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Gesellschaft

Mein Deutschland: Ein trister Jahresanfang

Zhang Danhong
12. Januar 2018

Normalerweise steht der Jahresanfang für gute Vorsätze und Optimismus - privat wie politisch. In der deutschen Politik kann Kolumnistin Zhang Danhong gegenwärtig aber keinerlei positive Vorzeichen erkennen.

Deutschland Fortsetzung der Sondierungsgespräche
Bild: picture-alliance/dpa/S. Stein

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein neues Jahr in Deutschland je trostloser begonnen hat.

An sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht haben wir uns inzwischen bereits gewöhnt. Einzelfälle sind nicht mehr berichtenswert. Dass es beim jüngsten Jahreswechsel nicht zu größeren Ausschreitungen gekommen ist, liegt an der massiven Polizeipräsenz und daran, dass viele Frauen einfach zu Hause gefeiert haben. Wenn ich als Frau höre, dass eigens Sicherheitszonen für uns eingerichtet werden, dann ist mein erster Gedanke, dass das Gebiet um die Zone herum gefährdet ist. Dann folgt der zweite Gedanke: Wie komme ich im Bedarfsfall da eigentlich hin? Und der folgerichtige Entschluss lautet: Ich will keinen Stress an Silvester, ich bleibe lieber zu Hause.

Die Grenzen bleiben einfach offen

Ob wir es zugeben wollen oder nicht: Dass Weihnachtsmärkte und Bahnhofsvorplätze von Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag geschützt werden müssen, ist eine Folge der Politik der offenen Grenzen. Ein funktionierender Staat würde zuerst an dieser Stelle ansetzen, so wie es auch die weit überwiegende Mehrheit der Deutschen wünscht. Das mindeste wären Grenzkontrollen, die diesen Namen auch verdienen. Aus der "Welt am Sonntag" erfahren wir, dass 2017 über 2000 Migranten illegal aus Skandinavien nach Deutschland eingereist sind. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein. Das liegt daran, dass viele gar nicht von der Bundespolizei "aufgegriffen" wurden oder sich später bei einer Länderpolizei gemeldet haben. Mit anderen Worten: Im Jahr vier der sogenannten "Flüchtlingskrise" darf immer noch jeder von allen Seiten unbehelligt nach Deutschland hereinspazieren. Können Sie bei offener Haustür ruhig schlafen? Ich nicht. Aber vielleicht bin ich auch nur ein verängstigter Einzelfall.

Immerhin wissen wir, dass bei vielen, die von Schweden oder Dänemark hierher "geflüchtet" sind, der Asylantrag dort bereits abgelehnt wurde. Fangen wir nun in Deutschland mit der Prüfung nochmal von vorne an, verletzen wir das Dublin-Abkommen in doppelter Hinsicht. Doch wen kümmert das? Moral kann sich schließlich über das Gesetz hinwegsetzen. Das haben wir 2015 bewiesen, und das ziehen wir auch weiter durch.

Im Moment die meist gehasste Person der Netzgemeinde: Justizminister Heiko MaasBild: picture-alliance/dpa/U. Anspach

Wenn die deutschen Grenzen schon eine rechtsfreie Zone bleiben, muss dafür das Internet umso stärker kontrolliert werden. Das scheint zumindest die Logik der bisherigen Bundesregierung zu sein. Seit dem 1. Januar 2018 ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Seitdem werden Inhalte bei Twitter, Facebook und Youtube von den Konzernen selbst fleißig gelöscht. Eine Internetpolizei, die von Privatunternehmen betrieben und finanziert wird - für den Staat ist das eine kostengünstige Lösung. Da können sich autoritäre Länder dieser Welt eine Scheibe von uns abschneiden. Der "Bild"-Zeitung sagte der geschäftsführende Justizminister Heiko Maas, der mit einem Tweet, in dem er Thilo Sarrazin als Idioten bezeichnete, übrigens Opfer seines eigenen Gesetzes wurde: "Sie werden mich ganz sicherlich nicht dazu bringen, über einzelne Tweets zu urteilen, ob sie gelöscht werden sollen oder eben nicht. Ob das dem Gesetz entspricht, das muss das Unternehmen entscheiden." Deutschland hat also seine Justiz jetzt teilprivatisiert.

Ist jeder so alt, wie er angibt?

Das ist wahrscheinlich auch notwendig. Weil die Justiz chronisch überlastet ist, wurden schon 2016 Hunderttausende Verfahren wegen unerlaubter Einreise und anderer Straftaten eingestellt. Und inzwischen hat sich eine Klagewelle gegen ablehnende Asylentscheide aufgetürmt. Da hilft eigentlich nur noch Beten.

Seit dem Jahreswechsel steht wieder einmal eine eher kleine, privilegierte Gruppe der Geflüchteten im Fokus der Diskussion: die unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlinge (UMF). Sie werden deutlich besser untergebracht und betreut, bei kriminellen Handlungen oft nicht belangt und müssen keine Abschiebung befürchten. Wem kann man es verdenken, alles zu tun, um hier dazuzugehören? Dafür muss man gar nicht viel tun - einfach das Alter nach unten drücken. Eine Mitarbeiterin (sie ist selber Migrantin) in einem Flüchtlingsheim erzählte mir, dass sie immer wieder von ihren Landsleuten unter den "Flüchtlingen" gefragt wird, wie weit man gehen könne? Anders gefragt: Wie dumm sind die deutschen Behörden?

Hätten wir eine verpflichtende Altersfeststellung, ließe sich ein wohl nicht unbeträchtlicher Teil der Betreuungskosten für vermeintlich Minderjährige (rund vier Milliarden Euro jährlich) sparen, manche abschieben und andere zur Rechenschaft für kriminelles Verhalten ziehen. Das Image dieser speziellen Gruppe wäre nicht derart ramponiert, das der Gesamtheit aller Flüchtlinge nicht in Mitleidenschaft gezogen. Die Diskussion über die Altersfeststellung hat nach der tödlichen Attacke einer Schülerin in Kandel durch einen angeblich 15-jährigen Afghanen wieder an Fahrt gewonnen.

Seit dem Tod der 15-jährigen Mia aus Kandel werden Zweifel am Alter des Täters geäußertBild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Diskutieren, relativieren, warnen

Das ist typisch deutsch. Es wird nicht beschlossen und umgesetzt, wonach der gesunde Menschenverstand schreit. Stattdessen wird diskutiert und relativiert, vor zahllosen Gefahren gewarnt und irgendwann versandet das Ganze. Das wird diesmal nicht anders sein. Es sind immer dieselben Argumente, die dagegen angeführt werden: Es sei ein Irrglaube, dass Ärzte das Alter eines jungen Menschen exakt feststellen könnten. Zudem sei eine Handknochen-Röntgenaufnahme hoch gefährlich und menschenunwürdig. Dabei erwartet keiner, dass die Ärzte die Geburtsstunde ermitteln. Aber ob jemand 16 oder 23 Jahre alt ist, darf den Staat schon interessieren. Ich selbst habe mich im vergangenen Jahr zweimal Röntgenaufnahmen unterzogen. Mir ist die Strahlenbelastung allemal lieber, als an Brustkrebs zu sterben oder den falschen Zahn behandelt zu bekommen. Übrigens finde ich es seltsam, dass das Finanzamt in jedem Bürger einen potenziellen Betrüger sieht, während deutsche Flüchtlingsbehörden und Jugendämter Angaben von wildfremden Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen grundsätzlich Glauben schenken.

DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V.Glasow/V.Vahlefeld

Bei dem jungen Mann, der in Kandel ein 15-jähriges Mädchen erstochen hat, handelt es sich übrigens um einen abgelehnten Asylbewerber. "Flüchtlinge" ohne Bleiberecht neigen besonders dazu, kriminell zu werden - das ist inzwischen allgemein bekannt. Weil sie ja nichts mehr zu verlieren haben. Die Abschiebung von rund 300.000 Ausreisepflichtigen ist aber bisher nicht Gegenstand der Gespräche über eine neue Regierungskoalition. Da dreht es sich nämlich nicht um die Zukunft Deutschlands, sondern nur um die von drei wahlbeschädigten Parteivorsitzenden. Trostloser geht es nicht.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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