seien.

Aber was heißt das konkret? Was bedeutet das für Jüdinnen und Juden in Deutschland? Fast zeitgleich zu Dobrindt stellt, eine Viertelstunde Fußweg entfernt, die "Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin" (RIAS Berlin) ihren Jahresbericht für 2024 vor, für den sie "antisemitische Vorfälle" in Berlin erfasst hat. Gelegentlich gibt es Kritik an dieser RIAS-Erfassung. Denn längst nicht jeder Vorfall ist strafrechtlich relevant, also formell eine Straftat. Grundlage sind häufig zivilgesellschaftliche Meldungen: Betroffene oder andere melden Übergriffe, Parolen oder Graffiti bei RIAS Berlin.

Demnach gab es 2024 in Berlin 2521 "antisemitische Vorfälle" und im Durchschnitt einen "antisemitischen Angriff" pro Woche. Auch diese Zahlen sind aufschlussreich. Denn im Jahresvergleich wird eine zumeist deutlich höhere Zahl an Vorfällen als 2023 verzeichnet. Der 7. Oktober mit dem Terrorangriff der Hamas gegen Israel wirkt da lange nach. 

Angriffe und Stimmungen

Die gravierendsten Fälle aus dem Bericht von RIAS Berlin sind auch medial konkret bekannt. Dort geht es um zwei körperliche Angriffe auf junge Juden, die schwer verletzt wurden. Doch der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, schaut mehr auf die Gesamtentwicklung.

"Antisemitismus hat sich in dieser Stadt normalisiert." Königsberg sagt das in sachlichem, nüchternem Ton. Die Entwicklung werde gerade durch die Erfassung von Fällen, die es nicht in die offizielle Statistik der Straftaten schaffen, deutlich. Und Königsberg schildert reihenweise solche Fälle. Da sei das israelische Deli-Restaurant, das in Berlin-Friedrichshain nach "massiven Angriffen" geschlossen habe. Da seien Schmierereien und Beschimpfungen. "Wir sehen uns als jüdische Gemeinschaft wöchentlich mit antisemitischen Hassdemonstrationen konfrontiert", betont er unter Verweis auf die mitunter gewaltsamen Demonstrationen gegen den israelischen Krieg in Gaza.

"Ein ungesagter Ruf geht durch die Stadt: 'Jews, shut up!' ('Juden, haltet das Maul!')", sagt der Beauftragte. "Räume, in denen sich Jüdinnen und Juden in dieser Stadt frei bewegen können", würden enger. Er persönlich kenne jüdische Menschen und Familien, die Berlin verlassen hätten, "weil sie für sich beziehungsweise für ihre Kinder die Sicherheit nicht mehr gewährleistet sehen". Und viele sagten, dass sie sich - obwohl Israel derzeit häufig durch Raketen aus dem Jemen angegriffen werde - in Israel sicherer fühlten als in Berlin.

Ähnlich äußert sich bei der RIAS-Präsentation Alexander Rasumny von OFEK, einer auf Antisemitismus spezialisierten Fachberatung für Betroffene. Antisemitismus durchdringe mittlerweile "sämtliche Bereiche des sozialen Lebens", Arbeitsplätze, Hochschulen, Schulen. Jüdinnen und Juden verspürten ein "konstantes Gefühl von Bedrohung im öffentlichen Raum". So meldeten immer häufiger jüdische Eltern ihre Kinder von staatlichen Schulen ab, an denen sie "pauschal für den Nahostkonflikt verantwortlich" gemacht würden. Nun gebe es einen Run auf die privaten jüdischen Schulen in der Stadt.

Propalästinensische Demonstranten besetzten im April 2025 einen Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität und beschädigten ihn; meist gibt es bei solchen Attacken auch judenfeindliche GraffitiBild: Frederic Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance

Königsberg wie Rasumny beklagen, dass Solidarität aus der Zivilgesellschaft ausbleibe. Das sei, so der OFEK-Vertreter, ein "Armutszeugnis für den gesellschaftlichen Zusammenhalt".

Und auch eine dritte Pressekonferenz im politischen Berlin widmet sich an diesem Tag dem Thema. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) vermeldet steigende Zahlen in allen Bereichen seiner Arbeit. Und warnt: Die Bekämpfung rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sei "zentral für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Sicherheit aller Menschen, die in Deutschland leben". Der Verband beklagt unterdessen eine "massive Untererfassung rechter Gewalt durch Strafverfolgungsbehörden".

Drei Pressekonferenzen an einem Vormittag, dreimal zufällig das gleiche Thema. Und die Klage, wie schwierig die Lage für Jüdinnen und Juden in Deutschland und gerade in Berlin ist.

 

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