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Politik

Kultur ist das Herz einer Gesellschaft

Carmen-Francesca Banciu
23. Februar 2018

In Deutschland wird sie meist als rumänische Autorin vorgestellt, der rumänische Literaturbetrieb sieht sie als Deutsche, schreibt Carmen-Francesca Banciu. Oft landet sie zwischen den Stühlen. In den USA ist das anders.

Carmen-Francesca Banciu, Autorin
Bild: Marijuana Gheorghiu

Identität, Integration und Zugehörigkeit: Zurzeit drohen diese Themen, uns zu überwältigen. Deswegen ist es vielleicht sinnvoll, das Kollektive auf das Individuelle herunterzubrechen, um es nachvollziehbarer zu machen.   

Auch am Beispiel von Künstlern und Autoren ist es interessant zu beobachten, wie kompliziert und widersprüchlich der Prozess der Zugehörigkeit, der Aufnahme, Annahme und Integration verläuft. 

Kultur ist ein stark von Emotionen beherrschter Bereich. Viel mehr Schwierigkeiten als die Aufnahme in das Sozialversicherungsnetz verursacht - auch wenn es paradox klingt - die Aufnahme von Fremden in die eigene Kultur. Denn Kultur ist das Herz einer Gesellschaft.

Identität, Integration und Zugehörigkeit sind Themen, die auch mich persönlich beschäftigen. Besonders wenn wieder einmal die Zeit der Leipziger Buchmesse näher rückt. Ganz besonders, wenn gerade ein neues Buch von mir erscheint - so wie jetzt - werde ich angehalten, über meine Identität als Autorin nachzudenken. Über meine eigene und die der Autoren, die wie ich nicht in Deutschland geboren sind. Welcher Kultur, welcher Literatur gehören wir an? Wie werden wir präsentiert? Es zählt nicht nur, wie man sich selbst definiert, sondern auch, wie man selbst wahrgenommen und vorgestellt wird.

Wir, die Autoren mit einem sogenanntem Migrationshintergrund, haben multiple und sehr verschiedene Identitäten: Für manche dieser Autoren ist Deutsch schon immer ihre Muttersprache gewesen. Somit werden sie mehr oder weniger selbstverständlich, aber nicht vollkommen, in die hiesige Kultur integriert. Herta Müllers überraschender Literatur-Nobelpreis im Jahr 2009 löste nicht nur bei manchen Bürgern, sondern auch bei einem Teil der Pressevertreter Unsicherheit aus. Viele fragten sich, welchem Land sie zuzuordnen sei.

Herta Müller lebt in Berlin und stammt aus der deutschen Minderheit in Rumänien - als sie den Nobelpreis bekam, fragten sich viele Journalisten, zu welchem Land sie gehöre Bild: picture-alliance/dpa/Kay Nietfeld

Autoren mit "Migrationshintergrund" werden auf ihre Herkunft festgelegt

Integration bedeutet sicher nicht, sich von seiner Vergangenheit loszusagen, sich von seinen Wurzeln loszureißen, sondern sich mit den eigenen Wurzeln im neuen Boden weiterzuentwickeln, zu wachsen. Vielleicht sogar aus sich heraus zu wachsen und etwas weiter zu geben, dort, wo man angekommen und auch angenommen ist.  

Autoren, die aus anderen Sprach- und Kulturkreisen stammen, werden meistens auf ihre Herkunft festgelegt. Sie gelten dann auch als Experten für Themen, die ihr Geburtsland betreffen, werden aber nur selten zu Themen und wichtigen Entscheidungen befragt, die das Leben in der neuen Gesellschaft betreffen. Selbst wenn sie schon lange in Deutschland leben und ihr literarisches Wirken sich der deutschen Sprache bedient. Es gibt auch die inzwischen schwindende Kategorie der Autoren, die sich für immer fremd fühlen und weiterhin in der Muttersprache schreiben. Und dann gibt es jene, die kulturtechnisch gesehen in einer "neutralen" Sprache schreiben, meistens Englisch. 

Ich werde in Deutschland fast immer als rumänische Autorin vorgestellt. Der rumänische Literaturbetrieb hingegen hat mich schon längst verabschiedet und zählt mich zu den deutschen Autoren. Somit lande ich oft zwischen den Stühlen. Ganz anders ist das in den USA und Großbritannien - dort werde ich als deutsche und rumänische oder als transnationale Autorin vorgestellt. Das könnte daran liegen, dass dort multiple kulturelle Identitäten eher zur Normalität gehören.  

Bald sind es 30 Jahre, dass ich in Deutschland lebe. Die Zeit in diesem Land ist bald doppelt so lang, wie die, die ich als Erwachsene in meinem Geburtsland gelebt habe.

Perspektive einer Berlinerin mit weitreichenden Wurzeln

In meinem ersten Jahr in Deutschland lebte ich als Gast in Berlin, eingeladen vom Künstlerprogramm des DAAD. Am Anfang schrieb ich auf Rumänisch, meine Bücher erschienen noch in Übersetzung. Bald darauf traf ich die bewusste Entscheidung, in Berlin zu bleiben. Und damit auch die Entscheidung, Deutsch nicht nur als Sprache meines Alltags, sondern auch als die meiner Bücher zu wählen. Mit der Zeit hat sich auch die Perspektive geändert, aus der ich meine Bücher schreibe. Ob sie über Ereignisse und Erfahrungen aus Rumänien erzählen, ob über das Leben in Deutschland oder ob es Geschichten sind, die ich anderswo auf der Welt aufgenommen habe: Ich schreibe sie auf Deutsch aus der Perspektive einer Berlinerin mit weitreichenden Wurzeln und mit einem erweiterten Blick, der über das Nationale hinaus geht. 

Ich habe die Sprache Schritt für Schritt erobert - und sie ist meine geworden. In ihr fühle ich mich geborgen und stark. Und kühn genug, Sprachregeln zu brechen, wenn mir das literarisch sinnvoll erscheint. Ich schleife weiter an der literarischen Klarheit und Ausdruckskraft meiner Sprache. Und glaube, damit zu einer vielschichtigen, weitreichenden, bereichernden Sicht auf das Leben und das Verstehen seiner Protagonisten mit beizutragen.

Ich bin in Rumänien geboren.

Ich bin eine Berliner Autorin.

Ich bin eine deutsche und rumänische Autorin.

Ich bin eine europäische Autorin.

Ich bin ich eine transnationale Autorin.

Was immer ich sonst noch sein mag, bin ich eine Autorin, die sowohl der deutschen Kultur als auch der rumänischen angehört.

Carmen-Francesca Banciu ist in Rumänien geboren. Seit November 1990 lebt sie als freie Autorin in Berlin und leitet Seminare für kreatives Schreiben. Seit 1996 schreibt sie auch in deutscher Sprache. Zuletzt erschienen von ihr die Bücher "Leichter Wind im Paradies" und "Berlin is my Paris" auf Deutsch und Englisch. Im März wird ihr neuer Roman "Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten!" veröffentlicht. 

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