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Politik

Mein Deutschland: Große Sätze einer großen Kanzlerin

Zhang Danhong
23. Februar 2017

Packende Bierzelt-Reden sind gewiss keine Stärke von Angela Merkel. Und doch ist es nicht so, dass die Kanzlerin keine Meisterin des Wortes wäre. Kolumnistin Zhang Danhong ist schon lange ein Fan ihrer Rhetorik.

Deutschland Münchner Sicherheitskonferenz 2017
Bild: Reuters/M. Dalder

Wer als Germanistikstudentin einst die berühmte Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985 ins Chinesische übersetzen musste, weiß die Schlichtheit der Sprache von Altkanzler Helmut Kohl zu schätzen: "Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter." Ein Satz aus zwei Hauptwörtern, zwei Verben und einem Adverb - schnörkellos, aber bildhaft und einprägsam.

Kurz und prägnant wie Kohl

Bewusst oder unbewusst hat Angela Merkel den Sprachstil ihres politischen Ziehvaters übernommen: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa." Mit diesem kurzen Satz hat sie im Mai 2010 die Notwendigkeit der Griechenland-Rettung im Bundestag unterstrichen. Das klingt zunächst vollkommen überzeugend. Schließlich ist "Europa" nur eine phonetische Verlängerung des Euro um eine Silbe. Nach kurzem Nachdenken habe ich aber doch Zweifel an der Logik: Stirbt der Euro wirklich, wenn die Drachme wieder kommt? Und kann ein Kontinent überhaupt scheitern? Wie dem auch sei: Diese plakative Aussage hat ihre Wirkung unter den Abgeordneten entfaltet. Wer will schon als Totengräber Europas in die Geschichte eingehen? Heute wissen wir vom ifo-Präsidenten Clemens Fuest, dass es sich bei dem ganzen Hilfsprogramm um eine Irreführung handelt: "Weil die Kredite nicht zurückgezahlt werden können, sind es eigentlich Transfers. Und Griechenland war offenbar nie bereit, die unterschriebenen Reformvereinbarungen umzusetzen", sagt er im Interview mit Spiegel-Online.

Das Jahr 2011 prägten zwei kurze, banale Sätze der Kanzlerin: "Wir sind jetzt gerade im Sommer der Entscheidungen. Und dann kommen der Herbst und dann der Winter der Entscheidungen." Dass Herbst und Winter dem Sommer folgen, ist nicht wirklich überraschend. Auch dass Politiker Entscheidungen treffen, kommt gelegentlich vor. Wenn man aber in Betracht zieht, dass in jenem Sommer mit dem Ausstieg aus der Atomenergie eine folgenschwere Entscheidung für die deutsche Wirtschaft getroffen wurde, dann klang der Nachsatz, dass jetzt überhaupt nur noch Entscheidungen kämen, fast wie eine Drohung. Gott sei Dank beließ es Frau Merkel damals noch beim Drohen. 

Über Nacht wurde Angela Merkel von der Atom- zur Sonnen- und Wind-KanzlerinBild: Getty Images/G. Bergmann

Philosophieren aus dem Stegreif

Dass sie auch Philosophin sein kann, bewies sie im Sommer 2012 bei einer von der Bundesregierung initiierten Diskussion über die Zukunft des Landes: "Alles, was noch nicht gewesen ist, ist Zukunft, wenn es nicht gerade jetzt ist." Wie recht die Kanzlerin doch hat! Damit kann ich mich viel schneller identifizieren als mit Immanuel Kant beispielsweise, wenn er sagt: "Ich kann, weil ich will, was ich muss" oder "Unser Entscheiden reicht weiter als unser Erkennen". Was meint er genau? Dass sich Politiker der Reichweite ihrer Entscheidungen nicht bewusst sind? Das wäre keine so beruhigende Vorstellung.

Wie gut, dass uns die Kanzlerin beruhigen kann: "Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung", lobte sie Ende 2012 im Bundestag die von ihr geführte schwarz-gelbe Koalition. Die zeitliche Einschränkung zeugt von ihrer Bescheidenheit.

DW-Redakteurin Zhang Danhong

Mitten in den Wahlkampf des Jahres 2013 platzten dann die Enthüllungen von Edward Snowden über die NSA-Spionage-Programme. Wieder ließ Frau Merkel einen Satz fallen, der im kollektiven Gedächtnis haften blieb: "Das Internet ist für uns alle Neuland." Für das chinesische Ohr klingt es noch einen Tick dramatischer, da das chinesische Pendant zu Neuland "jungfräuliche Erde" heißt. Sind wir nach 23 Jahren mit dem World Wide Web wirklich noch so unbefleckt? Einige Deuter der Kanzlerin versuchten deshalb, die Aussage der Physikerin auf eine metaphysische Ebene zu heben. Kurz danach platzte der stets beherrschten Norddeutschen doch der Kragen: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!" Das war so entwaffnend ehrlich, dass man es ihr glauben musste. Später kamen dann doch Zweifel an ihrer Wut auf, denn auch der BND späht befreundete Staaten und ihre Regierungen aus. Der Glaubwürdigkeit der Kanzlerin tat das alles keinen Abbruch. Sie führte 2013 den effizientesten Wahlkampf aller Zeiten mit nur drei Wörtern: "Sie kennen mich". Und gewann haushoch.

Für die einen Geplänkel, für die anderen Kunststück

Wie einst Helmut Kohl beherrscht auch "Kohls Mädchen" die Kunst, viele Worte zu machen, ohne irgendetwas zu sagen. "Zur Deutschen Bank möchte ich nur soviel sagen, dass die Deutsche Bank ein Teil des deutschen Banken- und Finanzsystems ist", antwortete Merkel auf die Frage, ob sie besorgt sei, dass der Staat eventuell eingreifen müsse. Das ist doch viel eleganter als die Standardversion "Dazu gebe ich keinen Kommentar ab".

Am meisten bewundere ich sie für den Minimalismus ihrer Rhetorik, der seinen Gipfel in der Flüchtlingspolitik erreichte. Da war zum einen die trotzige Aussage in Richtung ihrer Kritiker: "Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenze." Und dann der legendäre Subjekt-Prädikant-Objekt-Satz "Wir schaffen das!". Offen blieb dabei, wer denn "wir" sind und was wir eigentlich schaffen. Der Phantasie sind auch eineinhalb Jahre nach diesem Satz keine Grenzen gesetzt. Ich habe in der jüngsten Zeit gelernt, dass man Populisten daran erkenne, dass sie einfache Lösungen für komplexe Probleme bieten. An Einfachheit ist "Wir schaffen das" jedenfalls nicht zu überbieten. 

Nicht jeder Satz gilt ewig

Zum Thema Einwanderung blieb mir noch eine andere Passage von Angela Merkel im Ohr: "Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur weil wir im Zusammenhang mit der Zuwanderung auf die Gefahr von Parallelgesellschaften aufmerksam machen. Eine solche Scheinheiligkeit wird vor den Menschen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Deshalb werden wir auch weiter eine geregelte Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung fordern", sagte 2003 die damalige Oppositionsführerin auf einem CDU-Parteitag. War das wirklich dieselbe Angela Merkel? Da fällt mir ein anderes Zitat ein vom ersten Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer: "Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern?"

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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