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Politik

1968: Niederlage einer Generation

2. Juni 2018

Die jugoslawische Studentenbewegung war womöglich die einzige Möglichkeit für eine friedliche Entwicklung in Jugoslawien. Sie ist gescheitert, sagt Dragoslav Dedović.

Serbien Belgrad Dragoslav Dedovic
Bild: privat

Vielleicht wussten die Studenten im Juni 1968 in Belgrad am Anfang nicht genau, was sie wollten. Sie wussten aber eindeutig, wogegen sie waren. Sie protestierten gegen die zunehmende Ungleichheit, gegen Denkverbote und gegen brutale Gewalt der Polizei. In den Tagen im Juni haben sich ihre Vorstellungen herauskristallisiert: Mehr Teilhabe. Eine gerechtere Gesellschaft. Mehr Freiheiten. Mehr Sozialismus - aber anders.

Ironischerweise erreichten die Studenten für sich selbst recht wenig. Sie verlangten unter anderem einen Mindestlohn für die Arbeiter. Die Mehrheit der Arbeiter verstand jedoch die studentische Avantgarde nicht. Während der siebentägigen Besetzung der Uni in Belgrad rekrutierten die großen Betriebe rund um die Metropole Schlägertrupps unter Arbeitern - falls es nötig werden würde. Es war nicht nötig, denn Tito ergriff das Wort - und gab den Studenten mehr oder weniger Recht. Das Schlimmste - eine blutige Abrechnung mit den Studenten - wurde verhindert. Die Protestierenden füllten sich bestätigt in ihrem Handeln.

Es war ein Pyrrhussieg. Aus der Sicht der knapp 25 Jahre später ausgebrochenen jugoslawischen Kriege war es eine katastrophale Niederlage.

Die totgeborene Alternative

Nachdem Tito, der legendäre Partisanenführer und lebenslange Staatspräsident, von Studenten bejubelt wurde, ebbten die Proteste ab. Als nächstes wurde die zaghafte ökonomischen Liberalisierung im Lande gestoppt. Gleichzeitig verstärkte sich der Druck der Partei auf die Kulturszene.

Revolte für ein besseres Sozialismus: Studentendemonstration in Belgrad 1968Bild: picture-alliance/dpa/UPI

Einige Studentenführer wie etwa Vladimir Mijanovic, genannt 'Vlada, die Revolution', bezahlten ihre Mut mit Gefängnis und anschließendem Exil. Acht Professoren der Philosophischen Fakultät in Belgrad, die beschuldigt wurden, die Proteste angestiftet zu haben, wurden per Dekret aus dem Universitätsbetrieb entfernt. 

Etwas kam aber trotzdem in Bewegung. Der neue jugoslawische Film, zusammengefasst unter dem Sammelbegriff "Schwarze Welle", die neue Rockmusik, die freche Literatur waren trotz der gelegentlichen Verbote nicht aufzuhalten. Die Bücher der Autoren der Frankfurter Schule wurden übersetzt, die kritische Auseinandersetzung mit dem dogmatischen Marxismus ging weiter. 

Der jugoslawische Schwanengesang in den 80ern

Tito starb im Jahre 1980. Das darauffolgende Jahrzehnt brachte eine Mischung aus der verbrauchten sozialistischen Rhetorik mit zunehmend nationalen Untertönen, einer sich zunehmend verschlechternden Wirtschaftslage und einer nie da gewesenen Freiheit. In den Buchläden und Bibliotheken standen alle Dissidenten aus dem Osten sowie kritische Geister aus dem Westen  zur Verfügung. Man hatte wenig. Doch konnte man frei denken und frei reisen.

In diesem Vakuum entstand die falsche Hoffnung, dass eine gewaltfreie Demokratisierung Jugoslawiens möglich ist. Die jugoslawischen Kommunisten haben aber die im Jahre 1968 entstandene politische und gesellschaftliche Alternative zerschlagen und marginalisiert.

In den 1990er Jahren zerfleischte sich Jugoslawien in einem Krieg selbstBild: DW/D. Visevic

Letztlich bestätigte sich die lakonische Diagnose des bekanntesten jugoslawischen Dissidenten der Tito-Ära, Milovan Djilas: Der letzte Ausweg des Kommunismus wird der Nationalismus sein. Die jugoslawische 68er sind in ihrem Streben nach einem demokratischen Sozialismus gescheitert.

Machiavellistische Täuschungen

Im Jahre 2018 kann man dieser Feststellung doch noch eine ironische Note hinzufügen:  Es hätte schlimmer kommen können - wie im Westen, zum Beispiel. Die 68er haben in Berlin, Brüssel und Washington in den Neunzigern das Ruder übernommen. Was wurde aber aus ihren Idealen nach ihrem "langen Marsch durch die Institutionen"? 

Javier Solana, ein junger Spanier, einst ein entschiedener Gegner der Franco-Diktatur und überzeugter Sozialist, erteilte einige Jahrzehnte später als Generalsekretär der NATO den Befehl zu den durch die UN nicht autorisierten Luftangriffen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Joschka Fischer, ein junger deutscher Metzgerssohn und Straßenkämpfer, gründete eine pazifistische Partei mit, die er viel später durch den missbräuchlichen Gebrauch des Wortes Auschwitz zum Kriegskurs überredete. Und Bill Clinton, ein amerikanischer Baptist, der in der Bürgerrechtsbewegung  und gegen den Vietnam-Krieg aktiv war, zettelte als mächtigster Mann der Welt seinen eigenen Krieg an, gemeinsam mit den ehemaligen deutschen und spanischen Pazifisten.

Der etwa gleichaltrige Vlada, die Revolution aus Belgrad, wird nie einen Ehrendoktortitel oder ein aberwitzig großes Honorar für einen Vortrag über das Jahr 1968 bekommen. Seine Phantasie war nie an der Macht, deshalb konnte sie sich nie als eine machiavellistische Täuschung entpuppen.

Dragoslav Dedović ist Dichter, Journalist, und Übersetzer. Geboren ist er in Serbien, aufgewachsen in Bosnien und Herzegowina. Mehrere Jahre lang war er Leiter der serbischen Redaktion der DW. Er übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Deutschen und schreibt und veröffentlicht auch selbst essayistische und literarische Texte in deutscher Sprache.

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