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Mein Berlinale-Tagebuch: der 7. Tag

16. Februar 2012

In der Reihe "Berlinale Special" feiern Filme Premiere, die nicht den Sprung in den Wettbewerb geschafft haben. Das kann bei den betroffenen Filmemachern erstaunliche Reaktionen auslösen.

Portraitbild von Jochen Kürten
Bild: DW/J.Kuerten

Heute schreibe ich mal vom Glück. Natürlich ist das kein Zufall, ein Film weist mir den Weg. "Glück" nämlich heißt der neueste von Regisseurin Doris Dörrie, der am Mittwoch spätabends hier seine Premiere feierte, in der Reihe "Berlinale Special". Hier laufen die Filme, die schon auf anderen Festivals gelaufen sind und deshalb für die Bärenkonkurrenz nicht mehr in Frage kommen, oder die, die schlicht und einfach nicht ausgewählt wurden für den Wettbewerb. Dörries Film gehört in diese Kategorie.

Filme gegen das Publikum?

Nun hat die Regisseurin, die ja seit vielen Jahren fest verankert ist im deutschen Kino und auch einige kommerzielle Erfolge aufzuweisen hat, kurz vor Beginn des Festivals dem Magazin "Focus" ein Interview gegeben, in dem sie ihren Unmut über sogenannte Festivalfilme äußerte. Es gebe leider inzwischen immer mehr Filme, die nur für das Festival produziert werden, so die erboste Regisseurin, und weiter: "Da das unkluge und hochgefährliche Auseinanderdividieren von Filmen fürs Publikum und Filmen fast gegen das Publikum immer mehr zunimmt, weiß ich auch nicht, ob ich so glücklich wäre im Wettbewerb". So die offensichtlich ob ihrer Nichtberücksichtigung sehr enttäuschte Dörrie.

Wenn man dann noch liest, was die Filmemacherin am Tag ihrer Premiere in einem längeren Interview des "Tagesspiegel" verkündet, ist man völlig baff. Es gebe Museums- und Festivalfilme, die nur in einem geschützten Rahmen existierten. Diese Regisseure würden "den Kommunikationsraum Kino kampflos aufgeben" heißt es da. Und um das Maß voll zu machen: "Ich will die Leute unterhalten. Sie vorsätzlich zu langweilen, ist doch wahnsinnig arrogant". Das ist ein starkes Stück, wie ich finde und bedarf der Kommentierung.

Falsche Argumente

Es ist ja nicht so, dass Doris Dörrie in allem Unrecht hätte. Dass im Wettbewerb oft große Langeweile herrscht, damit hat sie durchaus recht. Es mag auch solche Festivalfilme geben, die später kaum noch jemand zu sehen bekommt. Das ist zu bedauern und müsste sich dringend ändern. Wir Journalisten schreiben das seit Jahren und Berlinale-Chef Dieter Kosslick hat das oft genug um die Ohren bekommen in jüngster Zeit. Doch stimmt die Argumentationskette der Dörrie ganz und gar nicht. Zunächst: Die Filme des Festivals können von jedem Verleiher der Welt gekauft und in die Kinos gebracht werden. Das geschieht nun mal nicht, weil sie sich kein kommerzielles Geschäft davon versprechen. Das kann man bedauern, ist aus Sicht der Verleiher aber durchaus zu verstehen.



Filmemachern zu unterstellen, sie langweilten vorsätzlich ihr Publikum, ist eine Unverschämtheit und müsste eigentlich den Protest all der Regisseure aus Griechenland und Frankreich, Ungarn und der Schweiz, aus den USA und Deutschland hervorrufen, die in diesem Jahr dabei sind. Die meisten werden vermutlich Dörries Äußerungen gar nicht mit bekommen haben. Filme gegen das Publikum macht niemand. Die Front verläuft nicht zwischen Festivalregisseuren auf der einen Seite und anspruchsvollen, an das Publikum denkenden Regisseuren auf der anderen. Sie verläuft vielmehr zwischen dem kommerziellen Teil der Kinoindustrie mit Hollywood-Filmen in Muliplexkinos und dem Rest.

Keine Frage der Zuschauerzahlen

Ich habe mir den Film "Glück" natürlich angeschaut. Er hat mich nicht glücklich gemacht. Die Geschichte eines jungen Liebespärchens, sie Prostituierte mit unglücklicher Vergangenheit in Osteuropa, er ein junger Bettlerpunk mit den schönsten weißen Zähnen der Welt, ist nur in ganz wenigen Momenten ergreifend. Die Geschichte basiert auf einer kurzen Story von Ferdinand von Schirach, knarzt dramaturgisch an allen Ecken und Enden. Die literarische Vorlage und Dörries Eigenanteil am Drehbuch wollen nicht zueinander finden. Mag sein, dass in ein paar Monaten mehr Zuschauer den Film von Doris Dörrie gesehen haben als die beiden deutschen Wettbewerbsbeiträge von Christian Petzold und Hans-Christian Schmid. Das ist nun einmal so. Es werden auch mehr Bücher von Hera Lind gekauft als von Alexander Kluge, und die Einschaltquoten von "Wetten dass" liegen höher als die des Senders ARTE. Ein Festival hat übrigens auch andere Aufgaben als nach Quoten zu schielen, Frau Dörrie.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Gudrun Stegen

Berlinale Spezial "Glück" von Doris DörrieBild: Constantin Film VerleihGmbH/Mathias Bothor
Doris DörrieBild: Constantin Film Verleih GmbH 2009/ Mathias Bothor
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