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Politik

Mein Europa: Heimat oder Vaterland?

Beqe Cufaj
13. Oktober 2017

Für den Aufstieg der Rechtspopulisten in Deutschland tragen auch die Menschen mit Migrationshintergrund einen Teil Verantwortung, meint Beqë Cufaj. Denn Nachbarn müssen miteinander reden, nicht nur nebeneinander leben.

Deutschland Kosovo Beqë Cufaj DW Gastkolumnist
Bild: Jürgen Sieckmeyer

Dubravka Ugrešić und Arundhati Roy. Die erste Autorin des Romans "Ministerium der Schmerzen", die zweite Autorin des Romans "Das Ministerium des äußersten Glücks". Diese beiden Autorinnen, die ich immer lese, bedienen sich schon im Titel ihrer fiktiven Werke mit inexistenten, erfundenen Ministerien. Und sie erzählen von den Tragödien ihrer Heimatländer. Erstere von Ex-Jugoslawien, einem Staat, den es nicht mehr gibt. Die andere von Indien, einem Land, das gerade mal überlebt. Erschütternde Erzählungen, geprägt von Jahrhunderte alter individueller und kollektiver Geschichte.

Schriftsteller errichten und zerstören. Heimaten und Imperien. Reale und erfundene. Damit sind sie wie Propheten, die keine Regierung kennen, keine Verfassung, Gesetze oder Zeiten. Und sie nehmen sich das Recht heraus, ihre eigenen "Ministerien" zu erschaffen. Wie die Frauen, um die es hier geht.

Was ist das: Heimat? Und was unterscheidet sie vom Vaterland?Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Ob es wohl auch einen Roman mit dem Titel "Heimatministerium" gibt? Oder "Vaterlandsministerium"? Die beiden Bezeichnungen für das Herkunftgebiet unterscheiden sich nicht nur im Geschlecht - die Heimat und das Vaterland. Der Begriff Heimat klingt viel heimeliger und wurde auch in der Vergangenheit eindeutig weniger missbraucht wurde als das "Vaterland".

Heimatministerium? Vaterlandsministerium?

Politiker der Christlich Demokratischen Union (CDU) fordern, dass in Deutschland nach bayrischem Vorbild ein Heimatministerium gegründet wird, auch als Antwort auf das Ergebnis der jüngsten Wahlen. Ich nehme an, dass sich auch Herr Gauland und Co. mit dieser Vorstellung anfreunden können. Nur, dass sie eben weiter gehen würden. Sie würden es Vaterlandsministerium nennen! Zu diesem Thema schrieb ich vor zehn Jahren ein Gedicht mit dem Titel 'Das Vaterland': 

von dir Vaterland sagen viele du seist für sie

Vater und Land. für dich werden viele tränen vergossen

von wissenden und unwissenden du hast die macht

alles dir eigen zu machen. deine erde ist alt, dein himmel

unendlich, die menschen gehören niemand als Gott und dir

so auch vögel, die flüsse, die ebenen, die meere,

die schmerzen, die kinder, die träume… die eroberer

die poeten, die verliebten, die verratenen, die vergreisten…

alle gehören dir… so auch das leben, der tod.

nur eins ist mir nicht klar

Vaterland

wem gehörst du? 

Ich meine, dass es ziemlich schwer ist, die politischen Situationen zu klären, durch welche kleine und große Völker gehen - ob mit Romanen, in denen Ministerien kreiert werden, oder mit Gedichten, die etwas vom Vaterland verlangen. Besonders nicht in der Zeit, in der wir leben.

Denn die AfD ist mittlerweile Realität in Deutschland. Manch einer mag es Normalität nennen, die zum restlichen Europa passt, in welchem die Rechtsextremen ihre Wähler schon längst gefunden haben, und sie immer wieder fischen mit den geeigneten Ködern für all ihren Ressentiments und Ängste, die da eine Rolle spielen.

Wir müssen über Ängste sprechen

Ich behaupte: Wir sind es, die Bürger mit Migrationshintergrund, die daran ebenso sehr Schuld sind wie die Parteien der Mitte, der Rechten oder der Linken. Denn wir haben es nicht geschafft, mit diesen Millionen von Menschen, unseren Nachbarn, den Arbeitskollegen, den Wartenden in der Bäckerschlange oder den Hartz IV- Beziehern in der Arbeitsagentur, über ihre Ängste zu sprechen, die sie angesichts der vielen Flüchtlinge haben. Die Diskussionen unserer Mitbürger, die zur Rechten hin-'migrierten' und ihre Schuldzuweisungen an Millionen Mitmenschen, wirken so tragisch wie angsteinflößend. Und so beunruhigen auch die Diskussionen über ein Heimatministerium bei den Rechten und der Begriff der Heimat bei den Linken umso mehr.

Miteinander zu reden ist die Voraussetzung für jede Form des gegenseitigen VerstehensBild: DW/Sertan Sanderson

Sollen wir nun auch anfangen über ein Migrationsministerium zu reden, oder gar ein Integrationsministerium fordern? Nein!

Das, was wir - die neuen Deutschen, die Millionen Bürger dieses Landes mit Migrationshintergrund - machen müssen, ist ganz einfach: anfangen mit unseren Landsleuten über ihre Angst zu sprechen. Das Tabu brechen und sie fragen "Warum habt ihr Angst? Wovor, genau?" Wir müssen ihnen sagen, dass auch wir Angst haben. Dass wir unter Umständen sogar mehr Angst haben als sie. Angst vor Gauland, aber auch vor denjenigen Neuankömmlingen in diesem Land, die nicht kommen um Schutz zu suchen, sondern um uns in den Innenstädten anzugreifen, in Zügen oder auf Flughäfen.

Wir leben ohne Heimat - aber für diesen neuen Staat, Deutschland, in dem unsere Kinder geboren sind, müssen wir den ersten Schritt machen. Ich für meinen Teil habe begonnen mit meinen Bekannten und Freunden über ihre Ängste zu sprechen. Und Sie? Was ist mit Dir?

Der Schriftsteller und Journalist Beqë Cufaj wurde 1970 in Decan im Südwesten des Kosovo geboren und studierte Literatur in Pristina. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Stuttgart-Degerloch. Unter anderem veröffentlicht er Essays und Kolumnen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Neuen Zürcher Zeitung".  Zuletzt veröffentlichte er seinen Roman "projekt@party" im Secession Verlag.

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