Mein Berlinale-Tagebuch: 4. Tag
13. Februar 2012 Das haben sich die Programmmacher der Berlinale fein ausgedacht: den Sonntag zum Tag der Religion zu machen. Drei Filme im Wettbewerb, dreimal Thema Religion. An der Kirche kommt man nicht vorbei, auch nicht und besonders nicht bei den Filmfestspielen. Da mag der Rote Teppich noch so beliebt sein, die Partys glamourös und die Auftritte der Stars umjubelt, bei den Filmen wird's ernst. Hat das eine überhaupt noch etwas mit dem anderen zu tun, frage ich mich? Oder ist der Drang der Festival-Macher, die Berlinale so offensichtlich als glitzerndes Treffen der Stars zu inszenieren, gerade deswegen so übermächtig, weil auf den Leinwänden so viel Ungemach auf den Zuschauer wartet?
Eine unmögliche Liebe
Ich sitze also am Sonntagmorgen im Kino und schaue mir den griechischen Film "Metéora" über einen Mönch und eine Nonne an. Die beiden wohnen in den sagenhaften Metéora-Klöstern im Norden Griechenlands. Auf wahnwitzig in den Himmel ragenden Felsspornen thronen seit Jahrhunderten diese dem Sandstein abgetrotzten Klöster in hunderten Metern Höhe.
Nur eine Handvoll Gottesdiener leben dort. Das Frauenkloster ist so schwer zu erreichen, dass die Nonnen in einem Netz hoch- und heruntergehieft werden müssen. Trotzdem treffen sich unsere beiden Hauptdarsteller in der Ebene zwischen den Klöstern und es passiert, was passieren muss: Mönch und Nonnen entdecken die Liebe - das ist herzensgut gemeint.
Als Zuschauer in Geiselhaft
Der zweite Teil meiner cineastischen Erbauungsreise führt mich auf die Philippinen. Brillante Mendoza ist in den vergangenen Jahren zu einem bei den großen Festivals der Welt sehr gefragten Regisseur aufgestiegen. Dass die Berlinale seinen neuen Film bekommen konnte, war im Vorfeld des Festivals als großer Gewinn verbucht worden.
"Captive" erzählt die auf wahren Begebenheiten beruhende Geiselhaft mehrerer europäischer und amerikanischer Touristen sowie christlicher Missionare durch radikale Muslime im Jahre 2001. Die französische Schauspielerin Isabelle Huppert spielt eine der Gekidnappten. Zwei Stunden nimmt Mendoza den Zuschauer quasi mit in Geiselhaft, zeigt den Schrecken und das Leid der über ein Jahr andauernden Tortur im undurchdringlichen Dschungel des philippinischen Urwalds.
Ein ungelöster Konflikt
Schließlich gelange ich ins Belfast der 1990er Jahre. Regisseur James Marsh breitet in seinem Film "Shadow Dancer" noch einmal den Nordirland-Konflikt vor uns aus. Eine junge Irin, die als kleines Kind ihren Bruder durch die Briten verloren hat, arbeitet später für die IRA, wird gefasst und von den Engländern als Agentin rekrutiert. Auf beiden Seiten, sowohl bei den Briten als auch bei den Nordiren, herrschen Verrat und Misstrauen vor, eine schonungslose Brutalität in der Kriegsführung und ein kaum zu bändigender Hass auf die jeweils anderen. Jeder verdächtigt jeden. Der Film nutzt das zu einer furios inszenierten Studie über menschliche Abgründe und den Schrecken des Krieges.
Griechenland, Nord-Irland, die Philippinen - drei Schauplätze, drei religiös verankerte Filmerzählungen. Zweimal geht es um bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund religiöser Gegensätze, einmal sehen wir den Versuch zweier Menschen, aus dem engen Korsett religiöser Vorschriften auszubrechen. Was wollen uns die Festivalmacher damit sagen? Natürlich werden Filme von den Programmmachern nicht zufällig platziert. In den meisten Kriegen der Welt mag es vordergründig um Religion gehen, doch das ist häufig nur ein vorgeschobener Grund, um Macht auszuüben. Tatsächlich geht es um Einfluss und kommerzielle Pfründe, um politische Unabhängigkeit und die Verteidigung (meist männlicher) Privilegien.
Triumph der Form
"Captive" macht das besonders deutlich, auch wenn sich der Film aufgrund seiner doch recht monoton strukturierten Dramaturgie kaum über diese Erkenntnis hinauswagt. Großartig hingegen der britische Film: Nicht, weil er uns vorführt, wie sinnlos das Ringen um die Vormachtstellung in Nordirland ist. Sondern, weil er Menschen zeigt, die sich heillos in diesem Gewirr aus Angst und Hoffnung verheddern. James Marsh gelingt das, indem er die passende Ästhetik zu seiner Geschichte findet. Das Kino läuft immer dann zu großer Form auf, wenn die Handlungen, die erzählt werden, ihr ästhetisches Äquivalent finden.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Birgit Görtz