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Gesellschaft

Als typisch Deutsche im Land des Wandels

Zhang Danhong
27. April 2017

Unsere Kolumnistin Zhang Danhong war zu Ostern in ihrer alten Heimat China und hatte dort immer wieder das Gefühl, nicht mehr dazu zugehören. In Deutschland hat sie nämlich Bargeld und Sonnenbaden schätzen gelernt.

China Peking - Zhang Kolumne
Bild: DW/D. Zhang

Wenn ich mir Deutschland und China als zwei Räume in einem Museum vorstelle, dann befindet sich im deutschen Raum eine Dauerausstellung. Die Exponate ändern sich, wenn überhaupt, nur geringfügig. Der chinesische Raum hingegen ist für Wechselausstellungen zuständig. Zwar sind die Zeiten des rasanten Wandels vorbei, doch es kann immer noch passieren, dass man nach ein paar Monaten Abwesenheit sein Lieblingscafé auf einmal nicht mehr vorfindet.

Mir ist das gerade in Peking passiert. Das schnuckelige Café in der Straße hinter der Wohnung meiner Eltern war verschwunden, spurlos verschwunden. Ich konnte nicht mal beschreiben, wo genau es gelegen hatte. Jeden Sommer saß ich dort an einem der zwei Tische im gemütlichen Innenhof, möglichst ohne Sonnenschirm, mal allein mit einem Buch ausgestattet, mal mit alten Schulfreunden. Der andere Tisch war immer frei. Auch wenn viele Chinesen alles begrüßen, was aus dem Westen kommt, ist ihnen die Kultur des Sonnenbadens immer noch suspekt. Eine Frau gilt erst als makellos, wenn sie eine helle Haut hat. So begegnet man dort im Sommer oft Chinesinnen mit Sonnenschirm, selbst wenn weder die Sonne noch eine helle Haut vorhanden sind. Wahrscheinlich wurde das Café geschlossen, weil der Inhaber der Zeit voraus war.

DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V. Glasow/V. Vahlefeld

So mussten wir, ein alter Studienfreund und ich, uns nach einem neuen Café mit Sitzplätzen im Freien umsehen. Nach einer Stunde (in dieser Zeit wäre ich in Köln mindestens auf zehn Straßencafés gestoßen) erblickten wir endlich eine Oase in der Wüste. Doch die paar Tische auf der Terrasse wurden durch eine Markise abgeschirmt. Erst nach hartnäckigem Betteln fuhr die Kellnerin die Markise ein kleines Stück zurück. Ein bisschen Sonne im Gesicht, eine Tasse Kaffee - ich war der glücklichste Mensch auf der Welt. Die Chinesen um mich herum hielten mich sicherlich für verrückt.

Handy hat vieles ersetzt

Die Lust auf Schatten hat noch einen anderen Grund: Die Chinesen gehören mehrheitlich der "Kopf senkenden Rasse" (ein neuer chinesischer Begriff für Handysüchtige) an, da stört die Sonne doch nur. Das Smartphone bedeutet in China die Summe von Fernseher, Computer, Kamera, Videokamera, Navi, EC-Karte und Büchern. Ganz nebenbei kann man damit natürlich immer noch telefonieren.

Die meiste Zeit verbringen die Chinesen im sozialen Netzwerk WeChat - eine Art WhatsApp, aber viel mehr. So hat WeChat in aller Stille die Visitenkarten ersetzt. Wo früher zwei Chinesen mit beiden Händen respektvoll Visitenkarten austauschten, legt heute der eine sein Handy über das andere mit dem sichtbaren WeChat-QR-Code. Schon werden die Kontaktdaten ausgetauscht. Mit demselben Code wird auch in Restaurants oder Supermärkten gezahlt. Bargeld besitzen nur noch Beamte und Deutsche wie ich, die sich mit Neuerungen schwer tun. 

Warten auf Godot: Ein Taxi war nicht zu bekommen, obwohl ständig leere Wagen vorbeifuhrenBild: DW/D. Zhang

Mit WeChat wird auch das Taxi bestellt. Man gibt den Standort und das Ziel ein. Die mobile Plattform Didi Dache vermittelt den Auftrag an einen Taxifahrer in der Nähe. Dem Kunden wird dann mitgeteilt, wie weit das Taxi entfernt ist und wie die Endziffern des Kennzeichens lauten. Länger als zehn Minuten wird man nicht warten müssen. Was das Leben normaler Chinesen wieder ein Stück angenehmer werden lässt, erweist sich für mich als eine kleine Katastrophe. Denn es fahren zwar immer noch leere Taxen durch die Straßen, die meisten davon sind jedoch bestellt und halten nicht mehr an. Auf dieser Reise habe ich begriffen, wie es sich für einen Käfer anfühlt, wenn er auf dem Rücken liegt.

Gefackelt wird nicht lange

Was die Einstellung zu neuen Techniken angeht, bin ich der Prototyp der Deutschen. Zuerst wird das Neue kritisch beäugt. Dann wird kontrovers diskutiert. Am Ende wird eine politische Entscheidung getroffen und eine Zielvorgabe beschlossen. Da diese nicht eingehalten wird, folgt dann ein Gipfeltreffen. So ungefähr ist es mit den Elektroautos verlaufen. Seit Jahren berichten wir Journalisten ständig über Spitzen- und Gipfeltreffen zur Elektromobilität. Doch das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die deutschen Straßen zu bringen, liegt weiter in unerreichbarer Ferne.

Ganz anders die Chinesen: Um die Luftverschmutzung einzudämmen, ist Peking entschlossen, E-Autos zu fördern. Statt zu debattieren, werden Ladesäulen aufgestellt. Allein in diesem Jahr kommen 800.000 neue hinzu. Zudem genießen Halter von Batterieautos gewisse Privilegien. Zum Beispiel: Ein Elektroauto darf jeden Tag auf die Straße (die anderen müssen einmal die Woche in der Garage bleiben). Für manche Chinesen ist das fast das wichtigste Kaufargument.

Der Elektro-Tesla - das neueste Spielzeug der FamilieBild: DW/D. Zhang

Auch in unserer Familie gibt es den ersten stolzen Tesla-Besitzer. Geräuschlos fährt sich das schicke Auto. Die Ladestation hat Tesla mitgeliefert. "Getankt" wird dort zum Nulltarif. Wenn man bedenkt, dass es vor 30 Jahren noch kaum private Pkws in China gab, ist das Bild der Wechselausstellung mehr als berechtigt.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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