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Gesellschaft

Mein Deutschland: Wieviel Arno Dübel steckt in uns?

Zhang Danhong
1. Juni 2017

In einem Kurzurlaub an der Nordsee hat unsere Kolumnistin Zhang Danhong eine Wissenslücke geschlossen: Sie lernt durch Youtube den Hartz-IV-König kennen und denkt seitdem neu über das bedingungslose Grundeinkommen nach.

Arno Dübel
Arno Dübel - der Mann, der stolz darauf war, nicht zu arbeitenBild: Imago

Was macht man, wenn man sich in einem Strandurlaub gerade nicht am Strand sonnt? Früher haben die Familienmitglieder in der Ferienwohnung Gesellschaftsspiele gespielt. Heute tauscht man Videoclips aus, zum Beispiel den des legendären Auftritts von Arno Dübel bei Sandra Maischberger aus dem Jahr 2010. Arno Dübel ist der dürre Mann mit dem Pferdeschwanz, der damals gerade das 30jährige Jubiläum seiner Arbeitslosigkeit gefeiert hatte. Wirklich gearbeitet hat der Hamburger nie. Nur sporadisch, mal zwei Wochen, mal drei Wochen, dafür aber die ganze Palette: "Oben im Laden oder unten im Lager, dann als Möbelpacker, Treppe rauf, Treppe runter. Das war zu schwer" - die Anstrengung ist ihm beim Erzählen noch deutlich anzusehen.

Also hat er sich fürs Nichtstun entschieden. Er bekomme auch so genug Geld, dass er gut leben könne. "Warum soll ich arbeiten gehen?" Nun sei er zu lange raus, nun könne er sich noch weniger vorstellen, einer Arbeit nachzugehen. Und wenn das Jobcenter Motivationstrainer schicke? fragt Sandra Maischberger. "Den Blödsinn höre ich mir erst gar nicht an. Was wollen sie bei mir noch motivieren? Das begreife ich nicht, dass sie nicht einsehen, dass ich nicht arbeiten will." Die Sturheit der Behörden bringt Arno Dübel in Rage.

Entwaffnende Schamlosigkeit

Seitdem geht mir der glücklichste oder frechste (je nach Blickwinkel) Arbeitslose Deutschlands nicht mehr aus dem Kopf. Was macht er heute? Der letzte Bericht über ihn stammt aus dem Jahr 2015. Mit 59 Jahren wurde er bereits in einem Altenheim untergebracht. Geistige und körperliche Verödung durch Nichtstun? Natürlich ist Arno Dübel kein repräsentativer Arbeitsloser. Auf der anderen Seite ist Faulsein menschlich. Dass er die Faulheit auf die Spitze treibt und damit kokettiert, macht seinen Unterhaltungswert aus.

DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V. Glasow/V. Vahlefeld

Man kann auch sagen: In jedem von uns steckt ein Arno Dübel - mal mehr, mal weniger. Wenn ich bei 34 Grad Celsius mit einem benebelten Hirn eine originelle und möglichst witzige Kolumne ausbrüten muss, frage ich mich, was Arno Dübel früher an einem solchen schwülheißen Tag wohl gemacht hat. Erst mal bis in die Puppen schlafen, dann gemächlich aufstehen, vor dem Fernseher einen Kaffee schlürfen, dann mit dem Hund spazieren gehen, möglichst im Schatten.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich könnte nicht so leben wie Arno Dübel. Ich glaube, das können die wenigsten Chinesen. Wir sind ein emsiges Völkchen und so erzogen worden, alles zu tun, damit die Eltern, Großeltern und alle Vorfahren stolz auf uns sind und unsere Kinder zu uns hochschauen können. In unserem Leben ist eigentlich gar kein Platz für Arno Dübel. Oder doch?

Avantgarde oder Dekadenz? 

Als die Schweizer über ein bedingungsloses Grundeinkommen abstimmten, entbrannte auch im chinesischen Netz eine heiße Diskussion. Tenor: Würden auch die Chinesen der Verlockung "Geld für das bloße Dasein" widerstehen? Eher nicht. Viele finden es deshalb gut, dass sich die chinesische Regierung nicht von dieser westlichen Dekadenz anstecken lässt.

Ist die Idee nun wirklich so abwegig? Früher hätte ich die Frage sofort bejaht: Linke Spinnerei, als ob das Geld aus der Steckdose käme. Doch seit ich Arno Dübel kenne, bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Wie der Zufall so will, ist die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen auch durch die neue TV-Sendung "Mensch Gottschalk" wieder in den Fokus gerückt. Es gibt sogar ein Bündnis Grundeinkommen, das im Herbst in den Bundestag einziehen will. Die Gruppe argumentiert: Das Grundeinkommen existiere bereits, trage bloß andere Namen wie Steuerfreibetrag oder Sozialhilfe. Ich rechne für Arno Dübel mal durch. Bis er ins Altenheim kam, hatte Vater Staat die Miete für seine Zweizimmerwohnung (sagen wir 550 Euro) übernommen, den Strom (rund 50 Euro)  und die ärztlichen Atteste gezahlt, mit denen er sich um die Forderungen des Jobcenters nach Bewerbungen und Umschulung gedrückt hatte, und ihm rund 400 Euro Hartz IV-Regelsatz zum Leben gegeben. Das macht zusammen 1000 Euro und entspricht exakt der vom Bündnis favorisierten Summe des bedingungslosen Grundeinkommens.

Mit anderen Worten: Für Arno Dübel wäre es gehopst wie gesprungen. Mit einem Grundeinkommen hätte er sich aber die Mühe des Lesens der Amtsschreiben und der Arztbesuche sparen können. Für den Staat wären die Kosten für das regelmäßige Anschreiben und die Motivationstrainer weggefallen. Eine Win-win-Situation.

Geld macht frei

Das Bündnis führt weitere Argumente ins Feld: Die Digitalisierung werde in den nächsten Jahren die Arbeit von Millionen Menschen durch Maschinen ersetzen, ein bedingungsloses Grundeinkommen diene dem sozialen Frieden; bei Menschen, die in Lohn und Brot stehen, würden die zusätzlichen 1000 Euro einen Kreativitätsschub auslösen.

"Was würdest Du tun, wenn Dein Einkommen sicher wäre?" - auch mitten in Berlin wurde schon für das bedingungslose Grundeinkommen geworbenBild: Reuters/H. Hanschke

Beim letzten Punkt regen sich aber Zweifel bei mir. Ob das Grundeinkommen Kreativität freisetzt oder doch zu weniger Arbeitszeit führt, darüber streiten die Experten. Die entscheidende Frage ist, wieviel Arno Dübel in uns allen steckt?

Ich selbst muss mich indessen selbstkritisch fragen: Warum habe ich erst mit sieben Jahren Verspätung von diesem prominenten Menschen Kenntnis genommen? Ich glaube, die beste Antwort kann mir Arno Dübel selber liefern: "(Arbeit) war so eintönig. So bin ich schön zu Hause, kriege mal dieses, mal jenes mit. Wenn ich arbeiten gehe, kriege ich gar nichts mehr mit."

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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