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Zwischen den Generationen

Zhang Danhong9. August 2015

Für Deutsche ist es schwer vorstellbar, die eigenen Eltern zu siezen. Unsere Kolumnistin Zhang Danhong tut das, wenn sie ihre Eltern in China besucht. Das hat Auswirkungen auf die Beziehung zwischen den Generationen.

Familie beim Spaziergang
Bild: picture-alliance/dpa

Ein grober Fauxpas unterlief mir, als ich neulich in Peking Urlaub machte. Da sagte ich zu meiner Mutter, dass ich nicht damit einverstanden sei, dass sie über unsere Köpfe hinweg ein Großfamilientreffen für uns organisiert hat. Dass ich von ihrer heftigen Reaktion überrascht war, überraschte meinen Vater noch mehr. Er zog mich zur Seite: "Du lebst wohl zu lange in Deutschland. Aber selbst dort wirst Du doch Deinem Chefredakteur nicht ins Gesicht sagen, dass Du seine Meinung nicht teilst." Nach kurzem Überlegen sagte ich: "Ich glaube, das würde er sogar verkraften." Den Schaden, der durch die vier Silben "Wo bu tongyi" (Ich bin nicht einverstanden) entstanden war, konnte ich erst nach einem Dutzend herzlicher Entschuldigungen beheben.

In China sind Eltern die natürlichen Vorgesetzten. Ihnen gebührt Ehrerbietung. Für Eltern zu sorgen, wenn sie alt und gebrechlich sind, gehört zu den höchsten Pflichten eines jeden Chinesen. In kriegerischen Zeiten galt als Ehrensache, die Eltern zu rächen. So konnten die Manchus im 17. Jahrhundert die Chinesen nur schlagen und eine Fremdherrschaft (Qing-Dynastie) etablieren, weil ein chinesischer General lieber den Mörder seiner Eltern jagen wollte, als die Eindringlinge aus dem Norden zu bekämpfen.

Eine völlig andere Beziehung

Heute werden die Eltern in China eher friedlich verehrt. Ein deutliches Zeichen dafür ist, dass in weiten Teilen des Landes Eltern von ihren Kindern gesiezt werden. Auch wenn ich eine für chinesische Verhältnisse sehr liberale Erziehung genossen habe, sorgt das "Sie" doch für eine gewisse Distanz in unserer Beziehung. Diese Anrede macht eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen den Generationen unmöglich.

Eine solche Partnerschaft verbindet mich mit meinen beiden Töchtern, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Basis dafür legt unter anderem das vertraute "Du". Wir besprechen alles gemeinsam, planen zusammen Reisen, albern auch mal alle miteinander rum. Als meine große Tochter in die Pubertät kam, versuchte ich zuerst wie alle chinesischen Eltern, ihr gewisse Dinge zu verbieten. Doch dann lernte ich, dass sich kaum ein Verbot mit guten Argumenten unterfüttern lässt. Also begnüge ich mich damit, den Kindern meine Meinung zu sagen und lasse sie dann ihre Erfahrungen selber sammeln.

DW-Kolumnistin Zhang Danhong

Komischerweise wird meine Meinung ernster genommen, wenn ich sie ihnen nicht aufdränge. Die Kehrseite dieser partnerschaftlichen Beziehung besteht darin, dass sie mehr von Gleichberechtigung getragen wird und weniger von Respekt und Autorität. So bekomme ich ab und zu "Chill Dein Leben, Mama" zu hören, wenn ich mich zu oft wiederhole oder wenn sie meine Hinweise als überflüssig empfinden. Im Eifer des Gefechts muss ich mitunter auch härtere Formulierungen aushalten.

Je älter desto weiser?

Das Siezen der Eltern bewahrt die Chinesen vor unangemessenen Aussagen auch in hitzigen Situationen. Auch die Deutschen haben ihre Eltern mal gesiezt. Vor über hundert Jahren könnte sich ein Dialog zwischen Mutter und Sohn so angehört haben: "'Klaus, hol Er bitte Brötchen für alle.' 'Jawohl Frau Mama.'" Kann man sich in diesem Ton einen Schlagabtausch vorstellen?

So formell wird heute in China nicht geredet. Doch das "Sie" erschwert echte Auseinandersetzungen zwischen den Generationen. Verbote werden nicht in Frage gestellt, aber heimlich umgangen. Der allgemeine Respekt vor dem Alter trägt mit dazu bei, dass Eltern nicht widersprochen wird. Zudem wird Alter mit Weisheit gleichgesetzt: je älter desto weiser. Diese Altersweisheit berechtigt Eltern für alle Ewigkeit, sich in das Leben der erwachsenen Kinder einzumischen.

Wer reinredet riskiert den Bruch

In Deutschland werden Kinder mit 18 in die Gesellschaft entlassen. Eltern können zwar weiterhin eine beratende Funktion ausüben, in das Leben der Jüngeren hineinreden sollen sie aber lieber lassen, denn sonst setzen sie die Zuneigung der Kinder aufs Spiel.

Also stecke ich nicht nur zwischen zwei Generationen, sondern auch zwischen zwei Kulturen. Während ich vom schlechten Gewissen geplagt werde, die Eltern allein gelassen zu haben, und ihnen in China umso mehr gehorche, darf ich mich meinen Töchtern gegenüber nicht gehen lassen, denn ihren Respekt muss ich mir ständig neu erarbeiten. So wie ich das "Sie" gegenüber meinen Eltern nicht ablegen kann, will ich das Duzen mit meinen Kindern gegen nichts auf der Welt eintauschen.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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