1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

Mein Deutschland: Welche Partei wählst du?

Zhang Danhong
14. September 2017

Die Deutschen reden nicht über Geld und darüber, welche Partei man favorisiert. Kolumnistin Zhang Danhong hat sich auf einem Hausfest nicht daran gehalten und Überraschendes erlebt.

Wahlplakate in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/C. Peters

Wenn man in Deutschland jemanden fragt: "Welche Partei wählst du?" Dann ist das so, als ob man fragen würde: "Wie oft hast du Sex?" Mit anderen Worten: Die Frage stellt man nicht. Sie ist so intim, dass manchmal Eheleute nicht wissen, wo der Partner in der einsamen Wahlkabine gerade sein Kreuzchen gemacht hat.

Aber so kurz vor der Bundestagswahl bin ich einfach zu neugierig, wie meine Nachbarn, die ich auch als Freunde ansehe, parteipolitisch ticken. Also habe ich kurz vor unserem jährlichen Hausfest am vergangenen Samstag kleine Zettel mit den Namen der sechs wichtigsten Parteien und Kästchen darunter vorbereitet. Kein Direktmandat, nur eine Stimme. "Alles, was ihr tun müsst, ist ein Kreuz in das für euch passende Kästchen zu setzen und mir dann den Zettel unauffällig in die Handtasche zu legen", warb ich um das einfache und diskrete Verfahren. Das Ergebnis würde ich ganz für mich allein behalten, versprach ich hoch und heilig.

Meine Nachbarn, die einige Verrücktheiten von mir gewohnt sind, haben das Spiel tatsächlich mitgemacht. Die Wahlbeteiligung lag bei einhundert Prozent. Und: Sie waren genauso neugierig wie ich und wollten die Stimmverhältnisse wissen.

Null Stimmen für die SPD

Nach dem Abendessen wurden dann die erste Hochrechnung und gleichzeitig das offizielle Endergebnis von unserem Rechengenie im Haus präsentiert: "Die meisten Stimmen hat die FDP bekommen - umgerechnet sind es 35,7 Prozent." Entzücken und Entsetzen beim Publikum. "Es folgen CDU und die Grünen mit je 28,6 Prozent; die Linke mit 7,1 Prozent; null Stimmen für AfD und SPD." Großes Gelächter, das wohl auch als Schadenfreude für die SPD gedeutet werden kann. 

Wenn es nach dem politischen Willen unseres Hauses ginge, würde es sowohl für Schwarz-Gelb als auch für Schwarz-Grün ausreichen, aber eine Fortsetzung der Großen Koalition wäre demnach nicht mehr möglich. Wie spannend!

Es folgte die nächste Überraschung. Ein Nachbar (wie ich) mit Migrationshintergrund hob die Hand: "Ich war die Linken-Stimme." (An dieser Stelle erwarte ich von Ihnen, dass Sie sofort ausrechnen können, wie viele wir in der Runde waren.) Nach dieser entwaffnenden Offenheit brach der Damm. Alle 14 bekannten sich nach und nach zu ihrer parteipolitischen Orientierung.

"Ich bin in einem Dorf groß geworden. Alle waren katholisch und konservativ, alle wählten die CDU. Dann kamen die Grünen, erfrischend und gegen das Establishment", erzählte eine Nachbarin. Seitdem ist die Öko-Partei ihre politische Heimat geworden. Bei einer anderen ist es genau umgekehrt: Sie setzt die Tradition im Elternhaus fort, es kommt keine andere Partei als die CDU in Frage.

FDP-Chef Lindner polarisiert

Ein Dritter ächzte: "Ich brauche mehr Alkohol! Wie kann es so viele FDP-Wähler in unserem Haus geben?" In der Tat: Eine Partei, die gar nicht im Parlament sitzt, erhält die meisten Stimmen - das riecht schon nach einer französischen Revolution á la Macron. Es sei doch nur eine One-Man-Show, sagten die Lindner-Skeptiker. Na und? Wenigstens eine gute Show und allemal unterhaltsamer als das einschläfernde TV-Duell, schwärmten die Anhänger.

Christian Lindner sei so etwas wie das Einhorn der deutschen Politik, habe ich kürzlich gelesen: "Er wird nicht gehört, er wird bestaunt." Tatsächlich wirkt er auf manche Deutsche wie ein Befreiungsschlag: Endlich haben wir auch jemanden, der sich mit seinem jugendlichen Charme nicht hinter Emmanuel Macron, Justin Trudeau oder Sebastian Kurz verstecken muss. Und seine harsche Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin macht die FDP zu einer Art Protestpartei für die Gemäßigten. 

FDP-Chef Christian Lindner: Dem Mann mit dem Dreitage-Bart kann man nicht entkommen Bild: picture-alliance/dpa/Revierfoto

Soweit mein Erklärungsversuch für den Erfolg von Christian Lindner und seiner FDP - im Land und in unserem Haus. Dass die Anhänger der Liberalen und der Grünen bei uns überproportional vertreten sind, liegt daran, dass wir in einem Viertel der sogenannten Bildungsschicht leben und beide Parteien in derselben Klientel fischen. Das Werben um dieselbe Wählerschicht hat zu einer tiefen Aversion der Grünen und Liberalen gegeneinander geführt, auch die beiden Anhängerschaften können die jeweils andere Partei nicht leiden. Menschlich kommen die Sympathisanten beider Parteien aber bestens miteinander aus, wie unser Haus gezeigt hat.

Beim größten Aufregerthema Bildung waren wir uns alle einig: Hier haben Politiker aller Couleur versagt. Bereits vor dem Flüchtlingsstrom waren viele Schulen flächen- und personalmäßig auf Kante genäht. Nun müssen sie noch zusätzlich die Klassen mit den Flüchtlingskindern stemmen. Die Integrationsarbeit leisten die Lehrer mit größtem Engagement, von der Politik fühlen sie sich aber allein gelassen.

Enttäuscht von der SPD

Der Staat schwimmt im Geld, schafft es aber nicht mal, die Schulklos menschenwürdig zu sanieren. Einem Nachbarn, der von Berufs wegen auf den Besuch der Schultoiletten angewiesen ist, wird schon beim Gedanken daran sichtlich unwohl. Wahrscheinlich hat die SPD-Politikerin Manuela Schwesig auch deswegen ihren Sohn auf eine Privatschule geschickt.

DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V. Glasow/V. Vahlefeld

Apropos SPD: Wie kann es denn sein, dass die Sozialdemokraten genauso wie die AfD in unserer Hausgemeinschaft auf keinen einzigen Fürsprecher zählen können? Neben der Häme über Schwesig wurde vor allem Justizminister Heiko Maas für sein Netzdurchsetzungsgesetz gerügt - eine Beschneidung der Meinungsfreiheit.

Mir als ehemaliger SPD-Anhängerin tut das in der Seele weh. Ich hoffe inständig, dass die Endlosschleife der Großen Koalition nach der Wahl abreißt.

Bis zwei Uhr nachts haben wir kontrovers diskutiert. Mir wurde der Unterschied zwischen der politischen Heimat und einer vorübergehenden Parteipräferenz bewusst. Die Erste ist wie eine Ehe, die Zweite eher eine lockere Liebschaft. Beides ist legitim, so viel Toleranz muss sein. Es war sicherlich nicht unser letztes Hausfest. Im Gegenteil: Nach dem politischen Outen sind wir uns irgendwie noch nähergekommen. Was für ein Glück, in dieser Gemeinschaft zu leben.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen