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Gesellschaft

Wo sich selbst eine Toilette entschuldigt

Zhang Danhong
22. Juni 2017

Zhang Danhong war zwei Wochen in Südengland und beeindruckt von der britischen Höflichkeit. Die Deutschen und die Chinesen könnten sich davon durchaus eine Scheibe abschneiden, meint die Kolumnistin.

England Toilette in Brighton
Bild: DW/D. Zhang

Ein Mann steht in einem vollen Bus unbeabsichtigt auf dem Fuß einer älteren Dame. Nachdem sie es eine Weile tapfer ertragen hat, sagt sie leise und behutsam: "Entschuldigen Sie bitte die Störung. Aber könnte es sein, dass mein Fuß Ihnen gerade im Wege steht?"

Diese Anekdote las ich vor vielen Jahren in einem Englisch-Lehrbuch in China und sie ist mir als Beweis für die sprichwörtliche Höflichkeit der Briten in Erinnerung geblieben. Ähnliche Szenen wären in Deutschland oder in China unvorstellbar. Ein Schmerzensschrei und ein böser Blick wären das Mindeste, was der Mann zu erwarten hätte. 

Sind die Briten wirklich so übertrieben höflich? Ja, das sind sie. Da bedankt sich der Busfahrer bei Dir, dass Du sein Fahrgast gewesen bist. Gibt es denn so was? In Deutschland macht er die Tür extra vor Deiner Nase zu und fährt (wahrscheinlich pfeifend) los. Nein, nicht alle, aber manche.

Busse prägen das Straßenbild in der britischen Hauptstadt LondonBild: picture-alliance/blickwinkel/McPhoto

Oder versuchen Sie mal hierzulande, dem Busfahrer eine Adresse unter die Nase zu halten und ihn zu fragen, ob das der richtige Bus sei und wo Sie aussteigen sollten. In England habe ich das mehrmals gewagt. Keine Spur von Ungeduld, auch wenn dadurch die Weiterfahrt ein wenig verzögert wurde. Einmal begleitete mich der Fahrer sogar zu Fuß zu meinem Ziel, da es sich zufällig in der Nähe seiner letzten Station befand. Bei so viel Hilfsbereitschaft schloss ich mich nach zwei Tagen ganz unbewusst den Briten an und verabschiedete mich vom Fahrer ebenfalls mit "Thank you" und "Have a nice day".

Ein bisschen Smalltalk, ein bisschen Wärme

An den Bushaltestellen wurde ich - zugegeben: meist von älteren Menschen - mit "Good morning" gegrüßt. Dann führten wir einen Smalltalk, meistens - was denn sonst - über das Wetter. Das gab mir ein warmes Gefühl, auch wenn es an manchen Tagen regnerisch und windig war. Am ersten Tag in Deutschland sagte ich dem ersten Mann, dem ich begegnete, automatisch "Guten Morgen". Er ist regelrecht erschrocken. 

Nein, ich habe keinen Grund, über die Deutschen zu lästern. Meine chinesischen Landsleute gehen mit Höflichkeitsfloskeln noch sparsamer um als die Menschen hierzulande. Einmal erlebte ich in Peking eine Szene aus dem Alltag, bei der ein Junge aus welchem Anlass auch immer "Danke" zu seiner Mama sagte und sofort von ihr zurechtgestutzt wurde: "Lass den Quatsch, wir sind doch eine Familie!" Manchmal können die Chinesen sogar ruppig werden. Ellenbogen werden eingesetzt, um ein Ticket zu ergattern oder sich Zutritt zur U-Bahn zu verschaffen. Dabei ginge es für alle schneller voran, würden sie sich in eine Schlange reihen. Aber eine solche unaufgeregte "Queue" wie in Großbritannien oder Japan ist den meisten meiner Landsleute suspekt.

DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V. Glasow/V. Vahlefeld

In einer etwas abgestuften Form ist das Vordrängeln aber auch hierzulande nicht ganz selten. Bevorzugt wird dies von, Pardon, Rentnern praktiziert. Wahrscheinlich steckt dahinter der Gedanke: Ich muss meine nicht mehr reichlich vorhandene Zeit nicht auch noch in einer Warteschlange vergeuden. Da ich in China zum Respekt vor dem Alter erzogen wurde, sage ich meistens nichts. Nur einmal, nachdem ich während eines Tagesausflugs in der Eifel dreimal hintereinander Opfer eines Dränglers wurde, platzte mir der Kragen. Das habe ich bis heute nicht verstanden: sind die Deutschen doch sonst so fanatisch in Sachen Regeln und Ordnung.

Mehr Herzlichkeit wagen

Man könnte die Deutschen in dieser Hinsicht vielleicht auch als die Chinesen Europas bezeichnen. Beide, Chinesen wie Deutsche, haben manchmal eine raue Schale, verbergen innen drin aber meistens ein goldenes Herz, ähnlich wie eine Ananas. Wird sie geschält, bereitet sie dem Gegenüber oft pure Freude. Aber sie zeigt sich eben nicht von sich aus von ihrer besten Seite. Zu Fremden geht man vorsichtshalber auf Distanz. Es wird angestarrt und zurückgestarrt. Anders die Briten. In den vergangenen zwei Wochen wurde ich gefühlt öfter von unbekannten Engländern angelächelt als in zwei Jahren in Deutschland.

Der Konjunktiv im Englischen, der alle Fragen und Aufforderungen so geschmeidig klingen lässt, gerät hierzulande aus der Mode. Und dann dieser unnachahmliche britische Humor. Kurz vor dem Rückflug las ich an der Tür einer Damentoilette Folgendes (siehe Artikelbild): "Verzeihen Sie, ich bin nicht in bester Verfassung. Während Menschen hart daran arbeiten, mich zu reparieren, benutzen Sie bitte die Toilette in der Nähe der Selbstversorgerküche. Wir entschuldigen uns für alle Unannehmlichkeiten, die dadurch entstehen." Wer kann da noch sauer sein? Was würde man in Deutschland zu lesen bekommen? Wahrscheinlich einfach "Defekt". Sehr effizient, aber eben auch bar jeden Humors.

Inzwischen wird auch hierzulande in Richtung Humor gearbeitet. So hörte ich gestern in der Bahn eine Durchsage: "Liebe Fahrgäste in der Lichtschranke: Ich habe Zeit." Das ist aber mehr Sarkasmus. Mir gingen ein paar Alternativen durch den Kopf, aber ließ sie alle wieder fallen. Der britische Humor ist eben einfach unnachahmlich.         

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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