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Politik

Mehr Zusammenarbeit für die Balkan-Länder!

Ivaylo Ditchev
10. Oktober 2019

Massenemigration, marode Infrastruktur, niedrige Löhne: Die Länder Südosteuropas - ob EU-Mitglieder oder Beitrittskandidaten - haben viele gemeinsame Probleme. Wieso ist es so schwer, gemeinsame Lösungsansätze zu finden?

Ivaylo Ditchev
Bild: BGNES

Schlechte Nachrichten kommen aus Brüssel, gute Nachrichten von der eigenen Regierung: Dass sich alte EU-Mitgliedsstaaten diese Methode zunutzen machen, ist schon länger bekannt. Inzwischen ist die Taktik auch an der Peripherie der Europäischen Union beliebt - und wird auch von Ländern übernommen, die in die EU wollen.  

Denken Sie zum Beispiel an die Einfuhrzölle von 100 Prozent, die Kosovo auf serbische Güter erhebt, als Reaktion auf Belgrads Versuche, den Beitritt des Kosovo zu Interpol zu blockieren. Gibt es einen größeren Gegensatz zum europäischen Geist als arbiträre Zölle einzuführen und eine Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zu verhindern? Mehr noch: Die Bürger des jeweiligen Landes befürworteten diese Schritte.    

Politische Machtspiele statt Versöhnung 

Ein anderes Beispiel: Bulgarien droht mit einem Veto gegen den EU-Beitritt Nord-Mazedoniens. Ähnlich wie Griechenland, das sein kleines Nachbarland 28 Jahre lang auf dessen Weg in die internationalen Institutionen blockierte, befriedigt Bulgarien populistische Wünsche und fordert feierlich, dass Skopje seine Haltung gegenüber der Vergangenheit überdenkt. Der "casus belli" ist die Frage nach der Zugehörigkeit des Revolutionärs Gotze Delchev, geboren im Osmanischen Reich, ethnischer Bulgare und Begründer der mazedonischen revolutionären Bewegung. Eine gemeinsame Historikerkommission der beiden Länder soll das umstrittene Thema klären und kam immerhin zu dem Schluss, dass beide Völker im Mittelalter ein gemeinsames Erbe teilten. Doch die Moderne erweist sich als Stolperstein, weil eine autonome mazedonische Nation innerhalb des Rahmens des sozialistischen Jugoslawien erscheint. Sofia weigert sich verbissen, diese Nation anzuerkennen. Wieso kommt es gerade jetzt zu so einem Skandal? In Bulgarien stehen wichtige Lokalwahlen bevor und die Rechtsextremen, von ihrer Beteiligung an der Regierungskoalition erschöpft, scheinen nach Feinden und politischen Botschaften zu suchen.    

Wegen der politischen Machtspiele in den beiden Entitäten Bosnien-Herzegowinas ist es nicht möglich, sich zu versöhnen und dieses problematische Land zu einen. Außerdem gibt es auch auf dem Weg in die EU einen Konkurrenzkampf zwischen den Kandidaten-Staaten, der negative Gefühle gegen die Nachbarn befeuert: Wer ist näher am Ziel, Nord-Mazedonien oder Albanien?

Balkan-Länder verlassen sich auf EU, um Nationalstaaten zu konsolidieren  

Die Bedeutung der europäischen Integration wird gewissermaßen in ihr Gegenteil verkehrt: Statt zu versuchen, durch das Zusammenlegen von wirtschaftlichen Ressourcen nationale Differenzen zu überwinden (so wie die Gründungsstaaten in den 1950er Jahren), verlassen sich die Balkan-Länder auf die EU, um ihre Nationalstaaten zu konsolidieren und die eigenen politischen Eliten zu legitimieren. Diese kleinen Staaten sind in Abgrenzung gegen die Nachbarn entstanden - und mit Hilfe von geopolitischen "Sponsoren" in der Zeit um den Ersten Weltkrieg, woher auch der Begriff "Balkanisierung" stammt. Der Antrieb in Richtung Vereinigung kommt oft von Außen: von der Entente im Fall des Nachkriegs-Jugoslawien, vom Warschauer Pakt und der NATO, und jetzt von europäischen Projekten wie dem "Berliner Prozess" von 2014, der auch durch finanzielle Hilfen eine bessere Integration fördert.

Viele Fachkräfte verlassen Südosteuropa - zum Beispiel AltenpflegerBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Könnte der Balkan diese Integration auch ohne einen Antrieb von Außen als sinnvolles Ziel sehen? Zu diesem Zweck sollten wir zunächst damit aufhören, die Region in EU-Mitglieder und Kandidaten-Staaten aufzuteilen, denn diese Länder sind einander auffällig ähnlich. Die Durchschnittslöhne liegen zwischen 400 und 600 Euro pro Monat, sie sind nur in Griechenland und Kroatien etwas höher. Die EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien haben diesbezüglich nur einen kleinen Vorsprung vor den Beitrittskandidaten Serbien und Montenegro, die erst vor Kurzem begonnen haben, Verhandlungskapitel zu eröffnen. Die Infrastruktur ist überall schlecht, nationaler Protektionismus behindert oftmals Handel und Investitionen, der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig für die Region. Wegen der Massenemigration gibt es große Lücken auf dem Arbeitsmarkt. Die meisten Währungen sind entweder schwach oder an den Euro gebunden, wie der bulgarische Lew. Montenegro und Kosovo verwenden einfach den Euro als Zahlungsmittel, obwohl sie nicht Mitglieder der Euro-Zone sind. Und wir haben noch gar nicht damit angefangen, die Gemeinsamkeiten in den Bereichen Musik, Küche, Sprachen und Bräuche aufzuzählen...  

Politiker verweilen im 20. Jahrhunderts 

Könnten diese Ähnlichkeiten nicht die Grundlage für eine engere regionale Kooperation bilden? Vor Kurzem diskutierten Serbien, Nord-Mazedonien und Albanien über die Möglichkeit einer Art kleinen "Schengen-Zone" für die drei Länder. Wieso sollten Bulgarien und Rumänien einer solchen Gruppe nicht beitreten? Wegen des ähnlichen Lebensstandards würde es nicht zu großen Migrationsbewegungen aus einem dieser Länder in das andere kommen. Grenzverkehr und Handel würden von den offenen Grenzen profitieren. Doch die beiden EU-Staaten Bulgarien und Rumänien halten sich für überlegen und meinen, wenn sie einem regionalen kleinen "Schengen" beitreten, würden sie nicht mehr in den europäischen Schengen-Raum aufgenommen. Im Grunde genommen ist es genau umgekehrt: Je mehr man regional kooperiert, umso leichter ist es, ein Teil des größeren Europa zu sein. Ähnliche Formen der Zusammenarbeit wären auch in anderen Bereichen denkbar, auch ohne auf Empfehlungen der EU zu warten, um sie zu starten: Transport, Umweltschutz, Kommunikation oder Bankenwesen.   

Diese Vision könnte weiterentwickelt werden zu einer regionalen Gruppe - ähnlich wie der Nordische Rat, die Baltische Versammlung, Benelux oder Visegrad - die sich für die Interessen der Balkan-Region einsetzt. Diese würde zur neuen Geometrie der "konzentrischen Kreise" in der EU passen, die sich gerade herauszubilden scheint. Der Balkan wird nicht in der Mitte dieser Kreise sein, aber hoffentlich auch nicht in einer Außenseiter-Position. Wieso ist die Umsetzung einer solchen regionalen Integration so schwierig? Unter anderem kann man sich die Rivalitäten zwischen Bulgarien und Serbien vorstellen oder die Versuche von Griechenland und Serbien, die Führungsrolle zu übernehmen. Außerdem lehnen Kroatien und Rumänien es ab, überhaupt als Balkan-Länder betrachtet zu werden. Aus den USA und Russland kommen widersprüchliche Einflüsse, und die Populisten sind weiterhin damit beschäftigt, die Geister der Vergangenheit heraufzubeschwören. In der Balkan-Region kommt Politikern eine zu große Bedeutung zu im Vergleich zu Bürgern und Unternehmen. Sie haben Angst, dass sie in der heutigen Welt nutzlos werden, deshalb ziehen sie es vor, im 20. Jahrhundert zu verweilen.              

Ivaylo Ditchev ist Professor für Kulturanthropologie an der Universität Sofia in Bulgarien. Er hat unter anderem in Deutschland, Frankreich und den USA gelehrt.  

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