1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Abiball - Die Jugend feiert sich selbst

Danhong Zhang
25. Juni 2015

Amerikanischer Pomp und deutsche Gründlichkeit ergeben den deutschen Abiball, der inzwischen größenwahnsinnige Ausmaße annimmt, findet unsere Kolumnistin Zhang Danhong.

Symbolbild Abschlussball Abitur
Bild: picture-alliance/ dpa

Spätestens im Mai, als ich in der "Kölnischen Rundschau", unserer Regionalzeitung, fast eine ganze Seite mit Tipps für das richtige Outfit für den Abiball entdeckte, wusste ich, dass es ernst wird. Sogar ein Zeitplan wurde für die Mädels erstellt: Zwei Wochen vor dem Ball sollen die Schuhe eingelaufen werden, las ich. Eine Woche vorher die große Generalprobe. Um ehrlich zu sein, so ernst habe ich mein Outfit nicht mal für die eigene Hochzeit genommen. Die Zeitungsseite reichte ich an meine Tochter weiter. Sie reagierte gelassen: "Mama, wir haben fast einen Monat Zeit, um ein Kleid zu finden. Manche in meiner Stufe wollen sich gleich drei zulegen. Aber das ist übertrieben."

Um das Ende vorwegzunehmen: Nach vielen Stunden physischer und virtueller Anprobe haben wir uns dann doch für drei Kleider entschieden: ein schickes für die Zeugnisvergabe vor dem Ball, ein richtiges Ballkleid mit allem Schnick-Schnack und ein Sexy-Kleid für die Party danach. Das ist die Norm, habe ich an dem Tag gelernt.

Es war auch mal anders

So pompös und gediegen wurde das Ende der Schullaufbahn nicht immer gefeiert. Peter, ein Bekannter von mir, hatte in den 1970er Jahren Abitur gemacht. Die antiautoritäre Studentenbewegung wirkte noch nach. Hätte einer vorgeschlagen, einen Abiball zu veranstalten, er wäre den anderen wie ein Außerirdischer vorgekommen. So fand die feierliche Zeugnisvergabe in einem bescheidenen Ambiente statt: im Kunstraum der Schule. "Ich kam in einer verschlissenen Jeans und einem karierten Baumwollhemd, das bis zum Bauchnabel geöffnet war und über der Hose hing", erzählt Peter, tief versunken in Erinnerung: "Irgend einer hat ein Fass besorgt. Das Kölsch war lauwarm. Als der Direktor kam, waren wir schon etwas angesäuselt. Der Name wurde aufgerufen. Man trat vor, kriegte das Zeugnis und einen warmen Händedruck vom Direktor dazu." Dann wurde weiter getrunken und gefeiert, ohne Kleid und Smoking, ohne Lehrer und Eltern. Jeder Anschein von Bürgerlichkeit war verpönt. Man sei schließlich gegen den Kapitalismus und für den Kommunismus.

DW-Redakteurin Zhang Danhong

Jahre später habe ich im original kommunistischen Land China die Schulzeit hinter mich gebracht. An keine einzige Zeremonie kann ich mich erinnern. Doch die Zeiten ändern sich, inzwischen hat der Kapitalismus auch in China Einzug erhalten. Etwas High-School-Feeling bekommen auch die chinesischen Jugendlichen, wenn sie in ihrem schönsten Sommerkleid und feinsten Anzug das Zeugnis entgegennehmen. Jedoch wird es noch einige Zeit dauern, bis die Chinesen die urkapitalistischen Sitten gänzlich verinnerlichen.

Zurück in die gute bürgerliche ZeitBild: picture-alliance/dpa

In Deutschland verblasste der revolutionäre Geist im Laufe der Jahre. Der spießbürgerliche Abiball feiert Hochkonjunktur mit all seinen Auswüchsen. Angereichert wird die von den Amerikanern abgeguckte Zeremonie mit der deutschen Gründlichkeit. Im Internet findet man umfangreiche Anleitungen, vom Auf- und Abbau bis zu Werbemitteln, von einem eigenen Abisong bis zur Wahl der Abi-Queen - der Abiball ist längst zu einer Institution geworden.

Dass sich die Schulleitung nicht auch noch damit rumplagen möchte, dafür habe ich volles Verständnis. Allerdings führt das dazu, dass ein meist weiblich besetztes Abiball-Komitee aus Schülern allein bestimmt, wie tief die Eltern in die Tasche greifen dürfen. Ziel ist es, noch strahlender als der letzte Jahrgang zu glänzen und auch im Vergleich zu den umliegenden Schulen nicht schäbig da zu stehen. Dass unter diesem Gesichtspunkt die Schulaula oder gar der Kunstraum als Location nicht in Frage kommen, versteht sich von selbst. Gewöhnlich sind die Ballsäle der teuersten Hotels in der zweiten Hälfte des Monats Juni von den Schulen beschlagnahmt. Wer nicht ein bis zwei Jahre im Voraus reserviert, muss mit einer schnöden Mehrzweckhalle oder dem Bürgerzentrum vorliebnehmen.

Sicherlich kann man solchen exzessiven Abibällen auch Positives abgewinnen: Die Kinder lernen organisieren; der Einzelhandel und die Gastronomie profitieren ebenfalls. Aber haben die Mädchen vom Abiball-Komitee auch daran gedacht, dass nicht jede Familie 1000 Euro für dieses Event locker machen kann? Die Abiball-geschädigten Eltern wissen, wovon ich rede. Denn zu den Kleidern gehören Schuhe, Täschchen und Frisur, nicht zu vergessen der Eintritt und Getränke in einem gehobenen Lokal. Wenn Eltern und Geschwister auch noch eingekleidet werden müssen oder wollen, ist die Grenze nach oben offen.

Ein Vater sagt mir: Die Jugend zelebriert sich, ohne etwas geleistet zu haben. Das ist nicht ganz korrekt, finde ich. Ein Abitur ist kein Spaziergang. Aber nur wenige können allen Ernstes behaupten, sich dafür verausgabt zu haben. Von einigen habe ich gehört, dass sie nie so viel Zeit für Treffen, Feiern und Parties hatten wie im Abiturjahr. Für diese mittelmäßige Anstrengung belohnen sich die Jugendlichen vorher mit Mottowoche und Abigags, nachher mit Abireise und Abiball. Später werden sie im Leben lernen, dass sie für viel härtere Prüfungen gar nicht belohnt werden.

Jungs können da einfach nicht mithaltenBild: auremar/Fotolia

Gerade deswegen sollen sie es mal richtig krachen lassen, bevor der Ernst des Lebens beginnt, sagen manche. Bedürfen die Jugendlichen aber unbedingt eines von den Eltern subventionierten Balls, um Spaß zu haben? Eher nicht. Zumal der Ball selber auch zum Stress ausarten kann, wenn man die Expertentipps ernstnimmt. So sollen sich die Mädels einen Tag davor einer Gesichtsbehandlung samt Maniküre und Pediküre unterziehen. Am Balltag ist der Besuch bei einem Profi zu empfehlen, der sich um Frisur und Make-up kümmert. Das sieht eher nach einem Schönheitswettbewerb aus. Und die Jungs sind zu reinen Zuschauern degradiert.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen