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Politik

Populistische Mobilisierung

Catalin Dorian Florescu
25. Februar 2017

Populisten sind auf dem Vormarsch und die europäischen Werte werden vielerorts infrage gestellt. Demokraten und Europäer sollen sich dagegen aufbaumen, meint Catalin Florescu. Rumänen haben es vorgemacht.

Autor Catalin Dorian Florescu
Bild: M. Walker

Wir glaubten uns in Sicherheit, zumindest im westlichen Teil der Welt. Aus der Asche der beiden Weltkriege entstanden Institutionen, die wie ein Bollwerk gegen einen erneuten Einbruch der Zivilisation wirken sollten. Auch der Osten Europas holte für den oberflächlichen Betrachter auf, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Demokratie, Menschenrechte, Gewaltentrennung, säkularer Staat, Pressefreiheit, EU, der Völkerbund – die spätere UNO.

Märkte statt Werte

Heute werden all diese Errungenschaften unterspült vom Gehabe der Populisten und der ihnen ergebenen Massen. In Amerika spottet Trump über Richter und die Presse, wichtige Pfeiler der freiheitlichen Ordnung. Manche europäische Rechtspopulisten - bereits schon an der Macht - krempeln die Gesellschaft und die politischen Systeme ihrer Länder solange um, bis diese der eigenen autoritären, antiaufklärerischen Fratze gleichen. Andere stehen in den Startlöchern und sehnen sich nach der Macht, um genau das tun zu können. Sie dulden und fördern Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Blut-und-Boden-Nostalgie.

Viktor Orban: Populist an der MachtBild: Reuters/L. Balogh

Hat man geglaubt, dass die EU eine Wertegemeinschaft sei, stellt man nun fest, dass der opportunistische Osten nur wirtschaftliche Erholung und Wachstum meinte. Nicht einmal die westlichen Länder meinten zwingend Werte sondern Märkte. Die augenblickliche Desolidarisierung der osteuropäischen Länder und die lange, bequeme Passivität der nördlichen Länder gegenüber Italien oder Griechenland in Sachen Flüchtlingskrise sprechen Bände.

Rumänien ist Beispiel

In dieser Situation erscheint ausgerechnet ein peripheres Land - für viele unbekannt, für andere nur mit Negativklischees versehen - wie ein kleiner Lichtblick. Rumänien lehrt uns eines Besseren. Hunderttausende von Menschen sind Abend für Abend auf den Plätzen der Städte und demonstrieren gegen die korrupte Politik der Regierung. Sie glaubte sich die Komplizenschaft der Bevölkerung gekauft zu haben durch Renten- und Lohnerhöhungen. Das Volk hat anders entschieden.

Die Menschenmenge trägt Plakate mit der Inschrift: "In einem Rechtsstaat sind die Diebe im Gefängnis!" oder "Wir wollen Gerechtigkeit, ihr wollt Korruption. Wir haben nichts gemeinsam!" oder "Wir verzeihen euch nichts!" Ebenso ist aus der Mitte der Zivilgesellschaft eine Bewegung mit unbescholtenen Bürgern entstanden, die bei den Parlamentswahlen per Anhieb acht Prozent der Stimmen erhalten hat. Auch spielt der größenwahnsinnige Nationalismus - wie in Ungarn, Polen oder Russland - in Rumänien so gut wie kaum eine Rolle mehr. Rumänien ist ein Beispiel dafür, wie es auch laufen kann.

Sauerstoff des Hasses

Ich vermisse im Westen die Hunderttausenden, ja Millionen, aufgeklärter Menschen auf den Straßen und den Plätzen, die tagtäglich und wochenlang gegen die Verrohung und die Bedrohung von Rechtsaußen demonstrieren. Ich vermisse eine solch tiefe Empörung, dass sie zur Tat drängt, zu einem aktiven Einstehen für den Anderen, den Mitmenschen und letztlich dadurch auch für sich selbst.

Demonstrationen in Rumänien gegen Korruption und für RechtsstaatlichkeitBild: Getty Images/AFP/d. Mihailescu

Denn wenn die Populisten mit den anderen fertig werden, werden sie sich dich vorknöpfen. Sie kennen keine Hemmungen, zumal der Mob erwartet, dass sie keine Hemmungen kennen. Und sie müssen die stumpfe Masse permanent mit neuen Gefahren und neuen Hasszielen versorgen. Ein innehaltender Populist ist erledigt. Wie ein Brand braucht der Populismus Sauerstoff des Hasses, um sich auszubreiten. Zuerst ist es der Hass auf die Araber, dann auf die Juden, auf die Schwulen, auf die Unangepassten, später auf dich.

Anstatt aber eine aufgeklärte Masse zu bilden und damit Druck auszuüben, keuchen wir an reich gedeckten Tischen, empören und erhitzen uns ein wenig, zum Schluss aktualisieren wir unseren Facebook-Auftritt.

Eine stumme, abgestumpfte Masse

Auf dem Weg zur Macht: Marine Le PenBild: Reuters/R. Prata

Wir sollten vor den Parlamenten unserer Länder sein, in den Straßen und auf den Plätzen. Wir sollten Werte leben und nicht nur darüber sprechen. Wir sollten den Unterschied ausmachen. Wie sagte mal ein berühmter Schriftsteller: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Es gibt Menschen, die instinktiv spüren, dass sie handeln müssen. Ihr innerer Kompass und ihre Selbstachtung sind noch intakt. Sie schütteln sich von jeglicher Erstarrung wie ein Bär nach langem Winterschlaf und reisen dorthin, wo sie gebraucht werden, um den Flüchtlingen zu helfen. Das ist wichtig, aber es bekämpft nur das Symptom, nicht die Ursache der moralischen Krise unserer Zeit.

Wir sind eine stumme, abgestumpfte Masse, weder Fisch noch Fleisch, weder Mob noch aufgeklärt. Wir verstehen nicht einmal mehr Lebenshaltungen wie Nächstenliebe, Altruismus, Solidarität, geschweige denn dass wir danach leben wollten. Am Tor in das Reich des sorgenlosen Lebens geben wir unsere Vernunft, unseren Gerechtigkeitssinn ab. Und vor allem unseren unbedingten Willen, etwas zu ändern. Solange wir schweigen, sind wir Komplizen und kompromittiert. Solange wir schweigen, bleiben wir den Beweis schuldig, dass wir nicht zum Mob gehören. Denn Abseitsstehen ist auch eine Aussage.

 

Der deutschsprachige Schriftsteller Catalin Dorian Florescu wurde am 27. August 1967 in Rumänien geboren und lebt seit 1982 in der Schweiz. Für den Roman "Jakob beschließt zu lieben" wurde er 2011 mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet.

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