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Mehr Reichweite: Deutsches Geld für ukrainische Waffen

Roman Goncharenko | Alexandr Ignatenko
2. August 2025

Deutschland investiert in die ukrainische Waffenproduktion - vor allem in Langstrecken-Drohnen. Kyjiw setzt dabei auf deutsches Know-how: Was möglich ist und wo die Grenzen liegen.

Rettungskräfte stehen bei einem völlig zerstörtem Wohnhochhaus in Kyjiw nach einem russischem Raketenangriff
Rettungskräfte erreichen ein zerstörtes Wohnhaus in Kyjiw nach einem russischem RaketenangriffBild: Efrem Lukatsky/AP Photo/dpa/picture alliance

Brennende Wohnhäuser, Rauch überzieht Kyjiw. Russland greift täglich ukrainische Städte mit Drohnen und Raketen an. Die Ukraine wehrt sich mit Gegenangriffen, die Ziele auch weit im russischen Hinterland treffen.Vielleicht kommen dabei gerade Drohnen zum Einsatz, die mit deutschem Geld produziert wurden.

"Das ist der Einstieg in eine neue Form der militärisch-industriellen Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern, die großes Potenzial hat", sagte Bundeskanzler Friedrich Merz beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 28. Mai in Berlin. Deutschland werde weitreichende Waffen aus ukrainischer Produktion finanzieren. Die beiden Verteidigungsministerien unterzeichneten damals eine Vereinbarung.

Bei einer Pressekonferenz am 28. Mai in Berlin: Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanzler Friedrich Merz Bild: dts-Agentur/picture alliance

Zwei Monate später sind immer noch wenig Details über die Vereinbarung bekannt. "Der Prozess läuft", sagt Mitko Müller vom Bundesverteidigungsministerium auf Anfrage der DW Ende Juli. Das sei ein Verfahren zwischen der ukrainischen Industrie und den Streitkräften.

Drohnen mit über 1000 Kilometer Reichweite

Im Juni 2024 stieg Dänemark als erstes NATO-Mitglied in die ukrainische Rüstungsindustrie ein. Deutsche Waffenhersteller sind in der Ukraine zwar vertreten, doch nur die wenigsten sind so sichtbar wie Rheinmetall. Der Branchenriese erweitert seine Präsenz mit Gemeinschaftsunternehmen: Panzer werden repariert, ein Munitionswerk entsteht. "Wir sehen eine gigantische Änderung im deutschen Ansatz gegenüber der Ukraine, eine komplette Öffnung“, sagt Ihor Fedirko der DW. Er ist Geschäftsführer des Ukrainischen Rats der Waffenhersteller.

Neu sind direkte Investitionen der Bundesregierung in die ukrainische Drohnen- und Raketenproduktion. Laut der Zeitung Welt will Deutschland rund 500 Angriffsdrohnen vom Typ Antonow-196 ("Ljutyj") mit über 1000 Kilometern Reichweite finanzieren. Der Stückpreis liegt nach ukrainischen Medien bei rund 200.000 US-Dollar.

Die Drohne entstand aus der früheren ukrainisch-türkischen Kooperation und "war schon ziemlich weit in der Entwicklung und im Test", sagt der österreichische Militärexperte Gustav Gressel im Gespräch mit der DW. Allerdings werde "ein sehr hoher Anteil dieser Drohnen" abgeschossen, da sie langsam fliegen - ähnlich wie vergleichbare russische Modelle.

Gustav Gressel ist Experte für Osteuropa, Sicherheitspolitik und Militärstrategien beim European Council on Foreign Relations in BerlinBild: DW

Die Ukraine hofft zusätzlich aber auch auf deutsches Know-how. "Uns fehlen Deeptech-Technologien. Das betrifft die Komponentenbasis. Ausgestattet mit diesem Wissen könnten wir eine tiefgreifendere Modernisierung durchführen und effizienter gestalten", sagt Ihor Fedirko. "Deutschland verfügt über diese Technologien, darunter die besten optoelektronischen Systeme mit Matrixkühlung."

Die Ukraine bitte alle Partner um Technologie für weitreichende Waffen, betont er. "Wir sprechen von einer Reichweite von 500 bis 1000 Kilometern. Und einige von ihnen, zum Beispiel die Deep-Strike-Drohne 'Ljutyj', können bereits Ziele in einer Entfernung von mehr als 2.000 Kilometern erreichen", so Fedirko.

Quantum-Systems expandiert in der Ukraine

Viele der in der Ukraine aktiven deutschen Rüstungsfirmen sind Startups und kommen aus Bayern. Ein Beispiel ist das Unternehmen Quantum-Systems. Fedirko spricht hier von einem "Best Case" im Bereich Forschung und Entwicklung. Das 2015 gegründete Unternehmen liefert seit 2022 seine Aufklärungsdrohne "Vector" an die ukrainische Armee. Besonderheit dieser Drohne: Sie kann senkrecht starten und landen. "Als einziges westliches Unternehmen produzieren wir Aufklärungsdrohnen dort, wo sie am dringendsten gebraucht werden: vor Ort in der Ukraine", sagte Sven Kruck, Co-CEO von Quantum-Systems, der DW. Sein Unternehmen beschäftige rund 200 Mitarbeitende in der Ukraine und expandiere weiter. Und im September soll ein zweites Produktionswerk eröffnet werden - und damit soll auch die Kooperation ausgebaut werden.

Ukrainische Soldaten mit einer deutschen Vector-Drohne im Sommer 2022Bild: Quantum-Systems

Im Juli gab Quantum-Systems eine Investitionsvereinbarung mit dem ukrainischen Drohnenhersteller Frontline bekannt. Die deutsche Firma will zunächst zehn Prozent der Anteile übernehmen, mit der Option, auf 25 Prozent zu erhöhen. "Frontline ist spezialisiert auf technische Lösungen für Aufklärungs- und Angriffsoperationen. Ihre Systeme werden derzeit von 41 Militäreinheiten in der Ukraine genutzt", sagte Kruck. "Vor allem in der Entwicklung zur Drohnenabwehr sehen wir Kooperationspotenzial." Einen Einstieg in Kampfdrohnen plane das Unternehmen jedoch nicht.

Künstliche Intelligenz aus Deutschland

Kampfdrohnen "Made in Germany" stammen von Helsing. Das bayerische Start-up liefert tausende Drohnen an die Ukraine und kündigte im Februar 2025 einen neuen Auftrag über 6000 Strike-Drohnen des Typs HX-2 an. Diese sollen laut Hersteller eine Reichweite von 100 Kilometern haben und dank künstlicher Intelligenz "resistent gegen elektronische Kriegsführung und Störmaßnahmen" sein. Eine Anfrage der DW zu weiteren Details blieb bislang unbeantwortet.

Eine HX-2-Kampfdrohne der deutschen Firma HelsingBild: picture alliance/dpa/Helsing

So sehr sich die ukrainische Seite über deutsche Investitionen in ihre Drohnenproduktion freut, der Bedarf übersteigt die bisherigen Kapazitäten bei weitem. Das Land brauche Quantität, Masse, die "kostengünstig nur in der Ukraine" produziert werden könne, sagt der Militärexperte Gustav Gressel. Dasselbe gilt auch für Raketen. Zum Beispiel Taurus-Marschflugkörper, die die Bundesregierung derzeit nicht bereit ist zu liefern. Möglich sei etwa die Mitarbeit deutscher Unternehmen und die Lieferung von Spezialteilen, erklärt Gressel. Damit ließe sich die Reichweite des ukrainischen Neptun-Marschflugkörpers erhöhen - etwa durch effizientere Spezialtriebwerke, die mit derselben Treibstoffmenge weiterfliegen, sowie durch Sensoren, die vor allem bei Landzielen für mehr Treffsicherheit sorgen. Eine Entscheidung darüber sei jedoch noch nicht gefallen.

Ukraine als Testgelände

Neu ist nicht nur die Bereitschaft, in der Ukraine zu investieren, sondern auch, eigenes Know-how zu teilen. Zu Beginn der russischen Invasion habe man befürchtet, moderne Waffen könnten in russische Hände fallen, sagte Gressel. Auch an der Zuverlässigkeit des ukrainischen Personals habe es Zweifel gegeben - die Folge: Die Ukraine erhielt zunächst ältere Modelle.

Das habe sich geändert, auch weil das Land inzwischen selbst moderne Waffen produziert und westlichen Herstellern Konkurrenz machen könnte. "Deutsche Unternehmen lernen hier Dinge, die man in Friedenszeiten nie simuliert bekommt und für die es in Deutschland weder Übungsplätze noch Simulationsbedingungen gibt - ein derart mit Störern, Störsendern und Fliegerabwehr bedrängtes Gebiet wie jetzt das Kampfgebiet in der Ukraine."

Das bekomme man auf keinem NATO-Übungsplatz, auch nicht in den USA nicht, so Gressel. Die Industrie habe das erkannt.

Sven Kruck von Quantum-Systems bestätigt dies: "Die Drohnenentwicklung ist ein Katz-und-Maus-Spiel - nur wer vor Ort ist, kann sich den ständigen Veränderungen anpassen. Unsere Erkenntnisse aus der Ukraine fließen direkt in unsere Produktentwicklung ein, die wir allen Kunden weltweit zur Verfügung stellen." Er sieht sein Unternehmen als "Leuchtturmprojekt" und will andere "ermutigen, nachzuziehen".

Ihor Fedirko vom Ukrainischen Rat der Waffenhersteller setzt auf weiteren Ausbau der Zusammenarbeit: "Deutschland ist ein Land mit einer typisch europäischen Bürokratie. Es braucht Zeit, Dinge zu erledigen. Doch wenn die Deutschen sagen, dass sie etwas tun, wissen wir in der Ukraine, dass es getan wird."