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Gesellschaft

Geschenke, die nicht glücklich machen

Danhong Zhang
24. November 2016

Zum 200. Geburtstag von Karl Marx will China der Stadt Trier eine Statue ihres bekanntesten Sohnes schenken. Nicht alle Trierer sind begeistert. Kolumnistin Zhang Danhong fällt dazu eine Geschichte aus der Familie ein.

Trier Karl-Marx-Haus Büste
Diese Karl-Marx-Büste steht bereits in Trier - in seinem GeburtshausBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Als ich meine Eltern im Sommer in Peking besuchte, fiel mir als erstes ein monumentales Bild an ihrer Wohnzimmerwand auf: eine schlängelnde Große Mauer durch grüne Hügel mit kantigen Bergmassiven im Hintergrund. Das Motiv kennt jeder. Das Ganze ist keine Fotografie, keine Pinselmalerei, sondern gestickt. "Oha, voll krass!", staunte meine jüngere Tochter. Mein erster Gedanke: Kitschiger geht es wohl nicht.

Fast entschuldigend klärte mich meine Mutter auf: Eine junge Frau aus der entfernten Verwandtschaft versuchte ihr Glück in Peking und fand warme Unterstützung durch meine Eltern. Aus Dankbarkeit setzte ihre Mutter ihr ganzes künstlerisches Können ein und schuf in mehrwöchiger Präzisionsarbeit dann dieses vier Meter lange Werk. Also hatten meine Eltern keine andere Wahl, als die wunderbare Kalligraphie, die jahrzehntelang das Wohnzimmer geschmückt hatte, in den Abstellraum zu verbannen, um für den provinziellen Kitsch Platz zu schaffen. Warum eigentlich? "Ihre Tochter besucht uns immer noch oft. Sie würde ihrer Mutter berichten, wenn wir das Bild nicht aufhängen. Dann wären beide beleidigt", sagte meine Mutter. Also ein Geschenk als Nötigung.

Ein Exemplar des sozialistischen Realismus

Ähnlich wie ich empfinden viele Trierer Bürger, die 2018 mit einer überlebensgroßen Karl-Marx-Statue aus China zwangsbeglückt werden sollen. Natürlich hegen meine Landsleute keine bösen Absichten. Sie verehren aus welchen Gründen auch immer bis heute den Deutschen mit dem weißen Vollbart und wollen zu dessen 200. Geburtstag seiner Geburtsstadt eine besondere Freude machen - eine 6,30 Meter hohe Statue aus Bronze. Nicht bedacht haben sie, dass der Name Karl Marx in seinem Heimatland nicht mehr dieselbe Begeisterung auslöst wie im fernen China, dass diese Art von Statuen nicht unbedingt dem gängigen Kunstgeschmack der Deutschen entspricht und dass die Größe der Statue die Beschenkten in Verlegenheit bringen könnte - denn für das Karl-Marx-Haus ist das geplante Geschenk schlicht zu groß.

Karl-Marx-Statuen standen sogar schon einmal vor der Porta Nigra - aber nicht so groß und nicht auf DauerBild: Thomas Wieck/AFP/Getty Image

Deswegen soll der chinesische Makesi (so nennt man Marx im Reich der Mitte) eben auf den Simeonstiftplatz ausweichen, in direkter Nähe der weltberühmten Porta Nigra, entschied die Stadtregierung. Ein Mann, der Religion als "Opium für das Volk" bezeichnete, soll also ausgerechnet auf dem Platz thronen, der einem von der katholischen Kirche heilig gesprochenen Eremiten gewidmet ist. Eine merkwürdige Kombination. Die Wut mancher Bürger kann ich nachvollziehen.

Protz ist Teil der chinesischen Kultur

Ein klassischer Fall eines kulturellen Missverständnisses: Wenn die Chinesen etwas hassen, dann ist es das Gefühl, von anderen für kleinlich gehalten zu werden. Deshalb neigen sie beim Schenken zu Übertreibungen. Bestes Beispiel war die Panda-Diplomatie. So wurden in den 1980er-Jahren, in der Anfangszeit der Öffnung Chinas zu Welt und aus Unsicherheit gegenüber anderen Ländern, oft die niedlichen Pandabären bei Staatsbesuchen verschenkt. Mir tat dabei das Herz weh. Gibt es keinen anderen Weg, anderen Völkern Respekt zu erweisen? Müssen wir immer unser Liebstes hergeben? Gott sei Dank hat die chinesische Regierung inzwischen von dieser Symbolik Abstand genommen.

Aber auch beim Pandabären-Ersatz gilt: nicht kleckern, sondern klotzen. Eine Karl-Marx-Statue in Lebensgröße würde die Freundschaft zwischen Deutschland und China nicht gebührend würdigen, denken offenbar die Chinesen; ein Bild kleineren Formats würde die Hilfe meiner Eltern nicht genügend honorieren, dachte vielleicht unsere Verwandte. Falsch gedacht! Beim Schenken die Aufnahmekapazität des Beschenkten mitzudenken - das zeigt wahre Größe.

DW-Redakteurin Zhang Danhong

Bitte keine Prinzipienreiterei

Noch ein paar Worte an die Nachkommen von Karl Marx: Bei zwei unterschiedlichen Kulturen muss jede Seite einen Schritt auf die andere zugehen. Die Überlegung des Bürgermeisters, den Stadtrat über die An- oder Nichtannahme der Statue abstimmen und es damit womöglich auf einen Eklat mit China ankommen zu lassen, ist kontraproduktiv. Die Chinesen haben nicht vor, Trier zum Vorposten des Kommunismus in Deutschland aufzubauen. Wie viele Chinesen haben überhaupt "Das Kapital" gelesen? Es geht hier gar nicht um harte Ideologie, sondern um ein Symbol für die Verbundenheit mit Deutschland und auch um ein bisschen Kitsch. Der Bronze-Makesi wird sicherlich jede Menge fernöstliche Touristen nach Trier locken, so wie die Friedrich-Engels-Statue, ebenfalls ein Geschenk aus China, die nicht nur Touristen, sondern auch chinesische Investoren nach Wuppertal gebracht hat. Allerdings steht der Engels made in China vor seinem eigenen Haus und stört sonst niemanden. Warum kann Trier nicht mit dem chinesischen Künstler reden und um weniger Protz und Größe bitten? So könnte sich China Geld, der Bildhauer Zeit und Trier Ärger sparen.

Für meine Eltern taugt dieser Tipp nicht mehr. Ihnen habe ich vorgeschlagen, das Bild einfach verschwinden zu lassen und auf Nachfrage erklären, dass sie es an jemanden verschenkt hätten, den sie dadurch zum glücklichsten Menschen der Welt gemacht haben. "Aber, dann wird sie uns bestimmt ein neues Bild sticken", meinte meine Mutter nachdenklich. Damit hat sie vermutlich Recht.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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