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Mehrheit ohne Macht

Peter Philipp

Die Schiiten stellen zwar die Bevölkerungsmehrheit im Irak, die politische Führung des Landes bestand jedoch größtenteils aus Angehörigen der sunnitischen Minderheit. Die Hintergründe erläutert Peter Philipp.

Religiös bedeutendes Schlachtfeld: die Umgebung von NadschafBild: AP

Als sich amerikanische und irakische Truppen Kämpfe in der Gegend der Städte Nadschaf und Karbala lieferten, war sich wohl kaum einer der Kämpfenden dabei bewusst, dass man sich hier auf einem historisch, religiös und militärisch wichtigen Terrain befindet, das schon früher der Schauplatz wichtiger und schicksalhafter Schlachten war.

Hier soll einer der Söhne Noahs getötet worden sein, weil er nicht die Arche betreten wollte; hier sollen Abraham und Isaak gelebt haben, und diese Gegend ist auch das religiöse Zentrum der Schiiten: Die beiden Orte Nadschaf und Karbale werden als Heilige Stätten verehrt, denn hier befinden sich die Gräber des ersten Imam der Schiiten und des Begründers dieser muslimischen Glaubensrichtung, Ali und seines Sohnes Hussein.

Kernland der Schiiten

Die Schi’a ("Partei Alis") nahm von hier ihren Ursprung und dies ist das eigentliche Kern- und Heimatland der Schiiten, die bis heute die Mehrheit der 24 Millionen zählenden Bevölkerung des Irak ausmachen. Den Irak beherrscht haben die Schiiten nur kurz in der langen Geschichte des Zweistromlandes zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Weil Ali ein Schwiegersohn des Propheten war, stand ihm in der Sicht seiner Anhänger die politische und geistliche Führungsrolle der Muslime zu. Dies wurde aber von anderen Gruppen bestritten. Und es war bei einem Versuch die Macht als Kalif zu übernehmen, dass Alis Sohn Hussein bei Karbala vernichtend geschlagen und getötet wurde. Der Ort ist seitdem der religiös wichtigste Ort für Schiiten weltweit.

"Teile und herrsche"

Im weiteren Laufe der Jahrhunderte haben die Schiiten im Gebiet des heutigen Irak nur selten die Herrschaft ausgeübt. Sie dehnten ihren religiösen Einflussbereich aber auf Persien aus. Dies führte später dazu, dass die osmanischen wie auch die britischen Herrscher die Schiiten – nach dem Prinzip "teile und herrsche" - als "Perser" oder "Nicht-Iraker" abzustempeln versuchten, und lieber Angehörige der sunnitischen Minderheit in politischen Führungsämtern förderten.

Diese Einstufung wurde und wird von den irakischen Schiiten aber nicht akzeptiert. Sie fühlen sich als die wahren Iraker und sie waren auch im 20. Jahrhundert tatkräftig an den politischen Veränderungen des Staates beteiligt – zum Königreich und dann zur Republik. Politischen Nutzen konnten sie nicht daraus schlagen. Die Baath-Partei, die das Land seit 1968 alleine regiert, hat die Verteufelung der Schiiten fortgesetzt, und es ist wiederholt zu Aufständen gegen das Regime gekommen.

Rache des Regimes

Am heftigsten war der Aufstand nach der Vertreibung des Irak aus Kuwait, als die USA den Schiiten Hoffnung gemacht hatten, für eine Revolte gegen Saddam Hussein mit mehr politischen Rechten belohnt zu werden. Washington ließ die Schiiten im Stich, die Rache des Regimes war grausam wie selten zuvor: Tausende von Schiiten wurden umgebracht oder ins Exil getrieben, die Stadt Nadschaf wurde schwer beschädigt und die religiöse Führung durch linientreue Regimeanhänger ersetzt.

Aus diesen Gründen hält sich die Bereitschaft der Schiiten, mit den USA zu kooperieren, jetzt deutlich in Grenzen. Man hat beim letzten Mal zu teuer bezahlen müssen. Auf amerikanischer Seite wiederum verstärkt solche Zurückhaltung den Verdacht, man habe es bei den irakischen Schiiten letztlich mit dem verlängerten Arm Teherans zu tun. Zwar wird die organisierte Opposition der Schiiten vom Iran aus geleitet, die Mehrheit der irakischen Schiiten hat aber keine Pläne für eine islamische Republik: Sie wollen einfach in Ruhe und Frieden leben, und teilhaben an der Gestaltung ihres eigenen Staates – des Irak. Wie immer auch eine zukünftige Struktur des Landes aussehen wird: Die Schiiten werden diesmal wohl mehr Rechte bekommen müssen.

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