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Gesellschaft

Mein Deutschland: Kulturclash am Wochenbett

Zhang Danhong
19. Januar 2018

Für Chinesen ist das Wochenbett fast etwas Sakrales, in dem die Wöchnerin wie eine Königin thront. In Deutschland klingt das Wort hingegen nur noch verstaubt und antiquiert. Zhang Danhong steckt zwischen den Kulturen.

Mutter und Neugeborenes
Bild: Imago/photothek

Können Sie sich vorstellen, einen Monat nicht zu lüften, sich die Haare nicht zu waschen und das Bett nicht zu verlassen? Vermutlich eher nicht. Chinesinnen hingegen werden mindestens einmal im Leben mit solchen Forderungen konfrontiert - nämlich dann, wenn sie ein Kind auf die Welt gebracht haben. Auf Chinesisch heißt das: Zuo Yuezi (坐月子), das Wochenbett hüten. Darauf wird die Mutter der jungen Mutter achten, so wie das bei ihr schon ihre Mutter gemacht hat.

Als ich in Deutschland zum ersten Mal schwanger war, dachte ich: Nun kann ich tun und lassen, was ich möchte. Falsch gedacht. Meine Mama wollte unbedingt hierher kommen. "Du bist über 30. Eine Entbindung kann für Dich gefährlich werden", sagte sie am Telefon. "Gut, wenn Du im Zweifelsfalle Abschied von mir nehmen willst…", gab ich nach.

DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V.Glasow/V.Vahlefeld

Der Kampf der Kulturen begann am zweiten Tag nach der Entbindung, als sie mich im Krankenhaus besuchte. Als erstes machte sie sofort das Fenster zu, das eine Krankenschwester im nächsten Moment wieder öffnete. "Die Deutschen sind Frischluftfanatiker. Da kannst Du nichts machen", sagte ich beinahe amüsiert. Dann verstieß ich gegen alle drei Regeln auf einmal: Ich stand auf, ging duschen und kam mit nassen Haaren bei offenem Fenster zurück. Meiner armen Mama stand der Schock ins Gesicht geschrieben.

Bei mir zu Hause wurde der "Kampf" schnell eingestellt. Das lag vor allem an ihrer Toleranz. Sie akzeptierte meinen Standpunkt, dass es mir und meinem Kind nur gut gehen kann, wenn ich mich in meiner Haut wohl fühle. Ansonsten hütete ich, völlig erschöpft von den Strapazen im Kreißsaal, tatsächlich die meiste Zeit das Wochenbett, kostete die Zweisamkeit mit meiner Tochter aus und ließ mich kulinarisch von meiner Mutter verwöhnen. Es war eine sehr harmonische Zeit mir ihr. Wir haben sogar über Sinn und Unsinn der starren Yuezi-Regeln diskutiert. Die Wöchnerin sei schwach und angeschlagen, mit nassen Haaren könne die Kälte ins Innere des Körpers eindringen, was den Samen für spätere Krankheiten legen könne, meinte sie. Die mangelhafte Hygiene mache die junge Mutter doch ebenfalls anfällig, hielt ich dagegen. Ihre Antwort war immer: Seit Generationen wird das so gemacht. So falsch kann es also nicht sein.

Haare waschen mit Ingwer

Das ist inzwischen fast 20 Jahre her. In dieser Zeit haben sich die Wochenbett-Kulturen in beiden Ländern noch weiter auseinander entwickelt. In China ist ein regelrechter Yuezi-Kult ausgebrochen. Yuezi-Zentren sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Allerdings werden die strengen Regeln dort etwas aufgeweicht. Die junge Mutter darf sich unter Anleitung die Haare waschen, zum Beispiel mit Ingwerwasser gegen die Kälte. Untergebracht wird sie in einem Zimmer, das an ein Fünf-Stern-Hotel erinnert. Eine auf Wöchnerinnen abgestimmte Küche soll den Heilungsprozess unterstützen. Eine Pflegerin wechselt Windeln, badet das Baby und hilft bei Problemen mit dem Stillen. Selbstverständlich ist auch ein Ärzteteam vor Ort, um bei Bedarf sofort zu reagieren. Der ganze Wochenbett-Spaß kostet rund 15.000 Euro. Zwei Fototermine für das Baby sind im Preis inbegriffen. Für wohlhabende Paare, deren Mütter für die Wochenbett-Pflege nicht zur Verfügung stehen, ist das ein schönes Rundum-Sorglospaket.

Einen Monat lässt es sich gut im Yuezi-Zentrum aushaltenBild: DW/Zhang Danhong

Wer eher die eigenen vier Wände schätzt, kann eine Yue Sao (Wochenbett-Schwester) zu sich nach Hause bestellen. Rudimentäre Kenntnisse über Babynahrung und -pflege reichen aus, um diesen Job übernehmen zu können. Mit 1000 bis 2000 Euro im Monat verdient man fast so viel wie ein Professor. Dafür muss man nicht büffeln, studieren oder promovieren. Ein Zertifikat gibt es bereits nach einem Fünf-Tage-Crashkurs. Da ich in Deutschland zwei Kinder großgezogen habe und meine Erfahrung ja "Made in Germany" ist, würde ich das Zertifikat auch so bekommen - da bin ich mir sicher.

Was eine Yue Sao kann, schafft eine frischgebackene Mutter intuitiv auch. Insofern bestellt sich keine junge Chinesin eine Wochenbett-Schwester, weil sie sich die neuen Aufgaben selbst nicht zutraut. Dahinter steckt eher die Einstellung, dass man einmal im Leben im Mittelpunkt stehen und wie eine Königin behandelt werden möchte. Schließlich ist das Leben vor und nach dem Yuezi hart genug.

So sieht eine Wöchnerinnen-Mahlzeit in China ausBild: DW/Zhang Danhong

Wenn Heidi es schafft, schaffst Du es auch

Während die Wochenbett-Kultur in China solch seltsame Blüten treibt, verkümmert sie hierzulande zusehends. Wenn die junge Mutter in Deutschland Glück hat, kommt die Oma für paar Tage zur praktischen und moralischen Unterstützung. Mit der völlig neuen Lebenssituation und den Stimmungsschwankungen nach der Entbindung wird sie weitgehend allein gelassen. Prominente Frauen wie das Topmodel Heidi Klum demonstrieren öffentlich, dass eine Entbindung nicht mehr als eine Erkältung bedeutet und nach einer Woche alles wieder gut ist. Die Botschaft an die Normalsterblichen: Stell Dich nicht so an, oder reiß Dich zusammen! Der Beruf der Hebamme, eine Art Teilzeit-Yue Sao, wird vom Gesetzgeber ausgetrocknet. So muss eine freiberufliche Hebamme weit über 6000 Euro allein für die Haftpflichtversicherung zahlen, ohne die sie ihren Beruf nicht ausüben darf. Vor zehn Jahren betrugen die Kosten nicht mal ein Viertel.

Der Hausbesuch einer Hebamme wird bald zum Luxus - es gibt immer weniger von ihnenBild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Warum diese Divergenz der beiden Wochenbett-Kulturen, habe ich mich oft gefragt? In China ist der Kinderwunsch etwas Selbstverständliches, der durch die staatliche Regulierung sogar noch verstärkt wird. Die Frau, die zur Wunscherfüllung einen wesentlichen Beitrag geleistet hat, wird wie ein Pandabär behütet und gefeiert. In Deutschland hingegen wird die Geburt eines Kindes in erster Linie als Karriereknick für die Frau und Auslöser eines finanziellen Engpasses für die Familie angesehen. Fast könnte man sagen: Wer ein Kind hierzulande auf die Welt bringt, ist selber schuld. Die junge Mutter soll zusehen, so schnell wie möglich wieder ökonomisch zu funktionieren.

Dabei ist ein Kind zur Welt zu bringen das schönste, was eine Frau erleben kann - das weiß ich aus eigener Erfahrung. Sollte der Beruf der Hebamme hier irgendwann aussterben, habe ich meinen Töchtern schon versprochen, ihnen als Vollzeit-Yue Sao zur Seite zu stehen - ohne traditionelle Yuezi-Regeln und ohne Entgelt.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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