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Politik

Serbiens Militärparade zwischen West und Ost

Andrej Ivanji
10. Mai 2019

Die serbische Militärparade hätte am 20. Jahrestag der NATO-Luftangriffe auf Serbien im März stattfinden sollen. Dann wurde sie doch an den "Tag des Sieges" gebunden. Aber nicht so ganz, meint Andrej Ivanji.

Andrej Ivanji, serbischer Journalist
Bild: Milovan Milenkovic

Der Westen Europas feiert den Tag der Befreiung am 8. Mai. Der Osten zelebriert den Tag des Sieges am 9. Mai. Der Datumsunterschied ist historisch bedingt. Serbien, allerdings, feierte in diesem Jahr am Freitag, dem 10. Mai, in der Stadt Niš eine Militärparade anlässlich der Kapitulation von Nazi-Deutschland unter dem Slogan "Verteidigung der Freiheit". "Danas", eine der wenigen kritischen Zeitungen in Serbien, versuchte eine historische Begründung für die Vertagung zu finden, stellte jedoch lediglich fest, dass der 10. Mai internationaler Tag der Leibesübung ist. Es ist auch, zum Beispiel, der internationale Tag des Monty Python Status.   

Von offizieller Stelle kam keine Erklärung für den Aufschub der Militärparade, doch sie ist plausibel und gar nicht witzig, außer vielleicht für die Humorstandards des Fliegenden Zirkus von Monty Python: Am 9. Mai nahm Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić an einer regionalen Konferenz in Tirana teil, und so wurde das zentrale Ereignis anlässlich des Siegestages seinen Verpflichtungen angepasst. 

Die Parade hätte nach der Vertagung den Eindruck vermitteln sollen, von antifaschistischen europäischen Werten inspiriert zu sein. Sie entpuppte sich aber als eine Machtdemonstration, eingespannt in den Ausbau des Personenkults des Staatsoberhaupts und obersten Befehlshabers. Vučićs Anwesenheit war wichtiger als der Respekt vor der Geschichte. 

Luftangriffe der NATO    

Und die jüngere Geschichte hängt wie ein Verhängnis über dem EU-Beitrittskandidaten Serbien. Die große Militärparade wurde zuvor für den 24. März geplant, dem 20. Jahrestag des Beginns der Luftangriffe der NATO auf Serbien und Montenegro, die fast drei Monate lang dauerten. Selbst für Serbien, dem der Westen (immer noch) den Spagat zwischen der Liebe zu Russland und Wladimir Putin und der pragmatischen Annäherung an die Europäische Union nachsieht, wäre das zu viel des Guten, warnte man in Washington und Brüssel. Man könnte es als Säbelrasseln deuten, zumindest als eine Provokation gegenüber der NATO, die nicht gern an die höchst zweifelhaften Beweggründe und Ergebnisse der Luftangriffe auf Serbien erinnert wird.Vučić beugte sich und band die Militärparade an den Tag des Sieges. OK, an den Tag nach dem Tag des Sieges.

Anlass für die Parade sei gleichermaßen der 20. Jahrestag des Beginns der NATO-Luftangriffe, erinnerte die regimenahe Boulevardzeitung "Večernje novosti". Für alle Fälle, damit das nochmal klargestellt wird.

Im Zeichen Russlands 

Die Militärparade in Niš war ein Paradebeispiel für die Versuche der serbischen Staatsführung, den politisch-historischen Zwiespalt zu überbrücken, in den sie das Land hineinmanövriert hat. Einerseits beteuert Präsident Vučić, die Mitgliedschaft Serbiens in der EU sei die außenpolitische Priorität Serbiens, andererseits waren die "Stars" der Militärparade in Niš russische MIG29-Kampfflugzeuge, russische MI-35-Kampfhubschrauber, russische T-72-Panzer. Einige waren eingekauft, andere hatte Serbien von der Russischen Föderation geschenkt bekommen.

Zudem schüren die gleichgeschalteten serbischen Medien seit Jahren systematisch eine antiwestliche Stimmung, und das Frühjahr, in dem der "NATO-Aggression" und der "NATO-Kriegsverbrechen" vor 20 Jahren in Serbien gedacht wird, ist wie dafür geschaffen.

Aus der Sicht Belgrads hat die NATO Serbien nur deshalb bombardiert, um den Serben das Kosovo zu entreißen - die Wiege, das Herz des Serbentums. Serbien werde allerdings, heißt es in Belgrad, die Unabhängigkeit des Kosovo nie und nimmer und unter gar keinen Umständen anerkennen, und seine Aufnahme in internationale Organisationen mit der Unterstützung Russlands - wo immer es kann - blockieren.

Machtdemonstration und Personenkult  

Die serbische Militärparade am 10. Mai, an der rund 4.000 Soldaten und Polizisten teilgenommen haben, auf der rund 400 Panzer und Fahrzeuge sowie 40 Kampfflieger defilierten, war im Grunde genommen eine Machtdemonstration, die Staatsoberhaupt Aleksandar Vučić glorifizierte und zeigte, wie weit es Serbien unter seiner Führung gebracht hat. Mit antifaschistischen Werten, auf denen die EU beruht, und an die man normalerweise anlässlich des Tages des Sieges erinnert, hatte diese Militärparade recht wenig zu tun. Auch die innere Logik der serbischen Militärparade, die die Kraft des modernen serbischen Heeres, die auf russischem Gerät beruht, hätte demonstrieren sollen, stimmt von vorne bis hinten nicht. Laut der serbischen Verfassung müsste das Heer die territoriale Integrität Serbiens verteidigen. Da das Kosovo aus der Sicht der Serben vorübergehend von "albanischen Terroristen" okkupiert ist, müsste die Armee auf der Basis dieser Verfassung eigentlich im Kosovo eingreifen. Weil das nicht in Frage kommt, fragt man sich, warum Serbien aufrüstet - mit russischen Waffen. Wartet man auf bessere Zeiten?  

Aleksandar Vučić (r.) auf der Militärparade am 10. MaiBild: DW/J. Dukic-Pejic

Obwohl es in Serbien an Größenwahn nicht mangelt, hat die Entfremdung von der Realität ihre Grenzen. Der Zweck der Militärparade in Niš war, einen Mann zu verherrlichen, der sich über Parlament und Regierung gesetzt hat: Aleksandar Vučić. Dem Volk wurde die Vorstellung eines starken, militärisch auferstandenen, international angesehenen Serbien irgendwo zwischen West und Ost und ein Bild der eigenen Größe vermittelt - zusammen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben.        

Der serbische Journalist Andrej Ivanji ist in Belgrad geboren. Er ist Redakteur des serbischen Magazins "Vreme" und Korrespondent für die taz und den MDR.  

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