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Mein Berlinale-Tagebuch: der 8. Tag

17. Februar 2012

Der Berlinale-Wettbewerb nähert sich dem Ende. Am vorletzten Tag gab es nach schwerer Kost zum guten Schluss doch noch ein unerwartetes Highlight.

Portraitbild von Jochen Kürten
Berlinale Jochen KürtenBild: DW/J.Kuerten

Heute hat mich Jury-Präsident Mike Leigh des Platzes verwiesen. Die internationale Jury, die ja am Samstag die Bären verleiht, sitzt im Berlinale-Palast immer in unmittelbarer Nähe. Und wenn die Vorstellung dann vorbei ist, dann hat auch eine Jury mal Hunger. Direkt neben dem Kino ist ein kleiner Self-Service-Asiate, den ich heute aufgesucht habe. Unmittelbar vor mir an der Kasse hatte sich also am Donnerstagmittag die versammelte Jury aufgebaut, Leigh und Jake Gyllenhaal, Charlotte Gainsbourg, Barbara Sukowa und die anderen.

Mike LeighBild: Getty Images

Da es bei Gruppen im allgemeinen üblich ist, dass die sich so schnell nicht einig werden, was denn nun bestellt werden soll, Tofu hier, Lammcurry dort, sah ich meine Chance und drängelte mich vor. Ich gab meine Bestellung ab und setzte mich an einen freien Tisch. Ohne allerdings zu beachten, dass dort ein kleines "Reserviert"-Schildchen stand. Kurz darauf kam Mike Leigh zu mir und meinte, der sei doch für die Jury. Das war wohl die Rache für mein Vordrängeln. Ich gab natürlich nach und verzog mich an den freien Nebentisch.

Schwere Kost am Vormittag

Schließlich hatten auch Leigh & Co zuvor im Kino schwere Kost aufgetischt bekommen und hatten Anspruch auf ein wenig Erholung. Am frühen Morgen gab´s bereits einen ungarischen Film über das Leid und das Elend der Roma, sehr düster, mit wackeliger Handkamera aufgenommen, konsequent bis zum bitteren Ende, bei dem eine Roma-Familie von Rassisten erschossen wird. Der Film "Just the Wind" stützt sich auf wahre Begebenheiten, wie es im Prolog heißt, doch lässt er mich weitgehend kalt. Wer dem Zuschauer nur Not und Elend in einer Endlosschleife zeigt, dabei auf Charaktere verzichtet, auf Personen, auf Entwicklung, auch auf visuelle Abwechslung, der raubt dem Zuschauer den Atem. Der Erkenntnisgewinn bei "Just the Wind" hielt sich in Grenzen.

Just The WindBild: Berlinale

Interessanter dann die folgenden 130 Minuten. "Gnade" des deutschen Regisseurs Matthias Glasner mit Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr stand auf dem Programm. Auch Glasner lässt kaum ein Licht zu, der Film spielt im äußersten Norden Norwegens während der Wochen zum Jahresende, die das Land in vollkommene Dunkelheit hüllen. Vogel spielt den Ingenieur Niels, der mit seiner Frau Maria und dem gemeinsamen Kind einen Job in einer Erdgasanlage antritt. Maria überfährt dann eines Nachts ein 16jähriges Mädchen, begeht Fahrerflucht, die Kleine stirbt am Straßenrand. Nur ihrem Mann gesteht Maria das. Die beiden beschließen zu schweigen. Doch der Gewissensdruck erweist sich am Ende als stärker, sie offenbaren sich den Eltern des toten Mädchens.

Not im hohen Norden

Glasners Film ist eine düstere Leidenspassion. Die Landschaften sind – wenn die Sonne dann irgendwann einmal das nächtliche Schwarz aufreißt – grandios, doch meist herrscht Dunkelheit und Kunstlicht vor. Das Leid der Eltern des überfahrenen Mädchens ist natürlich unermesslich. Und Glasner gönnt dem Publikum auch sonst keine Aufhellung. Maria arbeitet in einem Hospiz und pflegt dem Tode geweihte Menschen. Was will uns der Film sagen? Dass Gnade nur dann zu erlangen ist, wenn man nicht verdrängt? Dass auch im tiefsten Unglück irgendwo Erlösung in Sicht ist? Glasners Film, eine Art deutsche Lars von Trier-Version, wirkt in all seinem Hang zum düster-radikalen Realismus und seiner kalten Pracht wie auf dem Reißbrett entworfen. Sehr quälend!

Grandioses Kostümkino

Film: GnadeBild: Alamode Film/Jakub Bejnarowicz

Für mich gab es dann aber im vorletzten Wettbewerbsbeitrag der Berlinale doch auch noch ein Erweckungserlebnis. Der erste Film, der mein Herz berührte. Er kam aus Dänemark und heißt "Eine königliche Affäre". Erzählt wird die historisch verbürgte Episode des dänischen Königs Christian VII., der tumb, naiv und ein wenig geistesschwach war und sich für einige Jahre von seinem deutschen Leibarzt Johann Friedrich Struensee leiten ließ. Der brachte die frische Luft der Aufklärung nach Kopenhagen. Doch Struensee hatte auch ein Affäre mit der Königin, was ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Regisseur Nikolaj Arcel hat einen prächtigen und sehr intelligenten Historienfilm aus dem Stoff gemacht und all das erfüllt, was man sich eigentlich vom Berlinale-Eröffnungsfilm "Leb wohl, meine Königin!", der ja fast zur gleichen Zeit in Versailles spielt, erhofft hat. So kann Kino sein, dachte ich, intelligent und ein Augenschmaus, melodramatisch mit prächtigen Charakteren und Schauspielern. Ich hoffe sehr, dass "Eine königliche Affäre" am Samstag bei der Bärenverleihung nicht leer ausgeht, habe aber meine Skepsis bei der Jury. Immerhin hat sie den Film am Abend gesehen, mit vollem Magen.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Gudrun Stegen