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PolitikEuropa

Was hat Kroatiens Präsident gegen Bosnien?

Marion Kraske
31. Dezember 2021

Bosnien und Herzegowina wird immer mehr zum Spielball von Extremisten. Kroatische und serbische Nationalisten haben eine unheilige Allianz gebildet, die EU setzt auf Appeasement und spielt damit Russland in die Hände.

Deutschland Kroatien Steinmeier Milanovic
Zoran Milanovic ist seit Februar 2020 Präsident des EU-Mitgliedsstaats KroatienBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Kroatiens Präsident Zoran Milanovic liebt den Angriffsmodus. Vor allem, wenn es um Bosnien und Herzegowina geht, kennt er kein Pardon. Mitten in der Corona-Pandemie verhöhnte Milanovic das Nachbarland im Dezember 2020 mit unverhohlener Verachtung: Erst müsse man in Bosnien "Seife" anwenden, dann "Parfüm" - mit anderen Worten: Das multi-ethische Land bedürfe einer Säuberung. Diese rassistischen Töne fernab jeder diplomatischen Zurückhaltung kommen wohl gemerkt aus einem EU-Mitgliedsland. Kritiker sprachen gar von NS-Jargon.

Ende Dezember 2021 legte Milanovic nach. Diesmal knöpfte sich das Staatsoberhaupt des Adrialandes ein sensibles Kapitel bosnischer Geschichte vor: den Genozid von Srebrenica. Im Juli 1995 waren hier mehr als 8300 muslimische Jungen und Männer von serbischen Truppen ermordet wurden - die Gewaltexzesse waren der traurige Höhepunkt ethnische Vernichtungspolitik im Bosnienkrieg 1992 bis 1995.

Für den kroatischen Präsidenten weist der Massenmord in Srebrenica lediglich "Elemente eines Genozids" auf. Ohnehin sei der Genozid-Begriff "kautschukweich", so Milanovic, ganz so, als gebe es im Völkerrecht keinerlei Kriterien für Verbrechen, die zum Ziel haben, ethnische oder religiöse Gruppen auszulöschen. Angesichts der unzähligen Richtersprüche im Zusammenhang mit den in Srebrenica begangenen Verbrechen, angesichts der Masse an dokumentierten Zeugenaussagen vor dem Internationalen Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) sind diese Aussagen ein handfester Skandal.

Milanovics Einlassungen sind Ausdruck einer breiten Verweigerungshaltung Kroatiens im Umgang mit der Vergangenheit. Gekonnt verdrängt das jüngste EU-Mitgliedsland vor allem die eigene Rolle im Bosnienkrieg. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Aggressionspolitik des verstorbenen Staatspräsidenten Franjo Tudjman, der sich mitten im Krieg gegen Serbien 1991 mit seinem serbischen Counterpart Slobodan Milosevic auf eine Teilung Bosniens verständigte, hat bis heute nicht stattgefunden.

Revisionismus und Agression

Und auch die Zeit des faschistischen Ustascha-Regimes, das im Zweiten Weltkrieg an der Seite von Nazi-Deutschland Verbrechen beging, wird in Kroatien offiziell kaum thematisiert. Revisionistische Geschichtsumdeutungen sind dagegen weit verbreitet: So wird das EU-Land in einem 2019 veröffentlichten internationalen Report von Wissenschaftlern der Yale-Universität zum Holocaust-Revisionismus an vorderster Stelle genannt.

Blick in die im Bosnienkrieg zerstörte Nationalbibliothek in der Hauptstadt Sarajevo im Oktober 1996Bild: Imago/J. Eis

Unter diesen problematischen Vorzeichen entwickelte sich Kroatien seit der Aufnahme in die EU am 1. Juli 2013 immer mehr zu einem Troublemaker auf dem Westbalkan: Die Außenpolitik der Regierung in der Hauptstadt Zagreb wird von aggressiven Tönen geleitet, insbesondere gegenüber der bosnischen Staatsregierung in Sarajevo. Statt auf Aussöhnung und gute Nachbarschaft setzt Kroatien alles daran, die einstigen Kriegsziele Tudjmans Realität werden zu lassen - diesmal mit Mitteln der Diplomatie.

Ein Apartheid-System für Bosnien

Zielgerichtet trachtet Zagreb danach, in Bosnien eine dritte, kroatisch dominierte "Entität" analog zum mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnten Landesteil Republika Srpska zu schaffen. Damit würde die Multiethnizität Bosniens weiter perforiert und das staatliche System des Landes endgültig zu einem Apartheid-System ausgebaut. Derartige Ansätze ethnischer Wahlkörper, konstatiert der bosnische Verfassungsexperte Nedim Ademovic, seien "antizivilisatorisch". Auch die deutschen Regierungen unter Angela Merkel haben alle Schritte abgelehnt, die das ohnehin fragmentierte Land noch weiter in Richtung ethnische Teilung katapultieren würden.

Dragan Covic (l.) und Milorad Dodik (r.) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Februar 2020Bild: Klix

Ungeachtet dessen lobbyieren in Brüssel Abgeordnete der Zagreber Regierungspartei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) für eine Wahlgesetzänderung in Bosnien. Ziel ist es, die Macht der Schwesterpartei im Nachbarland zu zementieren - und damit die eigene. In Bosnien selbst kooperieren derweil die extremistische HDZ Bosnien und Herzegowina (HDZ BiH) und ihr radikaler Führer Dragan Covic immer schamloser mit der Partei des serbischen Vertreters im Staatspräsidium, Milorad Dodik. Dessen Bund der unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) machte vor wenigen Wochen erste Schritte, um die Republika Srpska aus dem bosnischen Staat herauszulösen.

Das Dilemma der EU

Im Dezember 2021 votierten Dodik und HDZ-Chef Covic in trauter Eintracht gegen ein Gesetz, das die Leugnung des Genozids von Srebrenica unter Strafe stellt. Es ist eine unheilige Allianz: Gemeinsam torpedieren Dodik und Covic den bosnischen Staat und seine Institutionen. Im Verbund sehen sie die Möglichkeit, demokratische Reformen zu hintertreiben und ihre groß-serbische bzw. groß-kroatische Politik voranzutreiben.

Kroatiens Präsident Zoran Milanovic (l.) im Gespräch mit Milorad Dodik (r.) im September 2020Bild: Klix

Und die EU? Sagt keinen Ton zu den Genozid-Relativierungen des kroatischen Präsidenten. Keinerlei Versuche, dem gefährlichen Treiben auf dem Westbalkan zu begegnen. Statt die Extremisten, die Bosnien in die Zange nehmen, in ihre Schranken zu weisen, setzen der aus Ungarn stammende EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi und seine niederländische Kollegin Angelina Eichhorst auf einen Kuschelkurs mit jenen, die sich daran machen, Europas Friedensordnung aufzubohren.

Deutschlands neue Außenministerin Annalena Baerbock will nun Sanktionen als Reaktion auf die jüngsten Sezessionsschritte auf den Weg bringen - Ungarns Premier Viktor Orban schließt Maßnahmen dagegen kategorisch aus. Der für seine anti-muslimischen Positionen bekannte Rechtspopulist fuhr gar in die Republika Srpska-Hauptstadt Banja Luka und stellte sich dort demonstrativ hinter Dodiks gefährliche Provokationspolitik.

Eben hier wird das ganze Dilemma aktueller EU-Balkanpolitik sichtbar: Mit Varhelyi agiert in Brüssel der verlängerte Arm Orbans, der im Verbund mit anderen anti-liberalen Akteuren in Zagreb, der slowenischen Hauptstadt Ljubljana und dem serbischen Belgrad beste Kontakte zur russischen Regierung in Moskau unterhält. Und so sind die derzeitigen Angriffe auf Bosniens Friedensordnung seitens kroatischer und serbischer Extremisten kein Zufall: Sie fungieren - neben dem russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine - für Wladimir Putin als zweite Front, um Europa zu destabilisieren.

Sollte die EU angesichts dieser Bedrohungslagen weiter auf Appeasement setzen, ist vor allem die neue Bundesregierung in Berlin gefragt, dem Zündeln auf dem Westbalkan ein Ende zu bereiten. Die bosnische Regisseurin Jasmila Zbanic, die mit ihrem mahnenden Film "Quo Vadis Aida" die fatalen Versäumnisse der Internationalen Gemeinschaft vor und während des Völkermords in Srebrenica thematisiert, warnt eindringlich: "Der Westen muss aus dem Versagen der 1990er Jahre lernen und reagieren, bevor es neuerlich zu Gewalt kommt."

Bild: Stephanie Pilick/dpa/picture alliance

Die Politologin und Journalistin Marion Kraske leitete von 2015 bis 2021 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung für Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Albanien mit Sitz in Sarajevo.

Marion Kraske Politologin und Journalistin, 2017-2021 Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung Sarajevo.
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