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Politik

Den Orbánismus in seinem Lauf ...

Norbert Mappes-Niediek
16. Juni 2018

... hält weder Ochs noch Esel auf, meint Norbert Mappes-Niediek. Illiberale Gesellschaften sind mittlerweile nicht nur in Ost-Mitteleuropa populär. Dabei gab es schon vor Viktor Orbán Vorläufer-Modelle.

Norbert Mappes-Niediek
Bild: Privat

Slowenien ist klein und unbekannt, und so wunderte sich kaum jemand, als führende europäische Medien am Tag nach der Parlamentswahl den Rechtspopulisten Janez Janša zum "klaren Sieger" ausriefen. Dabei hat dessen Partei, einzige feste Größe in der volatilen Parteienlandschaft des Landes, trotz kontinuierlichem Rechtstrend auf dem ganzen Kontinent nicht einmal ihr Ergebnis von 2011 wieder erreicht. Aber konnte es wirklich so sein, dass ausgerechnet die Wählerschaft dieses doch wohl östlichen Zwei-Millionen-Staates, von Wirtschafts- und Flüchtlingskrise schwer gebeutelt, den Verlockungen der "illiberalen Demokratie" widerstanden hatte? Eher nicht, dachte man sich wohl in den Redaktionen. Und wo Begriffe fehlen, da stellt zur rechten Zeit ein Vorurteil sich ein.

Hat Europa ein Ostproblem?

Zwar kommt das schwere Unwetter, das über Europas Demokratien zieht, tatsächlich aus dem Osten - und zwar aus dem fernen. Schon seit den 1980er-Jahren widerlegt das boomende China die bis dahin verbreitete Annahme, Demokratie und Marktwirtschaft seien zwei Seiten einer Medaille und das eine ohne das andere auf Dauer nicht möglich. Um die Jahrtausendwende dann, bald nach dem Amtsantritt Wladimir Putins in Moskau, überschritt das Modell "Kapitalismus ohne liberale Demokratie" den Amur. Mit dem Wahlsieg Viktor Orbáns 2010 kam das Muster in der EU an.

Brüder im Geiste: Polens starker Mann Jaroslaw Kaczynski und Orbán als Karnevals-Karikaturen. Bild: Reuters/T. Schmuelgen

Aber Europas unscheinbare Ost-West-Grenzen, Flüsschen wie der Isonzo, die Thaya, die Neiße, taugen auch politisch nicht als Wetterscheide. In Italien und Österreich sitzen die Freunde des ungarischen Premiers Viktor Orbán schon in Schlüsselpositionen. In Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Norwegen dürfen Rechtsparteien vom Orbánschen Typus auf ein Potenzial von 15 bis 30 Prozent rechnen. Deutschland mit seiner AfD liegt nicht weit dahinter, und auch in altwehrwürdigen konservativen Volksparteien machen neurechte Kräfte sich auf den Weg. Noch ist die Lage instabil. Aber manches deutet darauf hin, dass sich die dunklen Wolken vor allem dort zusammenballen, wo sie es schon vor dem letzten großen Gewitter in Europa getan haben. In Italien zum Beispiel, in Österreich, in Deutschland, aber nicht in Frankreich und auch nicht in Slowenien.

Rückzug in die nationale Höhle

Nationalistische und autoritäre Stimmungen überziehen den ganzen Kontinent. Sie sind aber nicht nur unterschiedlich stark, sondern tragen auch ein je verschiedenes Gepräge. Westrechte mokieren sich über "shithole countries", wenn deren Bürger zuwandern, und Ostrechte schwelgen in ihrem nationalen Trauma, ewig zu kurz gekommen, nie richtig anerkannt worden zu sein. Westrechte verachten die Institutionen und begeistern sich, scheinbar liberal, für eine Facebook-Demokratie, wo jeder im Vorbeigehen den Like-Button drückt und seine Politiker tanzen lässt. Ostrechte wünschen sich Recht, Ordnung, Reinlichkeit zurück, mit sauber abgetrennten Nationalstaaten, Passpflicht und Schlagbaum. Nur sollen die Machthaber statt Hammer und Sichel jetzt andere Symbole am Revers tragen. Natürlich passen die Vorstellungen in Ost und West, aber auch von Staat A und Staat B nicht zusammen. Aber das müssen sie auch gar nicht. Jeder zieht sich in seine nationale Höhle zurück.

Der "König" von Ungarn: Viktor Orbán, Verfechter der illiberalen GesellschaftBild: Reuters/L. Foeger

Wie es in der Höhle des je anderen genau aussieht, kann allen egal sein. Zur Erklärung des weltweiten Phänomens trägt der Ost-West-Gegensatz in Europa wenig bei. Wohl aber zur Verstärkung. Der neuen Rechten sind Gegensätze aller Art gleichermaßen willkommen: Ost-West, Nord-Süd, reich-arm, Nation gegen Nation. Mögen es zurzeit auch Visegrád-Staaten sein, die den Frieden in der Europäischen Union am nachhaltigsten stören, so könnte eine neurechte Allianz unter italienischer Führung ihre Störfunktion übernehmen - oder eine Gruppe von geizigen Nettozahlerländern, die den Strukturfonds verkleinern und die EU zum Spielfeld konkurrierender Mannschaften machen wollen. Am Ende zerbricht die EU dann so, wie die Allianzen rechtsradikaler Parteien alle zerbrochen sind: Was sie eint, ist zugleich das, was sie trennt. Fortan werden dann nur noch bilaterale "Deals" geschlossen - zum Vorteil des je Stärkeren.

Das Risiko der kleinen Länder

Solange ein Land, aus welchem Grund auch immer, sich allein als stärker imaginieren kann als in der Union, haben die Zerstörer ein Argument für sich. Beschwörungen an den Osten, er möge, da er als Netto-Empfänger von der Union doch so sehr profitiere, am Ende schon zur Vernunft kommen, bleiben hilflos. Es gibt kein Argument, das sich nicht auch umdrehen ließe: Von Osten nach Westen nämlich fließt unter dem Strich mehr Geld als umgekehrt; nirgends ist der Anteil der Löhne am Sozialprodukt so niedrig wie im produktiven Tschechien.

Oder man betrachte den Umgang mit dem Begriff der "Solidarität" in der Flüchtlingskrise: Das mächtige Berlin begann "Solidarität" erst einzufordern, nachdem Europa die Aufnahmeländer Griechenland und Italien jahrelang allein gelassen hatte. Nicht mitmachen bei dem fatalen Spiel werden die ganz kleinen Nationen, denn sie würden beim Zerfall der Union in jedem Fall zu den Verlierern zählen: Länder wie Luxemburg, das nicht umsonst so viele herausragende Europa-Politiker hervorgebracht hat, Estland, Lettland, Litauen, Malta und eben auch Slowenien. In den Ländern, auf die es ankommt, muss auf den Durchbruch der Vernunft erst noch gewartet werden.

Norbert Mappes-Niediek lebt im österreichischen Graz ist Südosteuropa-Korrespondent zahlreicher deutschsprachiger Zeitungen

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