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Gesellschaft

Mein Deutschland: Berlin und seine Flughäfen

Zhang Danhong
28. September 2017

Es ist nicht so, dass das Flugzeug gerade erst erfunden und der Bau eines Flughafens Neuland wäre. Dennoch scheint Berlin mit seinen Flughäfen überfordert zu sein. Zhang Danhong macht einen radikalen Vorschlag.

Hauptstadtflughafen BER
Bild: Picture-alliance/dpa/P. Pleul

Berlin kann auch Pragmatismus. Wenn die Menschen schon in der Wahlkabine stehen, können sie ja neben dem Bundestag auch noch über etwas anderes abstimmen, dachte sich der Senat. So haben die Bürger in der Hauptstadt am Sonntag drei Kreuzchen gemacht: zwei für die Bundestagswahl und eins darüber, ob sie den Flughafen Tegel auch dann noch behalten wollen, wenn der neue Hauptstadtflughafen BER öffnet.

Und die Mehrheit hat sich für den Erhalt ausgesprochen. So weit so gut. Aber kann mir einer erklären, was der Quatsch soll? Erstens muss Tegel nach der jetzigen Rechtslage bei Inbetriebnahme des BER geschlossen werden; zweitens ist das Votum nicht bindend. Und vor allem handelt es sich beim Referendum um eine rein hypothetische Frage. Die eigentliche Frage lautet: Wird der Flughafen Berlin Brandenburg, auch Deutschlands peinlichste Baustelle genannt, jemals betriebsbereit sein?

DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V.Glasow/V.Vahlefeld

Mir ist ein Licht aufgegangen, nachdem ich am Wochenende mit meiner Tochter die wunderbare Inszenierung von Michael Endes Klassiker "Die unendliche Geschichte" im Jungen Theater Bonn besucht habe. Kann es nicht sein, dass sich irgendeine Schlüsselperson beim BER-Projekt einen schlechten Scherz ausgedacht und den Flughafen von Anfang an als eine "unendliche Geschichte" geplant hat?

Die Fakten sprechen für meine Vermutung: Die Idee für den neuen Flughafen war im Rausch der Wiedervereinigung bereits 1991 geboren. 15 Jahre später der feierliche Spatenstich. Im Oktober 2011 sollten die ersten Passagiere von dort abfliegen können - kein besonders ehrgeiziges Ziel. Zum Vergleich: In einem Vorort von Peking wird gerade der weltgrößte Flughafen hochgezogen. Geplante Bauzeit: drei Jahre.

Die Welt ändert sich, BER bleibt sich treu

Dann kam der Oktober 2011. Der libysche Diktator Gaddafi wurde unter dem Jubel der westlichen Welt von Rebellen gestürzt; Francois Hollande setzte sich als der Präsidentschaftskandidat der Sozialisten durch; die Koalitionsverhandlungen zwischen der Berliner SPD und den Grünen scheiterten. Und auf dem Berliner Flughafen war kein Passagier zu sehen, weil die Pleite einer Planungsfirma die Eröffnung verzögert hatte.

Inzwischen trauern manche in Europa dem getöteten Diktator wieder nach; Präsident Hollande ist Geschichte; in Berlin regierte daraufhin die große Koalition, die inzwischen wieder abgewählt wurde. Nur der BER bleibt sich treu und hat immer noch den Titel des umweltfreundlichsten Flughafens inne - denn kein Flugbetrieb, keine Abgase, kein Kerosin und kein Feinstaub.

Feuerschutz am Flughafen - ein ganz kompliziertes System, zumindest für BerlinBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Sechsmal ist inzwischen die Eröffnung verschoben worden - wegen Planungsfehlern und technischer Defekte. Mal klemmen die Türen, mal kommen aus dem Sprühkopf der Sprinkleranlage nur dünne Wasserstrahlen, mal wird der Rauch nicht ordentlich abgesaugt. Dann stellte sich heraus, dass der für die dysfunktionale Entrauchungsanlage verantwortliche Planer gar kein Ingenieur, sondern ein technischer Zeichner war.

Sisyphusarbeit

Nun muss jeder einzelne der 78.000 Sprühköpfe, jede einzelne der 1035 Türen, jede Lautsprecher- und Entrauchungsanlage überprüft werden. Das kann dauern. Und auch wenn jedes Teil für sich einwandfrei ist, heißt noch lange nicht, dass alle Anlagen auch im Zusammenspiel funktionieren. Vielleicht gibt es irgendwo noch einen Programmierfehler, der das ganze System zum Einsturz bringt. Bis dieser aber gefunden wird, fließt noch viel Wasser die Spree hinunter.

Da sich der Bau so lange hingezogen hat, ist die technische Zulassung für manche Komponente inzwischen wieder abgelaufen. Dass die sexy Hauptstadt immer mehr Besucher anziehen und viele von ihnen mit dem Flugzeug anreisen würden, war für die BER-Planer nicht unbedingt eine erwartbare Entwicklung. Auf jeden Fall muss noch vor der Fertigstellung am Ausbau gearbeitet werden. Das Problem ist nur, dass es zu wenige Planungsbüros in Berlin gibt, die ein solches Projekt stemmen können und dass die Baufirmen entweder anderweitig beschäftigt sind oder ihren Ruf nicht auf der ewigen BER-Baustelle ruinieren wollen.

Eine Schande für Deutschland

Deutschland, das Land der Tüftler und Ingenieure, bringt nicht mal einen mittelgroßen Flughafen zustande. Das kann ich nicht länger mit ansehen. Deswegen mache ich einen radikalen Vorschlag: Lasst uns alles abreißen und neu anfangen. Aber bitte keine deutsche Geschäftsführung mehr, die monatelang über eine neue Fehlerkultur diskutiert; und bitte auch kein deutsches Planungsbüro mehr, das von Komplexität eines Flughafens überfordert ist. Die einfachste Lösung wäre, die Chinesen damit zu beauftragen.

Die 2016 fertiggestellte Hongkong-Zhuhai-Macau-Brücke ist die längste Seebrücke der WeltBild: picture alliance/dpa/Blanches/Imaginechina

In Sachen Infrastruktur sind meine Landsleute wahre Weltmeister: Sie bauen die spektakulärsten Brücken, die schnellsten Züge und die größten Flughäfen. Verzug ist ein Fremdwort. Meistens werden die Chinesen vor dem angepeilten Termin fertig. Ein Grund könnte sein, dass sich die Verantwortlichen tatsächlich verantwortlich fühlen. Gerade habe ich einen Bericht über den tiefsten Hochgeschwindigkeitsbahnhof direkt unter der Großen Mauer gelesen. Der Projektleiter besucht keine Partys, sondern bleibt das ganze Jahr über auf der Baustelle in 102 Meter Tiefe. Das motiviert.

Auch außerhalb Chinas entstehen Autobahnen, Eisenbahnlinien, Häfen und Flughäfen unter chinesischer Federführung. Peking will 900 Milliarden Dollar in die Initiative "neue Seidenstraße" investieren und die Staaten entlang Chinas alter Handelsrouten zu Land und zur See enger an das Reich der Mitte binden. Vielleicht kann Berlin ja auf diesen Zug springen und etwas vom chinesischen Entwicklungsprogramm abbekommen.

Dann sollten die Berliner aber vor dem Baubeginn entscheiden, ob Tegel aufrechterhalten werden soll, damit die Flugrouten dementsprechend festgelegt werden. Denn so wie sie bisher geplant sind, ist ein Parallelbetrieb gar nicht möglich - ein weiterer Hinweis für die Unsinnigkeit des Referendums. 

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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