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Politik

Mein Europa: Albanien, der Pass und ich

Elda Sorra
6. März 2022

Die neue Bundesregierung will mehr Europa und Vielfalt wagen und auf Menschen mit Migrationshintergrund zugehen. Unsere Autorin hat einen Vorschlag, wie das gelingen könnte.

Symbolfoto doppelte Staatsbuergerschaft
Doppelte Staatsbürgerschaft: Löst in Deutschland noch immer Angst ausBild: picture-alliance/blickwinkel/McPHOTO/C. Ohde

Ich bin in Albanien geboren. Und als Kind mit meiner Familie nach Deutschland geflohen. Beide Ereignisse fanden in Europa statt. Auch wenn Albanien manch einem unendlich viel weiter weg vorkommen mag.

Ich habe mich als (Flüchtlings-) Kind in Deutschland so sehr assimiliert, dass ich es oft unpassend fand, Albanien zu erwähnen. Um meine Zugehörigkeit zu Deutschland noch mehr zu unterstreichen, habe ich als Erste in unserer Familie den deutschen Pass beantragt. Und ihn auch bekommen. Dafür musste ich jedoch meinen albanischen Pass abgeben, denn damals war es in Deutschland noch gar nicht erlaubt, eine doppelte Staatsangehörigkeit zu besitzen. Die Entscheidung fiel mir zu jenem Zeitpunkt, in meiner jugendlichen Leichtigkeit, die man vielleicht auch leichtsinnig nennen kann, entsprechend leicht, obwohl ich es aus emotionalen Gründen traurig fand meinen albanischen Pass abgeben zu müssen.

Unsere Gastkolumnistin, die deutsch-albanische Schauspielerin und Regisseurin Elda SorraBild: URBAN RUTHS Berlin

In Albanien habe ich als kleines Mädchen davon geträumt, Schauspielerin zu werden. In Köln habe ich meine Schauspielausbildung absolviert. Ich habe das Glück, deutsch akzentfrei zu sprechen. Das erhöht die Rollenauswahl in Deutschland signifikant. Vor allem, wenn man, wie in meinem Fall, nicht deshalb Schauspielerin geworden ist, weil man ständig nur Putzfrauen, Flüchtlinge oder Kriminelle spielen will. Also, eine deutsche Schauspielerin albanischer Herkunft. Klingt doch gut. Dachte ich.

Willkommen im Niemandsland

Ich habe dann als solche auf deutschen Bühnen und in mehreren Kino- und TV Produktionen deutsche Rollen gespielt. Solange ich nur als Schauspielerin tätig war, gab es an diesem Zustand nichts zu beanstanden. Aber inzwischen habe ich mir die Freiheit genommen, mich als Schauspielerin, Frau und Deutsche mit Migrationshintergrund zu emanzipieren und erzähle nun meine eigenen Geschichten.

Elda Sorra in ihrem Lieblingscafé in Berlin-KreuzbergBild: Elda Sorra

Meine Geschichten sind meistens autobiografisch. Mein aktueller Kurzspielfilm spielt ausschließlich in Albanien. Da ich keinen albanischen Pass besitze, bin ich nicht berechtigt, Fördergelder in Albanien zu beantragen. Und da der Film keinen deutschen Kontext vorweisen kann, ist es nahezu unmöglich, in Deutschland Fördergelder dafür zu bekommen. Hiermit schließt sich der Kreis. Und die Synchronität meiner beiden Bezugsländer. Herzlich Willkommen im Niemandsland.

Emotional zu weit weg

Mehr als ein Viertel der in Deutschland lebenden Menschen hat einen Migrationshintergrund. Die allermeisten davon müssen sich für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Der dadurch entstehende emotionale Konflikt zwischen den eigenen Wurzeln und der Zugehörigkeit zur neuen Heimat ist unvermeidlich. Denn in Biografien wie unseren kann man keine klaren Linien ziehen. Und um genau diese Art und diese Perspektive der Zugehörigkeit geht es hier. Die vielfach versprochene Mehrfachstaatsangehörigkeit wäre die Lösung für ein Vakuum, in dem wir uns als Deutsche und Künstler*innen mit Migrationshintergrund sowohl emotional als auch beruflich befinden.

Einbürgerungszeremonie im Schloss Bellevue mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.)Bild: John Macdougall/ADP/dpa/picture alliance

Wenn deutsche Künstler ohne Migrationserfahrung sich mit ihrer Identität künstlerisch beschäftigen, darf sich die emotionale und geografische Reise bis in die Schweiz oder Österreich erstrecken. Nicht einmal zwei Flugstunden von Deutschland entfernt liegt Albanien. Das ist für die deutschen Institutionen emotional zu weit weg. Dafür gibt es keine Fördergelder.

"Deutsche Angst"

Deutschlands künstlerische Grenzen sind diesbezüglich sehr spürbar. Da, wo der deutschsprachige Raum endet, beginnt eine Lücke für Menschen, deren Identität zugleich inner- wie außerhalb dieser Grenzen liegt.

Die meisten EU-Länder erlauben die doppelte Staatsbürgerschaft inzwischen ganz allgemein. Deutschland akzeptiert sie seit 1999 bei EU-Bürgern - und bei Kindern, die einen deutschen und einen ausländischen Elternteil haben und in Deutschland geboren sind, sofern das Zweitland ebenfalls doppelte Staatsbürgerschaften erlaubt. Also ziemlich eingeschränkt. Und für mich bedeutungslos, denn ich bin immer noch nicht gemeint. Wir leben mitten in Europa, in einem kosmopolitischen Zeitalter mit unterschiedlichen Identitäten und Zugehörigkeiten. Die "Deutsche Angst" davor ist für mich persönlich nicht nachvollziehbar und die Politik diesbezüglich nicht zeitgemäß.

Einbürgerungstest an der Volkshochschule KreuzbergBild: Thomas Koehler/photothek/Imago Images

An dem Tag, als meine Familie und ich 1990 in die deutsche Botschaft in Tirana flohen, um später nach Deutschland auszureisen, habe ich mich nicht von meiner geliebten Nona, meiner Omi, verabschieden können. Sie war auf dem Markt, um Oliven für mich zu kaufen.

Die Symbolik des zweiten Passes

Wie deutsch oder albanisch ich bin, ist schwierig zu beantworten und manchmal situationsbedingt. Deutschland ist mein Zuhause. Albanische Oliven und die albanische Musik sind meine Heimat. Die doppelte Staatsbürgerschaft würde an diesem Zustand nicht viel ändern. Aber sie würde ihn bereichern.

Mein zusätzlicher albanischer Pass wäre in meinem Fall eher ein symbolischer Akt. Denn, bei aller Liebe zur meiner Heimat Albanien - auf dem internationalen politischen Parkett und im weltweiten Pass-Ranking hat ein albanischer Pass kaum einen Wert. Aber mir persönlich würde er viel bedeuten. Er würde den albanischen Teil in mir gewissermaßen ausweisen und definieren und mir auch Rechte in meinem Herkunftsland einräumen. Daher hoffe ich sehr, dass Deutschland auch bei diesem Thema den Schritt in Richtung Europa wagt.

Elda Sorra, Jahrgang 1978, ist eine deutsche Schauspielerin und Regisseurin albanischer Herkunft. Für ihr Kurzspielfilmregiedebüt "Pamçka" wurde sie 2019 beim Landesfilmfestival Berlin/ Brandenburg mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Seit Ende Januar ist sie in einer durchgehenden Rolle in der Schweizer Erfolgsserie "Wilder" auf 3sat zu sehen.