Nach zwei Jahren Corona-Pandemie zog es die meisten Deutschen diesen Sommer wieder ins Ausland. Die Bilanz der heimischen Tourismusindustrie fällt angesichts vielfältiger Probleme durchwachsen aus.
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Erholung und Chaos: Reisen im Sommer 2022
Chaos an Flughäfen, überfüllte Züge, Dürre und Waldbrände in Urlaubsgebieten - der Reise-Sommer 2022 war heftig. Corona ist zwar noch da, war aber kein großes Thema. Bilder einer extremen Saison.
Bild: Frank bründel/rtn/picture alliance
Bahn-Wahnsinn
Um die Bürger zu entlasten und das Bahnfahren attraktiver zu machen, initiierte die Bundesregierung das 9-Euro-Ticket. In den Monaten Juni, Juli und August konnte jeder für nur neun Euro im Monat bundesweit die Busse und Bahnen im Regionalverkehr nutzen. Über 52 Millionen Tickets wurden verkauft - überfüllte Züge und Verspätungen waren die Folge. Aber auch das Versprechen: Das Ticket kommt wieder!
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Flug-Chaos
Wer ins Ausland fliegen wollte, musste in diesem Sommer stressresistent sein. Da die meisten Airlines und Flughäfen in der Corona-Zeit massiv Personal abgebaut haben, brach das Chaos aus, als der Ansturm losging. Reisende mussten - wie hier am Flughafen Düsseldorf - viele Stunden am Check-In und an den Sicherheitskontrollen warten.
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Endlich mal Ruhe und Entspannung. Naja.
Im Ausland angekommen, ging es dann oft ähnlich weiter wie am Flughafen. Die Menschen strömten in die lang vermissten Urlaubsregionen, die auf den Ansturm nicht eingestellt waren. Manche Orte hatten sich während der Pandemie Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Und auf einmal war alles wie vorher, wie hier auf Mallorca in Cala Pi, das in manchem Reiseblog noch als Geheimtipp gilt.
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Vorne Strand, hinten Brand
Hinzu kommt, dass es in diesem Sommer in großen Teilen Europas sehr heiß und trocken war und es an vielen Stellen zum Teil zu riesigen Waldbränden kam wie hier am südfranzösischen Badeort Pyla sur Mer. Der Himmel ist zwar schwarz vom Rauch, aber solange das Meer blau ist, gehen die Touristen weiter seelenruhig baden.
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Mehr Boote als Wasser
Wenn man den See vor lauter Booten nicht sieht, ist es der geschrumpfte Stausee Lac de Sainte-Croix, ebenfalls in Südfrankreich. Viel Sonne, Hitze und kaum Niederschläge sorgten für Extremwetter. Die französische Premierministerin spricht von der schlimmsten Trockenheit, die in Frankreich jemals verzeichnet wurde. Aber Urlaub ist Urlaub. So nutzen die Kanufahrer und Standup-Paddler was da ist.
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Hello again
Volle Straßen, Plätze und Gehwege, viel Lärm, viel Müll, hohe Mieten. Die Einwohner von Barcelona waren genervt vom Massentourismus. Mit Beginn der Corona-Pandemie konnte sich die Stadt erholen. Es kam nur noch ein Bruchteil der Touristen. In diesem Sommer aber waren die Touristenmassen wieder da - und mit ihnen auch die Probleme. Darum hat die Stadt einige neue Regeln für Touristen aufgestellt.
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Regeln für Touristen
Ende Juli 2022 hat Barcelona Touristengruppen auf maximal 30 Personen begrenzt, in der Altstadt sogar auf maximal 15 Personen. Zudem dürfen Gruppen von über 15 Personen auf bestimmten Märkten nicht mehr einkaufen. Auch dürfen die Touristengruppen nicht mehr überall einfach so stehen bleiben, sondern nur noch auf bestimmten Plätzen. Und die Fremdenführer dürfen keine Megafone mehr benutzen.
Bild: Marc Asensio/NurPhoto/picture alliance
Nicht zu viel und nicht zu wenig
Auch die Einwohner von Venedig haben stark unter den Touristenmassen gelitten - bis die Pandemie kam. Da Venedig von überdurchschnittlich vielen Touristen aus Übersee besucht wird, die während der Pandemie kaum reisen konnten, war die Stadt auch überdurchschnittlich stark vom Touristenrückgang betroffen - mit Umsatzeinbußen von 80 Prozent. Viele Betriebe mussten schließen.
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Erst zahlen, dann kommen
In Venedig wohnen rund 50.000 Menschen, vor der Pandemie kamen bis zu 33 Millionen Touristen pro Jahr - macht pro Tag 90.000. Zu viel für die Stadt. Man beschloss, Eintritt für den Besuch zu nehmen. Mit Corona hat man das zurückgestellt. Jetzt aber sind die Touristen wieder da, allein Ostersamstag sollen es 160.000 gewesen sein. 2023 soll es losgehen mit dem Eintritt: drei bis zehn Euro.
Bild: Andrea Merola/IMAGO
Gibt es was umsonst? Nein, nur für viel Geld!
Aber auch ein Eintritt zum Betreten einer Stadt dürfte die Touristen nicht aufhalten. Denn aufgehalten haben sie auch nicht die überall steigenden Preise. Die Inflation hat stark angezogen. Lebensmittel werden immer teurer. Die Energiepreise steigen weiter. Benzin wird teurer, auch das Kerosin für Flugzeuge - und damit das Reisen insgesamt. Trotzdem stürmten die Urlaubshungrigen die Flugzeuge.
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Rache an Corona
"Revenge Travel" heißt der während der Pandemie entstandene Fachbegriff dafür, dass so viele Menschen trotz Corona, Dürre, Flugchaos, Umweltbelastung und hoher Inflation quasi um jeden Preis ins Ausland reisen wollten. Im Sommer 2022 wurde alles nachgeholt, was vorher nicht ging, gewissermaßen um sich an dem Virus zu rächen. Hier "Rächer-Touristen" bei einem Besuch der Akropolis in Athen.
Solche Touristenmassen wie in Barcelona und Venedig gibt es zwar in deutschen Orten nicht, trotzdem lockte der mit 817 Sonnenstunden sonnigste Sommer, den Deutschland je gesehen hat. Dazu das mit neun Euro günstigste Monatsticket, das es in Deutschland je gab. Beides nutzten die Menschen aus - so wie hier an der beliebten Basteibrücke in der Sächsischen Schweiz. Ein extremer Sommer eben.
Bild: Robert Michael/dpa/picture alliance
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Ganz so gefragt wie in den beiden vorangegangenen Jahren war Usedom in diesem Sommer nicht. Dennoch ist man auf der Ostsee-Insel einigermaßen zufrieden mit den Buchungszahlen. Die lagen im Schnitt um etwa 20 Prozent unter denen der beiden Corona-Jahre, sagt Michael Raffelt, Gründer des Hotels Hanse-Kogge in Koserow und Vorsitzender des Hotelverbandes Insel Usedom. "Es ist aber auch kein schlechter Sommer gewesen." Wegen der Reisebeschränkungen hatten zuletzt ungewöhnlich viele Deutsche Urlaub an der Ostsee gemacht ." Jetzt müssen wir uns wieder daran gewöhnen, um jeden Gast zu kämpfen", sagt Raffelt.
Verzicht auf Urlaub nur im Notfall
Nachdem im vergangenen Jahr Corona-Beschränkungen Auslandsreisen noch erschwert hatten, zog es die Deutschen in diesem Sommer tatsächlich verstärkt in die Ferne. Insbesondere Flugpauschalreisen ans Mittelmeer seien sehr gut gebucht gewesen, heißt es beim Deutschen Reiseverband. Gefragt waren vor allem Mallorca, Griechenland und die Türkei. Traditionell verbringen etwa zwei Drittel der Deutschen ihren Urlaub im Ausland, ein Drittel in der Heimat. Die Buchungszahlen für Auslandsreisen seien sehr gut gewesen und hätten seit Februar durchgehend über denen des Vor-Corona-Jahres 2019 gelegen.
Das bestätigt auch der Reiseveranstalter DERTOUR, der kürzlich sein Reisebarometer veröffentlicht hat. Die Sehnsucht nach Urlaub sei groß und nach zwei Jahren ohne teure Fernreisen seien viele Menschen auch bereit gewesen, mehr Geld in die Hand zu nehmen als vor der Pandemie, heißt es darin: Die Ausgaben für den Hotelaufenthalt im Ausland seien im Schnitt um 51 Prozent gestiegen. Viele Urlauber hätten eine höhere Hotelkategorie gebucht und blieben im Schnitt einen Tag länger.
Im Inlandstourismus sieht die Lage etwas anders aus. Auf Usedom etwa hat Michael Raffelt in diesem Sommer bereits eine große Verunsicherung bei seinen Gästen wahrgenommen. Dafür sprechen die kurzfristigen Buchungen: Häufig reservierten die Leute erst 14 Tage im Voraus. Das liege an der hohen Inflation. "Der eine oder andere will abwarten, was da auf ihn zukommt und entscheidet erst dann, ob er überhaupt in den Urlaub fährt", vermutet Raffelt. Einmal angekommen sitzt das Geld bei vielen Gästen in diesem Jahr obendrein nicht allzu locker. "Viele Gäste gehen nicht mehr jeden Tag ins Restaurant und verkneifen sich eher das eine oder andere."
Krise als Dauerzustand bei den Hotels
Dazu passt, dass die Umsatzzahlen im deutschen Gastgewerbe weiterhin unter dem Vorkrisenniveau liegen, wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) meldet. Die Lage sei "extrem herausfordernd", da die Branche zeitgleich "mit explodierenden Kosten in den Bereichen Energie, Lebensmittel und Personal konfrontiert ist", sagt Guido Zöllick, DEHOGA-Präsident. Insbesondere bei den Energiekosten sei ein Ende der Preisspirale nicht absehbar. Zudem suchten noch im Juni mehr als 60 Prozent der gastgewerblichen Betriebe Fach- und Hilfskräfte. "Weil es an Mitarbeitern fehlt, müssen Unternehmen ihre Öffnungszeiten reduzieren und Veranstaltungen ablehnen", so der DEHOGA-Präsident damals. Zumindest hat sich die Nachfrage seit dem Wegfall der Corona-Auflagen im Mai gut entwickelt. Im Juli lagen die Umsätze erstmals wieder auf Vor-Corona-Niveau.
Diesen positiven Trend bestätigt auch das Tourismusministerium Mecklenburg-Vorpommerns. Man habe eine gute Sommersaison geschafft, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Auslastung aller touristischen Kapazitäten habe im Juli bei 87 und im August bei 80 Prozent gelegen. Schleswig-Holstein wiederum vermeldet einen Anstieg der Übernachtungen im ersten Halbjahr im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2019 um 4,4 Prozent. Beim Nordsee-Tourismusverband erwartet man, dass sich die Sommerzahlen in etwa auf Vor-Corona-Niveau einpendeln werden. Die Gäste seien aber zuletzt "preissensibler" geworden und hätten sich bei kostenpflichtigen Freizeitangeboten sowie in der Gastronomie zurückhaltender gezeigt.
Gewinner und Verlierer der Saison 2022
Dass dieser Sommer die Tourismusbranche vor einige Herausforderungen gestellt hat, bestätigt auch Daniel Thiriet, Vizepräsident der Interessengemeinschaft River Cruise, des Verbandes der Flusskreuzfahrtanbieter. Die langanhaltende Dürre hatte vielerorts zu Niedrigwasser geführt und so auch die Flussschifffahrt erschwert. Absagen oder komplette Streckenstilllegungen habe es zwar nur vereinzelt gegeben, die Unternehmen hätten aber viel Aufwand betreiben müssen, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können. Auf dem Rhein etwa sei stellenweise kein Schiffsverkehr mehr möglich gewesen, sodass die Passagiere auf manchen Abschnitten mit Bussen befördert werden mussten.
Eine der Branchen, die derzeit besser dastehen, als vor Corona, sind die Campingplätze. Diese verzeichneten im ersten Halbjahr sogar einen neuen Rekord: Die Zahl der Übernachtungen stieg laut Bundesverband der Campingwirtschaft in Deutschland (BVCD) im Vergleich zum selben Zeitraum 2019 um elf Prozent auf 14,2 Millionen. Ungetrübt aber ist die Freude auch hier nicht. "Angesichts der unsicheren Prognosen und derzeitigen Belastungen für die Verbraucher blicken wir mit gedämpften Erwartungen auf den Herbst“, so Christian Günther, BVCD-Präsident.
Die nächste Herausforderung heißt Energiekrise
Mit Sorge sieht auch Michael Raffelt in die Zukunft. "Wir haben so viele Probleme derzeit, die sich überlappen: Das macht Angst", sagt er. Dazu gehören aus seiner Sicht insbesondere die hohen Energiekosten. Den ersten Hotels auf Usedom hätten die Versorger bereits die Verträge gekündigt. Wie die neuen Konditionen aussehen werden, bleibe abzuwarten. Raffelt schwant nichts Gutes. "Wir sind schließlich keine Branche, die sämtliche Kosten an die Kunden weitergeben kann", sagt er. Das nämlich schlage sich sonst unmittelbar in den Buchungszahlen nieder.