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Politik

Der Oligarch in der Politik

Boris Kálnoky
29. Juni 2019

Im Osten Europas schaffen Oligarchen Macht, oder die Macht schafft Oligarchen. EU-Gelder verstärken das Phänomen. Es ist Zeit, damit Schluss zu machen, meint Boris Kálnoki aus Budapest.

Boris Kalnoky
Bild: privat

Fast 300.000 Tschechen demonstrieren in diesem Monat gegen ihren Ministerpräsidenten Andrej Babis. Er ist zugleich einer der reichsten Männer des Landes. Wie wurde er so reich? Er war bereits im kommunistischen System - und als Mitglied der Partei - Manager bei der tschechoslowakischen staatlichen Außenhandelsfirma Petrimex. Auf seinen Rat gründete Petrimex ein weiteres Unternehmen, Agrofert, dass dann von obskuren Schweizer Investoren übernommen wurde - alte Schulfreunde, sagt Babis. Er wurde bald danach alleiniger Eigentümer. Er kaufte Medienverlage, und ging in die Politik.

Steuerbetrugsvorwürfe, Verdacht auf Subventionsbetrug und Verdacht auf widerrechtliche Verwendung von EU-Kohäsionszuschüssen werden mit ihm in seiner Zeit als Finanzminister und Ministerpräsident in Zusamenhang gebracht: Die tschechische Staatsanwaltschaft ermittelt seit Anfang Juni.

Geld = Macht

Babis verkörpert die Art, wie im Osten und Südosten Europas Politik gemacht wird. Geld ist Macht, wer Geld hat will Macht und wer Macht hat weiss, dass man, um sie zu sichern, auch Geld dazu braucht. Zum Beispiel, um Medien zu kaufen.

Nach dem Systemwechsel verstanden das als Erste und am besten die gewendeten Kommunisten. Aus Staats- und Parteivermögen wurde auf dunklen Wegen Privatvermögen, die neuen Reichen waren die alten Kommunisten, und sie verwendeten das Geld, um sich jahrelang als neue Sozialdemokraten an der Macht halten - etwa in Rumänien oder Bulgarien.

Ist mächtig in Politik und Wirtschaft - und unbeliebt: Tschechiens Premier Andrej Babis Bild: picture-alliance/dpa/M. Kamaryt

Die nach ihnen aufgestiegenen neuen Parteien, die sich als bürgerlich oder konservativ definierten (etwa die Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orbán in Ungarn) lernten rasch wie der Hase läuft. Sie schufen sich ihre eigenen Oligarchen, indem sie Staatsaufträge gezielt an Gefolgsleute vergaben, kräftig gewürzt mit EU-Subventionen. Wir in Ungarn haben unseren eigenen schillernden Oligarchen, der im Volksmund "nationaler Gasinstallateur” genannte Lörinc Mészáros. Früher hatte er eine kleine Firma die sich mit Gasleitungen beschäftigte. Er war zudem ein alter Freund Orbáns. Heute ist er - wie Babis - der zweitreichste Mann im Land.

Es gibt einen Unterschied zu Babis: Der Tscheche übt die Macht aus, Mészáros hingegen hat keinerlei Macht und kennt seinen Platz, den er Orbán verdankt. Politischen Ehrgeiz bei seinen Begünstigten duldet Orbán nicht. Sein Jugendfreund Lajos Simiscska hat es einmal versucht. Er war der Geldmensch der Partei, bis er sich mit Orbán überwarf. Jetzt ist er weg vom Fenster.

Das Problem mit den EU-Kohäsionfonds

Immerhin: Bei uns bestimmen nicht Oligarchen die Politik, sondern die Politik bestimmt die Oligarchen.

Eine Wurzel des Oligarchen-Übels sind die EU-Kohäsionsfonds. Der Grundgedanke in Brüssel: Durch diese Gelder gleicht sich das wirtschaftliche Niveau der ärmeren Länder an das der reicheren Länder an, daher "Kohäsion”. Und mit dieser Konvergenz wird auch eine Konvergenz der Werte gestärkt: Demokratie, freie Marktwirtschaft, Rechtsstaat.

In den Ländern Ostmitteleuropas hat man sich das aber näher angesehen und festgestellt, dass ein beträchtlicher Teil dieser Mittel, die oft für Infrastrukturprojekte ausgegeben werden, letztlich an westeuropäische Großkonzerne fließen die das Know-How, die Wettbewerbsfähigkeit und die Kapazität haben, die entsprechenden Ausschreibungen zu gewinnen. Es ist also zumindest teilweise Geld, das nach Osten gegeben wird, aber von dort nach Westen zurückfließt.

In Ungarn führt die Politik die Oligarchen: Ministerpräsident Viktor OrbanBild: Reuters/E. Plevier

Insofern ist die Entstehung der mittelosteuropäischen Oligarchen-Plage teilweise auch ein Versuch, diese Gelder im Land zu halten. Gezielt wurden zumindest in Ungarn von der Regierung politisch loyale Groß-Geschäftsleute aufgebaut, die überproportional oft große Staatsaufträge bekommen. Orbán spricht von "Neo-Merkantilismus” - das war wirtschaftsgeschichtlich die Phase in Europa, in der heimische Industrien hinter protektionistischen Zollschranken aufgebaut wurden. Es ist also auch, wenn man so will, eine Art "patriotische Korruption”.

EU-Geldregen einfach stoppen

Mir gefällt es nicht, und ich glaube nicht, dass es langfristig der Entstehung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft dient, wenn die Energien der Entscheider ganz darauf ausgerichtet sind, Subventionen zu ergattern. Die EU selbst scheint inzwischen entschieden zu haben, dass die ganze Idee von der Werte-Konvergenz nicht funktioniert - im nächsten Haushalt sollen nicht mehr die ärmsten Länder gefördert werden, sondern jene, die politisch korrekt auftreten, etwa Flüchtlinge aufnehmen.

Lasst uns den EU-Geldregen doch ganz abdrehen. Es ist ein Mittel, Brüssel wichtiger zu machen als es sein muss, und verzerrt wirtschaftliche und politische Strukturen in vielen Mitgliedsländern. Wir in Ostmitteleuropa haben schon fast zum Westen aufgeschlossen, zugegeben auch dank dieser Gelder. Aber die Zeit ist gekommen, sich davon abzunabeln. Und eine Unternehmerkultur zu entwickeln, die Innovation und Mut belohnt, nicht Machtgier und politische Loyalität. 

Boris Kálnoky, Jahrgang 1961, berichtet als Ungarn-Korrespondent mit Sitz in Budapest für die Tageszeitung "Die Welt" und andere deutschsprachige Medien.

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