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Mein Deutschland: Und täglich grüßt das Pubertier

Zhang Danhong21. April 2016

Mit Anekdoten über seine pubertierenden Kinder sind Jan Weiler gleich zwei Bestseller gelungen. Das Leben mit dieser Spezies ist nicht immer lustig, aber das Pubertier ist durchaus zu bändigen, meint Zhang Danhong.

Jugendliche liegen im Gras
Bild: Imago/Westend61

Neulich musste ich das Büro wegen Krankheit früher verlassen. Ich kann schon mal Mittagessen warm machen und meine Tochter überraschen, dachte ich. Dann hörte ich den Schlüssel im Schloss drehen und öffnete die Tür von innen. Entgeistert starrte mich die Elfjährige an: "Was machst Du denn hier?" "Mir geht es nicht gut. Freust Du Dich denn gar nicht, dass ich schon zu Hause bin?" "Nee, ich will auch mal allein sein." "Du kannst ja so tun, als wäre ich nicht da." Und sie nahm mich beim Wort. Beim Mittagessen checkte sie die Nachrichten auf dem Handy und ignorierte meine Anwesenheit.

Bei allem Verständnis für diese schwere Lebensphase sind solche Momente für mich immer noch schwer zu ertragen. Denn in China gilt der Respekt vor den Eltern als eine der wichtigsten Maximen des Lebens, an der auch die Pubertierenden nichts zu rütteln haben. In meiner Jugend kannte ich das Wort "Pubertät" nicht einmal. Interesse am anderen Geschlecht war verpönt. "Eure einzige Aufgabe ist lernen", predigte unser Klassenlehrer ohne Unterlass. "Wer sich jetzt auf Liebeleien einlässt, soll sich schämen und mich in Zukunft nicht besuchen kommen."

Pubertät übersprungen

Nicht, dass ich ein starkes Bedürfnis auf Kontakt mit ihm nach der Schulzeit gehabt hätte - aber dass eine Liebesbeziehung in unserem Alter unmoralisch sei, dieses Gefühl hatte er bei mir erzeugt. Also verdrängte ich eisern sämtliche Annäherungsversuche der Jungs meiner Schule. Kurzum: Die Pubertät habe ich in China einfach übersprungen.

Das machte anfangs den Umgang mit meinen heranwachsenden Kindern doppelt schwer. Wie oft musste ich mir anhören: "Das verstehst Du nicht, Mama. Du bist nicht hier groß geworden." Das ließ ich nicht auf mir sitzen und besorgte mir Fachliteratur von Jan-Uwe Rogge, der von vielen als Erziehungspapst tituliert wird. Wertvolle Tipps gab er mir in einem als Interview getarnten Beratungsgespräch.

Der Erziehungspapst Jan-Uwe Rogge erteilt RatschlägeBild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Was macht man, wenn dem Pubertier die Lust auf Kommunikation plötzlich abhanden kommt? Dann soll man eben Fragen wie "Wie war die Schule?" sein lassen. "Stattdessen soll man Rituale entwickeln, zum Beispiel das gemeinsame Abendessen. Dann öffnen sich die Pubertierenden. Aber solche Fragen empfinden sie als auskundschaften", sagt Rogge.

"Saustall auch mal Saustall sein lassen"

Was tun, wenn das Kind zum größten Widerstandskämpfer wird, wenn es um das Aufräumen des eigenen Zimmers geht? Dann soll man die Besuche im Kinderzimmer auf ein gesundes Maß reduzieren. Dazu der Erziehungsberater: "Wenn man ständig in das Zimmer des Pubertierenden schaut, hat man zu viel Zeit. Man sollte lieber auf sich selber schauen und den Saustall auch mal Saustall sein lassen."

Pubertiere haben einen Sinn für chaotische KreativitätBild: Imago/imagebroker/strigl

Falsche Freunde? Das sei ein normaler Prozess. "Pubertierende gehen natürlich auch mal über die Grenze, nehmen sich Freunde, die etwas anderes darstellen", meint Rogge. Schließlich gehe man zur Schule, um eben auch Kinder kennenzulernen, die man durch das Elternhaus niemals kennengelernt hätte.

Aus seinem Munde klingt also alles halb so schlimm. Man soll sich in die Lage der Mädchen und Jungen versetzen, die von Hormonen wie Östrogen, Progesteron und Testosteron durchgeschüttelt werden und einer ständigen Stimmungsschwankung ausgesetzt sind. Körper und Hirn erleben einen kompletten Umbau - und das bei laufendem Betrieb. Da wundert es nicht, dass Eltern manchmal als nervend und störend empfunden werden. "Versuchen Sie nicht, einen Kaktus zu umarmen, wenn er partout stechen will", lautet der weise Spruch des Erziehungsberaters.

"Loslassen und Haltgeben"

Was aber nicht bedeutet, dass man sich aus der Erziehung zurückziehen soll. Bestimmte Werte, die einem wichtig sind, solle man vorleben, rät Rogge und zitiert dabei den Schweizer Pädagogen Pestalozzi: "Erziehung ist Vorbild und Liebe." "Loslassen und Haltgeben", fasst der Experte die optimale Erziehung während der Pubertät zusammen. Eine "Ich-will-doch-nur-dein-Bestes"-Haltung lässt nicht wirklich los. Auch besserwisserische Sätze wie "Siehste, ich hab's Dir ja gleich gesagt" oder "Du könntest, wenn Du wolltest" gehören gestrichen.

Wenn es einem doch mal rausrutscht? Nicht schlimm. Zehn Fehler am Tag erlaubt der Erziehungspapst den Eltern und besteht auf seiner eigenen Fehlbarkeit. Wichtiger als die Toleranz gegenüber sich selbst sei das gemeinsame Lachen - dreimal am Tag mindestens. Denn auch wenn nichts mehr hilft, Humor hilft immer. "Das Leben ist nicht einfach, aber leichter als man denkt" - noch so ein weiser Spruch des Experten.

DW-Redakteurin Zhang Danhong

Seitdem ich eine Leichtigkeit im Umgang mit meinem Pubertier entwickelt habe, ist es sehr zahm geworden. So wie in der oben geschilderten Situaltion: Ich sagte ihr ganz ruhig, dass ihr Verhalten mich schmerzt. Mit dem Ignorieren hat sie doch nach dem Essen noch Zeit. Da musste sie lachen und war wieder die liebste Tochter der Welt.

Eine Frage lässt mich dennoch nicht los: Kann die Pubertät übersprungen werden? Die körperliche Veränderung vollziehe sich natürlich immer, gewisse emotionale Prozesse könne man wohl überspringen, sagt Erziehungsberater Rogge. Was aber nichts bringe, denn später werde man wieder ein- und das Versäumte nachgeholt. "Man spricht auch von der sogenannten dritten Pubertät, die zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr stattfindet." Oh Gott - pubertieren Mutter und Tochter jetzt gemeinsam? Eine sehr ermutigende Aussicht für meinen Mann!

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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