1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rasen statt Wiesen in Moskau, Europas größter Stadt

Geert Groot Koerkamp
25. Juli 2017

Moskaus Behörden wollen die 12-Millionen-Stadt "renovieren" und ihr ein "europäisches" Erscheinungsbild verpassen. Doch dadurch verschwinden immer mehr Naturräume in der Stadt, was die Artenvielfalt gefährdet.

Russland Roter Platz in Moskau
Bild: picture-alliance/ZB/C. Welz

Ein schier endloses Meer von eintönigen Plattenbauten, rauchende Fabrikschornsteine, verstopfte Stadtautobahnen mit dröhnenden Autos und eine Bevölkerung von 12 Millionen - nicht gerade das Bild einer Stadt mit reichhaltiger Natur. Trotzdem bietet Moskau eine bemerkenswerte und vielleicht unerwartete biologische Vielfalt.

Aus der Vogelperspektive entdeckt man große grüne Bereiche zwischen den Gebäuden in Russlands Hauptstadt. Hinzukommen Flecken kleinerer und größerer Parks - oftmals Überbleibsel von Wäldern, in die sich die wachsende Stadt während des 20. Jahrhunderts hineingefressen hat und in denen seltene Tier- und Pflanzenarten leben.

Aber diese Vielfalt ist jetzt bedroht. Auch wenn es wie ein Widerspruch klingen mag, das Versprechen von Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin: "Moskaus Parks, Plätze und Straßen den Moskauern zurückzugeben", könnte das Ende für die Fülle an Natur in der Stadt bedeuten.

Zurzeit findet eine großangelegte Instandsetzung vieler Grünflächen statt, die diesen am Ende ein "zivilisierteres" Erscheinungsbild verleihen und sie zu attraktiveren Erholungsorten machen soll.

Die Moskowiter lieben ihre Parks, aber die natürlichen Grünflächen sind durch "Renovierungen" in Gefahr Bild: RIA Novosti

Die Moskauer lieben ihre Parks. Sie erlauben es ihnen, dem Krach und den Abgasen der Großstadt zu entkommen und so freuen sich viele über die geplanten Instandsetzungsmaßnahmen.

Biologen aber fragen, warum diese Parks "zurückgegeben" werden müssen, nicht zuletzt, weil städtische Maßnahmen am Ende oft katastrophale Folgen für die Artenvielfalt haben. Der Bewuchs von bunten Wiesen, auf denen manchmal eine ganze Reihe von seltenen Pflanzenarten wächst, wird oft komplett entfernt und durch sterile Rasenflächen ersetzt, auf denen Insekten kaum überleben können.

Bestäuber trifft es hart

Eines der besten Beispiele dafür ist der Zarizyno-Park im Süden Moskaus, der rigoros "renoviert" wurde.

"Das hat direkte Auswirkungen auf Hummeln, Schmetterlinge, Insekten, die wichtig für die Bestäubung sind. An manchen Orten sind sie in einer einzigen Saison verschwunden", sagt Biologin Ksenia Avilowa gegenüber DW.

Sie fügt hinzu, dass die fehlende Nahrung dazu führt, dass viele einstmals auf den Krylatskoje-Hügeln verbreitete Arten, wie die Schafstelze, selten geworden oder vollkommen verschwunden sind.

Wilde Bienen und andere Bestäuber verschwinden, wenn Wiesen durch sterile Rasenflächen ersetzt werden.Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Auch eine weitere Vogelart, die Sprosser, haben sichtlich darunter gelitten, dass großflächig Gestrüpp entfernt wurde.

"Selbst wenn einige verstreute Flächen mit den nötigen Pflanzen bleiben, liegen sie oft weit voneinander entfernt, und Insekten und Vögel können solch große Strecken auf ihrer Suche nach Nahrung nicht überbrücken", sagt Avilowa.

Narzisstische Gärten

Wissenschaftler haben das Gefühl, dass ihre Warnungen völlig ignoriert werden. "Die Hunde bellen, und die Karawane zieht vorbei, hat Bürgermeister Sobjanin über unsere Kritik einmal gesagt", erinnert sich Boris Samoilow, Verfasser von Moskaus "Red Data Book", das gefährdete Tier- und Pflanzenarten in Russlands Hauptstadt auflistet.

Ein Schlüsselproblem ist die unterschiedliche Wahrnehmung von Experten und denjenigen, die die Instandsetzungsprogramme umsetzen, sagt er. "Sie haben ihre eigenen Vorstellungen davon, wie Natur sein sollte."

"Für sie ist das Wichtigste das Geld auszugeben, das bereitgestellt wurde, und dann allen zu zeigen, wie viel Arbeit geleistet wurde."

Samoilow sagt, diese Beamten sind nicht daran interessiert, die Grünflächen so zu lassen wie sie sind. "Sie ersetzen natürliche Wiesen oft durch künstliche Rasenflächen, die dadurch zu toten Zonen werden."

"Natürliche Pfade werden mit Platten abgedeckt, und der gesamte Bereich wird urbanisiert", sagt er. "Am Ende hat man einen 'idealen' Park, den jeder bewundert und in dem sich jeder selbst bewundert."

Kommt auf die eigene Definition von 'Grün' an

Wenn man die natürlichen Lebensräume, die es noch in Moskau gibt, entfernt, werde das auch dramatische Auswirkungen auf das Mikroklima der Stadt und damit auch auf die Gesundheit von Millionen von Moskauern haben, warnen Biologen.

Die Moskauer Behörden planen umfangreiche und zum Teil radikale "Renovierungsmaßnahmen" in den Parks der StadtBild: Geert Groot Koerkamp

Die städtischen Behörden teilen diese Sicht nicht. Sie behaupten, unterm Strich nehme die Gesamtfläche von "grünen" Arealen in Moskau sogar zu und sehen die Zahl der neu gepflanzten Bäume als entscheidenden Indikator dafür, dass die Dinge nur besser werden.

Bürgermeister Sobjanin zufolge wurden in der Stadt in den vergangenen Jahren mehr als vier Millionen Büsche und Bäume gepflanzt.

"Moskau ist eine der grünsten Metropolen der Welt. Trotzdem müssen ihre Grünflächen ständig gepflegt und erneuert werden", sagte er während einer Sitzung der Stadtverwaltung im Dezember 2016.

Rückschritt

Moskaus Ansatz, wie es mit seinen existierenden natürlichen Lebensräumen umgeht, ist das genaue Gegenteil zum Trend in vielen anderen europäischen Städten, wo natürliche Lebensräume, wenn möglich, erweitert und nicht reduziert werden. 

Paradoxerweiser behaupten die Moskauer Behörden aber, dass sie aus der russischen Hauptstadt eine "echte" europäische Stadt machen wollen.

"Moskaus Bürgermeister versteht nicht, dass sich die Einstellung zu naturbelassenen Arealen in Europa schon vor langer Zeit geändert hat", sagt Biologin Galina Morozowa, die einstmals das städtische Amt für natürliche Ressourcen leitete.

"Wenn man 'Instandsetzungen' wie die, die jetzt in Moskau stattfinden, in einer europäischen Stadt versuchen würde, und das zu so hohen Kosten, würde das zu heftiger Kritik führen und als ein Zeichen für eine rückständige Stadtverwaltung gesehen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen